Die Reaktionen zum Abbruch der VerhandlungenVon «schwer enttäuscht» bis zu Gratulationen an den Bundesrat
Der Bundesrat erklärt die Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU für beendet. Wie Wirtschaft und Politik auf den Abbruch reagieren.
Das Rahmenabkommen hat in der Schweiz zuletzt äusserst unübersichtliche Fronten geschaffen: Die SVP lehnte den Vertrag von Grund auf ab, die Grünliberalen waren klar dafür – und alle übrigen Parteien hatten Vorbehalte zum Entwurf, allerdings in sehr unterschiedlicher Ausprägung und vor allem mit sehr unterschiedlicher Stossrichtung. Auch aus der Wirtschaft kamen in den letzten Monaten keine einheitlichen und teils schwierig zu interpretierende Signale.
Entsprechend unterschiedlich fallen nun die Reaktionen auf den heutigen Bundesratsentscheid aus: Von den einen wird der Abbruch der Verhandlungen mit Genugtuung oder gar Euphorie begrüsst, andere sehen darin den Anfang vom Ende der Bilateralen.
Thomas Aeschi: «Vertrag hatte schwerwiegende Mängel»
«Die Verhandlungen über dieses Rahmenabkommen abzubrechen, war richtig. Der Vertrag hatte schwerwiegende Mängel. Beide Seiten, die Schweiz und die EU, sollten jetzt nüchtern die Situation analysieren. Wo beidseitige Interessen bestehen, lassen sich in Teilbereichen sicherlich Lösungen finden. Im Moment macht uns die EU nur beim Abkommen über die Medizinaltechnik Probleme, und da haben wir ja bereits eine Ersatzlösung gefunden. Die bringt etwas mehr Bürokratie, aber sie funktioniert. Eine Auszahlung der Kohäsionsmilliarde, wie sie der Bundesrat nun forcieren will, lehnen wir ab. Die EU spricht von einer Marktzutrittsgebühr, aber faktisch exportiert die EU mehr in die Schweiz als umgekehrt.»
Cédric Wermuth: «Dieses Nullresultat ist enttäuschend»
«Dieses Nullresultat ist enttäuschend. In diesen Verhandlungen lief viel falsch. Der Bundesrat hätte zuerst nie ein Abkommen aushandeln dürfen, in dem der Lohnschutz und der Service public riskiert werden. Dann haben die Bürgerlichen aus rein ideologischen Gründen bei der Unionsbürgerrichtlinie alles blockiert. Dass der Bundesrat nun die Verhandlungen abbricht, ohne gleichzeitig einen Plan B vorweisen zu können, ist sehr schwach. Wir sollten nun der EU konkrete Vorschläge für mögliche Kooperationen unterbreiten – und endlich diesen Kindergarten beim Kohäsionsbeitrag beenden: Dieser gehört ausbezahlt, sogar erhöht. Mittelfristig braucht es eine Auslegeordnung, bei der alle Optionen auf den Tisch müssen, auch der EWR und EU-Beitrittsverhandlungen.»
Petra Gössi: «Wir brauchen jetzt ein Fitnessprogramm»
«Ich bedaure den Abbruch der Verhandlungen, kann den Bundesrat aber verstehen. Die Lage war verfahren, insbesondere innenpolitisch. Ich denke da an die Gewerkschaften, die über Jahre jeden Kompromiss beim Lohnschutz verhindert haben. Jetzt ist es wichtig, dass wir zusammen mit der EU nach Lösungen suchen. Der Bundesrat soll aufzeigen, in welchen Bereichen es möglich und vorteilhaft ist, unser Recht eigenständig jenem der EU anzugleichen. Und wir brauchen ein Fitnessprogramm für das Land: den Einheitssatz bei der Mehrwertsteuer zum Beispiel sowie einen Abbau von Regulierungen.»
