US-Vorwahlen in New HampshireNikki Haley kämpft um ihre letzte Chance
Die 52-Jährige versucht, die Gegner von Donald Trump hinter sich zu scharen. Die Begeisterung für den Ex-Präsidenten ist aber ungebrochen – und Haley wirkt zunehmend verzweifelt.
Sie habe ihren Mann betrogen, sie wolle Senioren die Rente streichen, sie sei keine richtige Amerikanerin, dafür eine Kriegsgurgel und eine verkappte Demokratin: Donald Trump zieht in New Hampshire seine Angriffe gegen Nikki Haley bereits aus der untersten Schublade. Dabei steht dort erst die zweite Etappe einer Vorwahl bevor, die offiziell bis zum Parteitag im Juli dauern soll. Seine Fans sind begeistert. «Birdbrain», Vogelhirn, skandierten sie im Opernhaus von Rochester.
Trump mag nicht bis im Juli warten, auch nicht bis zum Super Tuesday im März, nicht einmal bis Februar, um sich den Status als offizieller Kandidat seiner Partei für die Präsidentschaftswahl vom 5. November zu sichern. Die Entscheidung will er schnell herbeiführen, möglichst schon am Dienstag, wenn in New Hampshire eine Million Wählerinnen und Wähler aufgerufen sind, ihre Kandidaten auszusuchen.
Haley ist die einzige Alternative
Nikki Haley ist seit Sonntag die einzige republikanische Kandidatin, die noch Widerstand leistet, die einzige Alternative für Konservative, die den früheren Präsidenten mit seinen Allmachtsfantasien nicht noch einmal im Weissen Haus sehen wollen. Es ist noch nicht so lange her, dass Ron DeSantis die besten Karten zu haben schien. Am Sonntag schied der Gouverneur von Florida aus dem Präsidentschaftsrennen aus, weil er bei der ersten Vorwahl in Iowa zu klar seine Ziele verfehlt hatte.
Nun versucht Haley in New Hampshire, eine Koalition all jener hinter sich zu scharen, die Trump verhindern wollen. Sie griff ihn in New Hampshire namentlich hart an, nach langem Zögern, vermutlich zu langem, um noch gegen den Meister des politischen Mobbings anzukommen (lesen Sie hier die Analyse zu Haley zaghaftem Wahlkampf). «Donald Trump lügt in jeder einzelnen Wahlwerbung über mich», sagte sie am Sonntagmorgen auf einer Bühne in der Schulturnhalle von Derry, 33’000 Einwohner, viertgrösste Stadt in dem kleinen Bundesstaat.
Seit der ersten Vorwahl in Iowa vor einer Woche tourte sie durch den kleinen Staat im Nordosten der USA, der eine Million Wahlberechtigte zählt. Diese tragen den Ruf, ihr Wahlrecht unabhängig und eigenwillig auszuüben. Haley betrachtet das als ihre Chance. Sie hat ihrer Agenda in der vergangenen Woche neue Wahlkampfanlässe hinzugefügt, bis zu drei pro Tag.
Wem wenden sich die DeSantis-Anhänger zu?
Es sieht aus wie ein Schlussspurt, weil es wohl einer ist. Am Dienstag könnte alles vorbei sein, falls Nikki Haley in New Hampshire kein gutes Resultat erzielt. Ihr würde ein Verliererinnenimage anhaften wie zuletzt Ron DeSantis, die Abwärtsspirale wäre kaum mehr aufzuhalten. Selbst in ihrem Heimatstaat South Carolina hätte sie dann keine Chance mehr, erst recht, seit sich dort der beliebte Senator Tim Scott dem Team von Trump angeschlossen hat.
Haley hat zwar zugelegt in den Umfragen der letzten Tage, um 3 Prozentpunkte allein seit der Vorwahl in Iowa, seit sie sich deutlicher gegen Trump positioniert. Doch dieser hat sich in derselben Zeit um 5 Prozentpunkte gesteigert. Er führt inzwischen mit 14 Prozentpunkten vor Haley, die Mehrheit der DeSantis-Anhänger dürfte sich laut Umfragen ebenfalls ihm zuwenden.
Die Reaktionen des Publikums bei den Auftritten der beiden Politiker liessen wenig Zweifel daran, dass Haley eher keine Chance haben wird. Trumps Anlässe sind wie Rockkonzerte, eine süsse Marihuana-Wolke schwebt über der langen Menschenschlange, die sich schon Stunden vor Türöffnung bildet, zwischen Marktständen voller T-Shirts mit «Terminator Trump»-Aufdruck.
