Emotionaler Fussball-Star ViniciusBis ihm die Tränen kommen
Er dribbelt, foult, provoziert: Der Real-Stürmer taugt zur Reizfigur, stemmt sich aber auch vehement gegen Rassismus – und macht einen brisanten Vorschlag.
Hin und wieder machen Sportler und Sportlerinnen in ihrer Karriere eine Transformation durch. Oft hat diese einen unerfreulichen, ja traurigen Grund. Rassismus, Sexismus, Homophobie.
Die Profis benennen diese Missstände und werden zu Aktivisten. Boxer Muhammad Ali, Formel-1-Fahrer Lewis Hamilton, Basketballer LeBron James, Footballer Colin Kaepernick, die Williams-Schwestern Serena und Venus, die das Tennis so lange prägten.
Zum jüngsten Aktivisten im Fussball der Männer wird jetzt immer mehr Vinicius José Paixão de Oliveira Junior, kurz Vinicius Junior, noch kürzer (so steht es auch auf dem Trikot): Vini Jr.
Der Brasilianer ist einer der Besten überhaupt, 24 Jahre alt, zweifacher Champions-League-Sieger. Einen höheren Marktwert als er hat keiner. Viele Wettanbieter sehen ihn als ersten Anwärter auf den Gewinn des Ballon d’Or, die Auszeichnung für den besten Fussballer der Welt Ende Oktober.
Die an der Brücke aufgehängte Vinicius-Puppe
Vinicius spielt bei Real Madrid, dahin hat er am Tag seines 18. Geburtstags gewechselt, schon da kostete er 45 Millionen Euro. Der junge Mann aus São Gonçalo, einer Stadt nahe der Metropole Rio de Janeiro, sollte Madrid bald erobern, dann Spanien und schliesslich Europa.
In Spanien aber erfuhr Vinicius nicht nur fussballerische Höhen, er lernte, was es bedeutet, wegen ganz anderer Dinge im Fokus zu stehen. Immer wieder hörte er die rassistischen Beleidigungen, die Affengeräusche von den Rängen, natürlich nicht in jedem Stadion, aber in solchen Fällen ist jeder einzelne Ruf zu viel.
2023 eskalierte alles. Im Januar wurde nahe dem Real-Trainingsgelände eine an einer Brücke aufgehängte Puppe gefunden, sie trug ein Vinicius-Trikot. Die Übeltäter, höchstwahrscheinlich Ultras von Stadtrivale Atlético, wurden später festgenommen.
Einige Wochen später konfrontierte Vinicius in einem Spiel Valencia-Fans, die ihn als Affen verunglimpften, die Partie wurde unterbrochen. Vinicius verlor später die Nerven, leistete sich eine Tätlichkeit und sah Rot. Danach schrieb er auf X: «Es war nicht das erste Mal, auch nicht das zweite oder dritte Mal, Rassismus ist normal in La Liga.» Und: «Die Meisterschaft, die einst Ronaldinho, Ronaldo, Cristiano und Messi gehörte, gehört jetzt den Rassisten.»
Er schrieb noch mehr, er legte sich auch mit Liga-Präsident Javier Tebas an, der suggerierte, Vinicius trage eine Mitschuld an all den Beleidigungen. Vinicius gilt auf dem Platz als einer, der die Grenzen auslotet, mit Fouls, Provokationen und Nachtreten. Später entschuldigte sich Tebas für seine Aussagen, er habe aus der Hitze des Gefechts gesprochen.
«Ich hoffe, dass Spanien sich weiterentwickelt»
Seit er in Spanien ist, kämpft Vinicius gegen den Rassismus an, immer lauter und dringlicher. Als er ein Jahr nach dem Eklat von Valencia wieder im Estadio Mestalla auflief, traf er und reckte zum Jubel seine Faust in den Himmel.
Im April brach er in einer Pressekonferenz in Tränen aus, sagte, er wolle doch nur Fussball spielen. Und kürzlich kündigte er in einem grossen Interview mit CNN an, künftig gemeinsam mit dem Team den Platz verlassen zu wollen, sollte es wieder zu Grenzüberschreitungen kommen.
Er sagte auch, die Situation in Spanien sei besser geworden, Rassisten würden sich weniger trauen. Und doch müsse man überlegen, die WM 2030 zu verlegen, sollte es wieder in die andere Richtung gehen. Spanien richtet das Turnier dann gemeinsam mit Marokko und Portugal aus. «Bis 2030 gibt es noch viel Raum für Verbesserungen», sagte Vinicius. «Ich hoffe, dass Spanien sich weiterentwickelt und versteht, wie ernst es ist, jemanden wegen seiner Hautfarbe zu beleidigen.»
Gegen eine Verlegung wehrt sich nun Dani Carvajal, bei Real ein Mitspieler von Vinicius, eben erst Europameister geworden und selbst für den Ballon d’Or nominiert. «Spanien ist in keinster Weise rassistisch», so Carvajal. Das Land verdiene es nicht, der WM beraubt zu werden.
Carvajal hat damit natürlich einen Punkt. Es sind immer ein «paar Idioten», nie die ganze Kurve, nie «die Fans». Das gilt ja nicht einmal nur für gewisse Stadien in Spanien, das gibt es in ganz vielen Ländern. Das Problem ist allerdings: Diese «paar Idioten» kommen ja doch immer wieder ins Stadion – meistens.
Dass Vinicius’ Engagement durchaus seine Wirkung hat, zeigte sich im Juni, als drei Valencia-Fans zu jeweils acht Monaten Haft und zwei Jahren Stadionverbot verurteilt wurden. Sie wurden durch Kameras identifiziert, Vinicius sagte vor Gericht aus. Hätte er damals einfach alles über sich ergehen lassen, wären sie wohl davongekommen.
Vor Gericht verlasen die Fans Entschuldigungsschreiben an Vinicius. Vielmehr möchte dieser aber wohl eine Antwort. Möglich, dass er sich fragt, warum ausgerechnet er so viel Hass abbekommt. Warum die Affengeräusche bei ihm am lautesten sind. Er wird nie eine schlüssige Antwort bekommen. Und so wird er weiter dagegen ankämpfen. Wie so viele vor ihm.
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