Gerhard Pfister: «Gut, dass Klarheit herrscht»
«Der Entscheid war zu erwarten. Es ist gut, dass jetzt Klarheit herrscht. Die Differenzen zwischen der Schweiz und der EU waren offensichtlich auch für den Bundesrat zu gross, wir hätten mit diesem Abkommen einen zu hohen Preis bezahlen müssen. Jetzt gilt es, die Sozialpartnerschaft wieder instand zu setzen und Lohndumping wirksam zu unterbinden. Die Erosion der bilateralen Beziehungen müssen wir verhindern, indem wir in jedem betroffenen Teilbereich nach konkreten Lösungen suchen. Bei der Bildung zum Beispiel, beim Horizon-Abkommen, hat die EU ja eben erst signalisiert, dass sie Spielraum für eine Einigung sieht. Solche Lösungen müssen auch in anderen Bereichen möglich sein.»
Tiana Angelina Moser: «Zerfall der Bilateralen eingeleitet»
«Der Bundesrat hat einen fundamentalen Fehlentscheid getroffen: inhaltlich falsch und demokratiepolitisch fragwürdig. Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats hat ausdrücklich gefordert, die Verhandlungen weiterzuführen. Darüber setzt sich der Bundesrat nun einfach hinweg, und dies ohne jedes Alternativkonzept. Sein Plan B besteht unter anderem darin, dem Justizdepartement ein paar Prüfaufträge zu erteilen. Mit dem jetzigen Entscheid wird faktisch der Zerfall der Bilateralen eingeleitet.»
Pierre-Yves Maillard: «Bundesrat soll dafür sorgen, dass es zu keiner Eskalation kommt»
«Wir wollten unbedingt den Lohnschutz verteidigen, das ist nun passiert. Wir haben immer gezeigt, dass wir für den bilateralen Weg sind. Um diesen zu sichern, sollte die Kohäsionsmilliarde bezahlt werden. Aber es ist klar: Es wird auf dem bilateralen Weg Probleme geben. Sollte es zu Gegenmassnahmen vonseiten der EU kommen, sollte der Bundesrat dafür sorgen, dass es zu keiner Eskalation kommt.»
Martin Hirzel: «Der Schritt gefährdet mittelfristig auch die Bilateralen»
«Wir sind sehr enttäuscht. Mit dem Abbruch ist kein einziges Problem gelöst. Der Schritt gefährdet mittelfristig auch die Bilateralen. Der Scherbenhaufen ist nun Tatsache. Wir erwarten nun, dass der Bundesrat den Schaden möglichst klein hält. Denn eines ist klar: Die Nadelstiche der EU werden kommen. Bei der Medizinaltechnikbranche ist die Schweiz bereits zu einem Drittstaat zurückgestuft worden. Ähnliches könnte in den nächsten zwei bis drei Jahren auch für die ganze Maschinenbaubranche passieren.»
Hans-Ulrich Bigler: «Das Parlament muss die Kohäsionsmilliarde freigeben»
«Ich verspüre schon eine gewisse Genugtuung. Wir haben von Beginn weg darauf hingewiesen, dass das Rahmenabkommen so nicht genügend ist. Bei der Abwägung zwischen Nutzen eines Rahmenabkommens und Kosten eines solchen waren für uns die Kosten grösser. Grundsätzlich ist klar, dass der bilaterale Weg weiterverfolgt werden muss. Der Marktzugang ist absolut zentral. Entsprechend muss das Parlament die Kohäsionsmilliarde freigeben, damit wir Verhandlungsmasse in zukünftigen Verhandlungen mit der EU haben.»
Philip Erzinger: «Wir gratulieren dem Bundesrat»
«Wir gratulieren dem Bundesrat zu diesem Entscheid. Wir haben heute einen selbstbewussten Bundesrat gesehen, der auch vor künftigen möglichen Schwierigkeiten nicht zurückschreckt. Das Gute ist: Dank den Bilateralen haben wir nicht unmittelbar ein Problem, entsprechend können wir nun Sektor für Sektor nach möglichen Lösungen suchen. Heute beginnt eine neue Ära im Zusammenleben mit der EU. Dass es dabei zu Friktionen kommen wird, dürfte klar sein. Aber wir können selbstbewusst in diese Verhandlungen gehen.»
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