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Stundenlanger Regen auf 3200 Meter
Verhängnisvolle Weltpremiere in Grönland

Wasser statt Eis in Westgrönland: Die Abschmelzung hat sich in den letzten 30 Jahren stark intensiviert. (Aufnahme 1. August 2019)
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Im Grunde war es nur eine kurze Episode. Aber sie passt nur allzu gut ins Bild des fortschreitenden Klimawandels auf Grönland. Der US-Glaziologe Ted Scambos von der Universität Colorado in Boulder kommentierte sie so: «Regen auf dem höchsten Punkt Grönlands ist so ungewöhnlich wie 46 Grad in Portland.» Die Stadt im US-Bundesstaat Oregon liegt etwa auf dem gleichen Breitengrad wie der südlichste Teil des Tessin.

Was sich Mitte dieses Monats auf rund 3200 Meter über Meer in Grönland abspielte, ist ein absolutes Novum, seit die Messstation Summit 1989 gebaut worden ist. Das amerikanische Datenzentrum für Schnee und Eis (NSIDC) beschreibt die ungewöhnliche Beobachtung sehr detailliert. Am 14. August, frühmorgens, werden die dort stationierten Wissenschaftler überrascht: Sie beobachten, wie es zu regnen beginnt, erste Wassertropfen fallen auf die Eisoberfläche. Der Niederschlag hält mehrere Stunden an. Die Temperatur steigt im Verlaufe des Morgens auf knapp 0,5 Grad Celsius. Die Wissenschaftler sprechen von einer Hitzewelle.

Die Bedingungen auf dem Top of Greenland sind sonst so garstig, dass selbst in den wärmsten Sommertagen die Temperatur nie über den Nullpunkt steigt. Doch diesmal ist es anders. Seit mehreren Tagen liegt ein relativ starkes Tiefdruckgebiet über der Baffininsel westlich von Grönland. Diesem steht eine Hochdruckzone am südlichen Ende des Eisschildes gegenüber.

So entsteht wegen der grossen Druckunterschiede ein starker Wind, der warme, feuchte Luft zur Südwestküste Grönlands bringt. Erst am 15. August, als der Himmel aufklärt, sinken die Temperaturen auf Grönland wieder stark. Das Muster der Luftzirkulation sei vergleichbar mit einer Wetterkonstellation, die es Ende Juli schon gab, meldet das NSIDC.

«Das geschah in einer Zeit, in der sich die Sonne bereits wieder dem Horizont nähert.»

US-Datenzentrum für Schnee und Eis

Beide Male hat die starke Erwärmung zu einer rapiden Ausdehnung der Abschmelzfläche auf Grönland geführt. «Der Verlust an Eismasse war im August etwa sieben Mal grösser als sonst in dieser Zeit», heisst es in der Mitteilung des NSIDC. Die tauende Eisfläche überstieg die Marke von 800’000 Quadratkilometer. Das entspricht etwa zwanzig Mal der Fläche der Schweiz. Seit der grossen Eisschmelze 2012 sei es erst das zweite Mal, dass in derselben Saison diese Marke mehr als einmal übertroffen wurde.

Die Jahre einer Eisschmelze auf der höchsten Erhebung von Grönland, wie sie in diesem August beobachtet wurde, kann man an einer Hand abzählen. Seit die Messstation dort steht, gab es nur vier solche Extremereignisse. Eisbohrkerne aus 3000 Meter Tiefe bei der Messstation zeigen zudem: In den letzten 10’000 Jahren gab es etwa 50 Schmelzereignisse; in den letzten 3000 Jahren taute die Eisoberfläche etwa alle 250 Jahre.

Messstation Summit auf der höchsten Eiserhebung Grönlands, auf 3200 Meter über Meer 

Die Schmelzsaison dauert in Grönland normalerweise vom 1. April bis 31. Oktober. Die grösste Schmelzrate wird jeweils von Juni bis zum frühen August gemessen, vor allem in den Küstenregionen des Eisschildes. Doch in diesem Jahr gab es erstmals eine Spitze Mitte August. «Das geschah in einer Zeit, in der sich die Sonne bereits wieder dem Horizont nähert», schreiben die Wissenschaftler.

«Regen auf dem Summit ist ein weiteres klares Zeichen für einen schnellen, vom Menschen verursachten Klimawandel.»

