Hamilton vs. VerstappenVon pietätlos bis dreckig: Dieses Duell fesselt die Formel 1
Lewis Hamilton gegen Max Verstappen – die Königsklasse erlebt gerade einen prickelnden, mitunter dramatischen Zweikampf um den WM-Titel. Er kann jederzeit ausarten.
Welch Schauspiel sich am Sonntag auf dem Autódromo José Carlos Pace abgespielt hat! Ach, wie hat sich das der treue Formel-1-Zuschauer verdient nach vielen Jahren der Magerkost. Spannung, Drama, Emotionen am Siedepunkt, alles hielt dieses Rennen bereit. Wer das Drehbuch geschrieben hat, gehört mit einem Oscar belohnt. Vorne der junge Herausforderer, der alles richtig macht, beim Start von Rang 2 an die Spitze prescht und dort einen vermeintlich einsamen Kampf führt. Hinten der Herausgeforderte, der alternde Siebenfachweltmeister, der einen weiten Weg hat zu ihm, weil er zum zweiten Mal an diesem Wochenende zurückversetzt worden ist.
Doch die Dramaturgie dieser Saison verlangt es, dass sich die Wege der beiden trotzdem kreuzen. Lewis Hamilton, 36 geworden im Januar, hat nichts von seinem Biss eingebüsst, von seinen filigranen Fertigkeiten am Lenkrad, er überholt Fahrer um Fahrer, bis er Zweiter ist. Und man fragt sich: Befindet er sich jetzt erst richtig in der Blüte seines Schaffens? Und liegt das am Gegner, an Max Verstappen, seit sieben Wochen 24-jährig?
Der Niederländer jedenfalls neckt den Popstar der Formel 1 nicht nur, er holt alles aus ihm heraus. Nie gibt er klein bei, immer hält er dagegen, immer attackiert er, Hamilton: unter Dauerdruck. Doch am Sonntag setzt der Brite an zum Meisterwerk. Nachdem er von Verstappen in einer Kurve noch weit in die Auslaufzone gedrängt worden ist, überholt er ihn in Runde 59 und gewinnt seinen 101. Grand Prix. Die Chancen auf seinen achten WM-Titel bleiben intakt. Und das Duell bleibt bis zum Bersten spannend.
Warum dieses Duell so prickelnd ist
Vorhersehbar – es gibt kaum ein schlimmeres Wort im Sport. Steht der Sieger schon vor dem Rennen fest, ist der Totengräber nicht weit. So war das nicht selten in der jüngeren Vergangenheit, war Hamiltons Überlegenheit dermassen erdrückend, dass dem Zuschauer das Wegzappen ziemlich leichtfiel.
Einmal in der Ära der Turbo-Hybrid-Motoren, die 2014 startete und zum einmaligen Siegeszug für Mercedes wurde, hatte Hamilton einen Gegner, der ihn bis an die Grenze forderte, manchmal gar überforderte: 2016 gelang Nico Rosberg das Kunststück, den WM-Titel zu gewinnen. Das kostete den Deutschen derart viel Kraft, dass er danach zurücktrat. Und so aufreibend dieses Duell auch war: Es war ein teaminternes.
Viel aufregender ist es da, dass nun Red Bull mit Honda-Motor die Phalanx der Deutschen aufbricht. Zumal die beiden Protagonisten unterschiedlicher kaum sein könnten. hier das Supertalent aus den Niederlanden, von seinem strengen Vater, dem ehemaligen Formel-1-Piloten Jos Verstappen, zum Sieger getrimmt, hart, unnachgiebig, kompromisslos, kaltschnäuzig, ein Mann mit Knalleffekt. Dort der gereifte Mann, von der Queen zum Ritter geschlagen, der sein Auto mit unheimlichem Gefühl für Reifen und Unterlage über die Pisten jagt, überlegt ist, clever, immer das grosse Ganze im Blick hat – und doch auch dreckig fahren kann, wenn es die Situation bedingt. Dieses Duell hat alle Zutaten, die es braucht, um einen grossen Platz zu finden in den Geschichtsbüchern der Formel 1. Es würde nicht überraschen, artete es in den letzten drei Rennen noch aus.
Wo Hamilton und Verstappen aneinandergerieten
Lewis Hamilton brauchte etwas Zeit in dieser Saison, um zu merken, dass er bei Verstappen dagegenhalten muss, will er den WM-Titel nicht früh in weite Ferne entschwinden sehen. Beim zweiten Rennen in Imola steckt er noch zurück, als Verstappen in der ersten Kurve angreift und sich dessen Red Bull und sein Mercedes berühren. In Barcelona, wieder in Kurve 1, wird er vom Niederländer angerempelt – und überlässt ihm handzahm die Führung.
Doch als es dann in Silverstone zum nächsten Rencontre kommt, hält Hamilton nicht zurück. Die Folge: Verstappen fliegt bei knapp 300 km/h ab Richtung Reifenstapel. Während er im Spital untersucht wird, feiern Hamilton und Mercedes ausgelassen den Triumph – Verstappen findet das pietätlos.
