Vergeltungsdrohungen gegen IsraelDie Mullahs spielen mit der Spannung
Wann wird der Iran angreifen? Die Führung in Teheran scheint es gern zu sehen, wie Israel und der Rest der Welt darauf warten. Doch was steckt dahinter?

In den iranischen Medien ist eine Zeitform gerade sehr beliebt, das Futur. Es werde etwas geschehen, das sagt mal der Sprecher der Revolutionsgarde, mal der Sprecher des Parlaments, mal der Stabschef der Armee. Fast scheint es, als würden sich die Regimegrössen in Teheran absprechen, wer Israel heute droht und wer morgen. Was in der Islamischen Republik Iran nach aussen dringt, ist orchestriert, wohl auch das, was nicht offiziell gesagt, sondern was durchgestochen wird. Und da klingt die iranische Botschaft an Israel und den Rest der Welt ein wenig komplexer.
Es könne sein, so sagte es gerade eine anonyme Quelle der «Financial Times», «dass gar nichts passiert oder dass es eines Nachts passiert». Der Iran wolle «verhindern, dass sich die Bewohner von Israel wohlfühlen». Die Israelis, anders gesagt, sollen genau in jener Angst leben wie in diesem Moment. Sie sollen sich fragen, wann die Iraner angreifen und wie sie es tun werden. Es ist eine Art der psychologischen Kriegsführung.
Zwei Wochen ist es her, dass der Hamas-Mann Ismail Haniya in Teheran getötet wurde, mutmasslich von Israel. Am Tag der Amtseinführung des neuen Präsidenten, Masoud Pezeshkian. Die Frage, wie der Iran darauf reagiert, steht seitdem im Raum. Der Iran, so viel ist klar, muss reagieren. Dass es Haniya nicht schützen konnte, ist dem Regime peinlich. Allerdings will es vermeiden, dass die Region in einen grossen Krieg stürzt. Daran hat der Iran kein Interesse.
Teheran will besseres Verhältnis zum Westen
Die iranische UNO-Vertretung sagte, die «Reaktion» auf Haniyas Tod solle den «möglichen Waffenstillstand in Gaza nicht beeinträchtigen». Der Iran möchte den Waffenstillstand, denn er würde bedeuten, dass die verbündete Hamas weiterhin in Gaza das Sagen hat. Das wäre für das iranische Regime fast ein Sieg – und es könnte behaupten, das Leid der Palästinenser sei nur zu Ende gegangen, weil sich Israel vor den iranischen Raketen fürchtete.

Zudem wünscht sich der Iran ein besseres Verhältnis zum Westen. Präsident Pezeshkian lotet im Auftrag von Ali Khamenei, dem Obersten Führer, einen neuen Atomdeal aus. Angeblich hat Pezeshkian bei Khamenei für einen eher begrenzten Schlag gegen Israel geworben. Auch das hat man durchblicken lassen, wohl mit Kalkül: Pezeshkian, der sich Reformer nennt, soll als das freundliche Gesicht des Regimes erscheinen. Am Ende entscheidet Ali Khamenei.
Aber auch er will keinen Flächenbrand im Nahen Osten. Ebenso wenig wie die libanesische Hizbollah, deren Land in der Dauerkrise steckt, ebenso wenig wie Russland und China, was in Teheran fast mehr Gewicht haben dürfte als Mahnungen aus Europa. Wladimir Putin hatte letzte Woche seinen Vertrauten Sergei Schoigu in den Iran geschickt, der warnte die iranische Führung vor einem grösseren Krieg gegen Israel. Ähnliches war aus Peking zu hören.
Iran weiss inzwischen, wie weit er gehen kann
Abschrecken soll den Iran die Militärmacht, die die Vereinigten Staaten in die Region entsandt haben. Dazu zählen inzwischen ein zweiter Flugzeugträger und ein Atom-U-Boot. Die US-Präsenz wird eine Rolle spielen, wenn die Führung in Teheran die Risiken abwägt. Die Gefahr für sich selbst, also für das Überleben des Regimes, ist immer in den Köpfen der Führung. Sie wird mit Sicherheit nichts tun, was die USA in einen Krieg zwingen würde.
Allerdings ist das ein unwahrscheinliches Szenario. Bei seinem Raketenangriff auf Israel am 13. April hat das iranische Regime gelernt, womit es ohne grössere Konsequenzen davonkommt. Die USA schossen damals iranische Raketen ab, blieben aber defensiv. Selbst die israelische Reaktion war vorsichtig. In Teheran wissen sie seither, wie weit sie gehen können. Das ist für sie ein Wert für sich: dass sich Israel bedroht fühlt und bedroht fühlen muss – durch den Iran, aber auch durch das Raketenarsenal der Hizbollah.
Realistisch ist es deshalb, dass der Iran nun, anders als im April, gemeinsam mit der Hizbollah agiert und mit anderen Milizen wie den jemenitischen Huthi. Israel soll die Macht der «Achse des Widerstands» spüren, wie der Iran sein Bündnis nennt. Nur nicht so stark, dass es zum ganz grossen Krieg kommt.
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