Edward Hanna, britischer Klimaforscher an der Universität von Lincoln

Nun kann man dieses aussergewöhnliche Ereignis statistisch betrachtet als Ausreisser betrachten. Für den US-Glaziologen Ted Scambos ist es aber eindeutig, dass der Temperaturanstieg auf dem Summit ohne Klimawandel nicht möglich gewesen wäre. Dieser Meinung ist auch der britische Klimaforscher Edward Hanna. «Regen auf dem Summit ist ein weiteres klares Zeichen für einen schnellen, vom Menschen verursachten Klimawandel», sagt der Wissenschaftler von der britischen Universität von Lincoln. Es sei «höchst wahrscheinlich», dass in den nächsten Jahren die Temperaturen im grönländischen Sommer auch auf den höchsten Erhebungen des Eisschildes noch öfters über den Nullpunkt steigen.

Hanna hat vor ziemlich genau einem Jahr zusammen mit einem internationalen Forscherteam eine Arbeit zum Klimawandel auf Grönland veröffentlicht. Die Daten zeigen: Die grönländischen Küstenregionen haben sich von 1991 bis 2019 um etwa 4,4 Grad im Winter und um 1,7 Grad im Sommer erwärmt. «Die steigenden Durchschnittstemperaturen können überproportional zu extremen Erwärmungen wie auf dem Summit führen», sagt Edward Hanna.

Die Wissenschaftler analysierten dabei vor allem die Messdaten der Wetterstationen an der Küste, aber auch von Messorten auf dem inneren Plateau des Eisschildes. Darunter ist auch die Messstation Swiss Camp, die der verstorbene Direktor des WSL-Instituts in Birmensdorf, Konrad Steffen, 1990 errichtet hatte. Die Aufzeichnungen kombinierten sie mit Modelldaten zur Massenbilanz des Eisschildes von 1972 bis 2018. Das Fazit: Jede Erwärmung um 1 Grad kann zu einem Massenverlust des Eisschildes von 116 Milliarden Tonnen pro Jahr führen. Als Vergleich: Der Bodensee enthält rund 50 Milliarden Tonnen Wasser.

Wärmeeinbrüche wie diesen August hängen stark mit der Grosswetterlage zusammen. Das ist auch eine Erkenntnis von Hannas Arbeit. Lang andauernde Hochdruckzonen im Süden Grönlands bringen mehr Regen und Wolken. «In einem wärmeren Klima verstärkt das den Schmelzvorgang und den Massenverlust», sagt Hanna. Das können die Wissenschaftler am Beispiel des Sommers 2019 aufzeigen, in dem die Eisschmelze beinahe den Rekord von 2012 brach.

Es ist der Jetstream, der die Verteilung der Druckgebiete steuert. Wenn diese in der Atmosphäre zirkulierende Luft sich wegen der Erderwärmung verlangsamt, beginnt sie zu schlingern und in grossen Wellen um den Globus zu fliessen. Die Konsequenz: Es können sich Wetterlagen entwickeln, die lange stationär bleiben. Bisher konnten die Klimaforscher jedoch statistisch nicht aufzeigen, dass sich das Wettermuster aufgrund des Klimawandels bereits eindeutig verändert hat – das Wettersystem ist zu chaotisch.

Sicher ist allerdings: Die arktische Region und damit auch Grönland erwärmt sich um ein Mehrfaches stärker als der globale Durchschnitt. Und das grönländische Eis reagiert empfindlich auf die Erwärmung. Nimmt sie weiter zu wie bisher, dann geht das Forschungsteam von einem Anstieg des globalen Meeresspiegels von 10 bis 12,5 Zentimeter bis zum Jahr 2100 aus. Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung schätzen, dass bereits bei einer Anhebung des Meeresspiegels um etwas mehr als 10 Zentimeter gegenüber 2010 die Schadenskosten ohne Schutzmassnahmen doppelt so hoch ausfallen würden wie bei einer extremen Sturmflut.

Der grönländische Eisschild hat gemäss dem eben veröffentlichten Klimabericht des Weltklimarates IPCC seit 1992 schätzungsweise 4890 Milliarden Tonnen Eis verloren. Der Schmelzprozess, der in den letzten 30 Jahren in Gang gesetzt wurde, wird vermutlich über eine längere Zeit weitergehen, so der IPCC, auch wenn die Emissionen der Treibhausgase massiv reduziert werden.

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