Mit ähnlich staunendem, vielleicht gar entsetztem Blick sitzt Hamilton ein paar Wochen später in Monza in seinem Cockpit, über sich den Red Bull von Verstappen, den er auf die Hörner genommen hat. Der Platz ist ausgegangen, weil der Herausforderer keinen Grund gesehen hat, so auszuweichen, wie es Hamilton im Rad-an-Rad-Kampf ein paar Runden zuvor machte. Nun schlendert Verstappen gemütlich am Fahrzeug des siebenfachen Weltmeisters vorbei, während dieser versucht, sich mit dem Rückwärtsgang des Konkurrenten Autos zu entledigen. Der Versuch bleibt erfolglos. Hamilton dankt hinterher mit ziemlich viel Pathos in der Stimme Gott dafür, dass er überlebt hat.
Und auch hintenrum kracht und poltert es
Das Duell zwischen Verstappen und Hamilton ist oft am Limit, mit horrendem Tempo auf der Strecke. Es spielt sich aber auch ein Zweikampf dort ab, wo die Autos langsamer fahren, in der Boxengasse. Dort wirkt Christian Horner gern mal so, als würde er jetzt dann gleich Wände eintreten, um Toto Wolff am Kragen zu packen und ihn kräftig zu schütteln. Umgekehrt verhält es sich ähnlich.
Horner und Wolff sind die Teamchefs von Red Bull und Mercedes und keine Freunde. Der eine nennt den anderen einen Kontrollfreak, der andere findet, der eine sei ein Schwätzer. Das begann schon, als Verstappen einfach ein talentierter – und oft rücksichtsloser – Emporkömmling war. Mit den Jahren schaukelte sich die Rivalität hoch und wurde zur Feindschaft. Zuletzt, am Sonntag, erzürnte ein Verstappen-Manöver Wolff, «eine absolute Sauerei», schimpfte er. Horner fand, das gehöre eben dazu, wenn zwei Männer um eine Weltmeisterschaft fahren würden.
Red Bull will in den kommenden Jahren eine eigene Motorenabteilung aufbauen, weil Honda aussteigt. Dafür braucht es Mitarbeiter, und die besten davon sind bei Mercedes. Sechs Ingenieure wechselten bereits die Seite. Solche Episoden dienen zwar nicht gerade dem Frieden in den Boxengassen, aber immerhin der allgemeinen Unterhaltung.
Alles deutet auf den grossen Showdown hin
Das grosse Finale dieser aufregenden Saison findet auf der Arabischen Halbinsel statt. Katar, Saudiarabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, drei Rennen noch, dann hat die Formel 1 entweder einen neuen Champion oder einen Rekord vielleicht für die Ewigkeit.
Noch liegt Verstappen vorne, 14 Punkte. Er wird sicher Weltmeister, wenn er in Katar und Saudiarabien gewinnt. Denn dann nimmt er mindestens 26 Punkte Vorsprung mit zum letzten Grand Prix in Abu Dhabi – es ist das Maximum, das an einem Rennwochenende ohne Qualifying-Rennen zu holen ist. Haben die beiden Rivalen am Ende des Jahres gleich viele Punkte, entscheidet die Anzahl Siege. Diesbezüglich liegt Verstappen schon jetzt deutlich vorne, hat er doch neunmal triumphiert und Hamilton bislang erst sechsmal.
Zwei Siege also für Verstappen, ziemlich simpel in der Vorstellung, ganz kompliziert auf der Strecke, wie gerade zuletzt der GP von Brasilien gezeigt hat. Kommt es am 12. Dezember in Abu Dhabi zum Showdown, wäre es das erste Mal seit 2016, als Nico Rosberg am selben Ort ein zweiter Platz reichte, damit ihn der letzte verbliebene Kontrahent nicht mehr vom Thron stossen konnte – Lewis Hamilton.
Was würde ihnen der Titel bedeuten?
Lewis Hamilton mag mehr sein als ein Sportler, vielleicht ist er der weissen, elitären Formel 1 gar entwachsen als einer der führenden Botschafter im Kampf gegen Rassismus und für Vielfalt. Er mag vor der Saison auch das gesagt haben: «In der Vergangenheit ging es mir nur darum, WM-Titel zu gewinnen. Dieses Jahr geht es darum, uns für Vielfalt einzusetzen und sicherzustellen, dass dem Gerede auch Handlungen folgen. Das ist für mich das Wesentliche, was mich antreibt.» Doch der achte WM-Titel, das kann der Brite nicht abstreiten, wäre so etwas wie die Vollendung, die endgültige Krönung für ihn, wäre er damit doch alleiniger Rekordhalter vor Michael Schumacher.
Für Verstappen wiederum käme der Titel einer Erlösung gleich. Seit er 2015 – vor über sechs Jahren – als erster Fahrer unter 18 in der Formel 1 debütierte, wird er als Kandidat für den WM-Triumph gehandelt. Doch bislang fehlte ihm dazu das richtige Auto oder die Abgeklärtheit – oder beides. Jüngster Weltmeister kann er nun nicht mehr werden, diesen Rekord behält Sebastian Vettel, der 2010 als 23-Jähriger siegte. Ein tonnenschwerer Felsbrocken würde gleichwohl von seinen Schultern fallen.
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