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Tunesiens Regierungschefin im Porträt
Von der Aussenseiterin zur historischen Figur

Noch unbekannt: Najla Bouden Ramadhane, 63, ist neue Regierungschefin Tunesiens.
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Wie kurz der Weg in die Geschichtsbücher sein kann, erfuhr nun die Tunesierin Najla Bouden Ramadhane. Am Dienstag noch war die 63-Jährige höchstens politischen Insidern in Tunis ein Begriff. Am Mittwoch wurde Bouden dann zur historischen Figur: erste Premierministerin in der Geschichte Tunesiens, erste Frau an der Spitze einer Regierung gar in der gesamten arabischen Welt.

Ob Boudens Eintrag in die Geschichtsbücher aber einmal als weiteres Kapitel der demokratischen Erfolgsgeschichte Tunesiens gelesen werden wird, ist mehr als fraglich. Sie kam nicht etwa ins Amt, weil sich eine Mehrheit der Parlamentarier auf sie geeinigt hätte, sondern weil ein zu zweifelhaften Manövern neigender Präsident das parlamentarische System der einzigen wirklichen arabischen Demokratie ausgehebelt hat.

Proteste gegen Vorgehen des Präsidenten

Er wolle mit seiner Wahl die Frauen Tunesiens ehren, sagte Staatsoberhaupt Kais Saied, als er Bouden in seinem holzvertäfelten Büro im Präsidentenpalast vorstellte. Die 2014 verabschiedete Verfassung des Landes ehrte er zuletzt weniger: Vor zwei Monaten setzte er Regierungschef Hichem Mechichi ab, schickte die Abgeordneten nach Hause und verwehrte ihnen fortan, im historischen Bardo-Palast zusammenzukommen.

Parteien und Politiker protestierten, Journalisten und Juristen diskutierten, ob das Manöver rechtlich gedeckt sei. Die Sorge wächst, dass zehn Jahre nach dem Sturz des Diktators Ben Ali der Arabische Frühling auch in dem Land zu Ende geht, in dem er seinen Anfang genommen hatte. Doch weil das zersplitterte Parlament zuletzt kaum mehr zu Entscheidungen kam, hiess ein guter Teil der Tunesier Saieds Entscheidung gut.

Warum der Staatschef auf eine Unbekannte setzt, lässt sich aus seinem Misstrauen gegenüber Eliten erklären.

Die Zweifel an seinen Absichten wurden jedoch grösser, als er ankündigte, die Verfassung zu ändern, und sich vergangene Woche gestattete, per Dekret zu regieren. Am Wochenende marschierten deshalb gemässigte Islamisten neben Linken auf Grossdemonstrationen. (Lesen Sie auch den Artikel «Eine junge Demokratie steht am Abgrund».)

Ein paar Tage später stellte Saied dann Bouden vor – und auch, wenn ihre Mission mit teils sehr grundsätzlichen Fragen zur Zukunft der Demokratie überfrachtet wird, soll sich Bouden nach Saieds Willen mit eher praktischen Dingen beschäftigen. Mit der Bekämpfung der Korruption etwa, mit der Eindämmung des grassierenden Coronavirus, mit der wirtschaftlichen Talfahrt.

Und das alles bitte möglichst schnell: Am besten «binnen Stunden oder wenigen Tagen» solle Bouden ein neues Kabinett vorschlagen, sagte der Präsident. Man habe schon zu viel Zeit verloren.

Unzufriedenheit in der Bevölkerung: Demonstration gegen Präsident Kais Saied am letzten Sonntag in Tunis.

Warum er ausgerechnet auf eine bislang Unbekannte setzt, lässt sich wohl aus seinem Misstrauen gegenüber Eliten erklären. Wie er selbst ist Bouden Aussenseiterin im Politikbetrieb, wie er selbst verfolgte sie vor Amtsantritt eine akademische Karriere.

In der Stadt Kairouan geboren, wurde sie in Paris ausgebildet, habilitierte in Geologie, lehrte an einer Hochschule für Ingenieure in Tunis, bevor sie 2011 als Referentin ins Ministerium für höhere Bildung und Forschung wechselte, wo sie zuletzt Programme der Weltbank betreute.

Tunesien vor dem Staatsbankrott

Weil Saied ihr nur begrenzte Kompetenzen überlässt, sehen Kritiker in Bouden eine vorgeschobene Figur, die Kritiker im In- und Ausland beruhigen soll. Anhänger des Präsidenten betonen dagegen ihre nun hilfreichen Erfahrungen in Verhandlungen mit internationalen Partnern.

Eine von Boudens ersten Aufgaben wird es sein, Gespräche mit dem Internationalen Währungsfonds wieder in Gang zu bringen, um Tunesiens Staatsbankrott noch abzuwenden. Najla Bouden Ramadhane mag noch unbekannt sein – das Phänomen, dass es eine Frau braucht, um eine von Männern in den Dreck gesteuerte Karre wieder flottzumachen, findet sich bereits das eine oder andere Mal in den Geschichtsbüchern.