Trumps Publikum johlt
Drinnen unterhielt der frühere Präsident am Abend dann die Leute, er lieferte Stichworte, das Publikum johlte bei seinen Einsätzen. Alle wussten, dass sie jubeln müssen, wenn Trump über sein Resultat von Iowa prahlt, alle wussten, dass sie buhen müssen, wenn Trump behauptet, die Wahl 2020 hätten die «radikalen Demokraten» gestohlen. Bei Neil Devanna aus Rochester kommt das sehr gut an. «Donald Trump ist der bestmögliche Kandidat, um unser Land wieder auf den richtigen Weg zu bringen», sagte er. Motivierte Trump-Wähler wie er dürften am Dienstag die Wahllokale stürmen, im übertragenen Sinn für einmal.
Dagegen wirkten die Reaktionen auf Haley unterkühlt. Die Turnhalle von Derry war zwar voll besetzt, frenetischen Applaus wie Trump erhielt sie aber kein einziges Mal. Nicht einmal die Gemeinheiten gegen Trump gelangen ihr. «Wollen wir wirklich zwei Präsidentschaftskandidaten um die 80?», rief die Politikerin, die am Vortag ihren 52. Geburtstag gefeiert hatte. Gemeint war das als rhetorische Frage, doch eine ältere Frau im Publikum wies sie zurecht: «Schauen Sie hier rüber. Es sind viele Senioren hier.» Verlegen versicherte Haley, sie wolle nicht respektlos sein. Aber mit dem Alter setze der Niedergang ein.
Begeisterungsstürme weckt die frühere Gouverneurin von South Carolina kaum, selbst bei jenen, die sie mögen. «Ich neige stark dazu, Nikki Haley zu wählen», war das vorsichtige Fazit von Elaine Oulundsen nach einem Anlass in Manchester. «Sie hat alle Probleme erwähnt, die mich nachts wach halten.» Die Amerikaner müssten endlich wieder stolz sein auf ihr Land und die Grenze schützen, womit sie nicht die nahe Grenze zu Kanada meinte, sondern jene zu Mexiko, 3000 Kilometer weit weg. Tränen des Kummers füllten die Augen der Rentnerin. Vielleicht werde sie am Dienstag dann doch Trump vorziehen.
Unter den überzeugtesten Haley-Wählern finden sich nicht wenige Demokraten. Sie können sich in New Hampshire als parteilose Wähler registrieren, um bei den Republikanern mitzustimmen, einer der Gründe, der die dortigen Vorwahlen unberechenbarer macht als andere. Eine solche Demokratin ist Hella Ross aus Rochester, die taktisch wählen will, um zu verhindern, dass Donald Trump noch einmal Kandidat der Republikaner wird. «Falls die Demokraten verlieren und Nikki Haley Präsidentin wird, könnte ich damit leben. Aber eine zweite Trump-Amtszeit überleben wir nicht», sagte die 69-Jährige in Derry. Auch ihre Freundin Marie Corrigan, 76, will eine taktische Stimme einlegen, wie sie sagte: «Niemand ist zu 100 Prozent zufrieden mit Haley, aber niemand verspürt starke Abneigung gegen sie.»
Das war auch schon anders, vor allem die Abneigung. Als Haley 2007 erstmals Gouverneurin wurde, war sie für die radikale Tea Party angetreten, die Wirtschaftskammer von South Carolina lehnte sie ab. Inzwischen verkörpert sie für viele genau jenes Establishment, finanziert von konservativen, aber wirtschaftsnahen Geldgebern wie den Koch Brothers.
Beim Wahlkampf in New Hampshire versuchte es Haley mit einem Mittelweg. Sie vermied zum Beispiel das Thema Abtreibungen, weil sie mit ihren konservativen Ansichten in New Hampshire eher Widerstand weckt, als Zustimmung erntet. Dafür redete sie viel über das Staatsdefizit, durchaus ein wichtiges Problem, aber nicht eines, das den Amerikanern derzeit schlaflose Nächte bereitet wie die Einwanderung. Haleys Kampagne zeigt die Schwierigkeit, eine heterogene Koalition mit unabhängigen und linken Wählern um sich zu scharen, trotz der starken Abneigung, die viele Amerikaner gegenüber Donald Trump verspüren.
Fehler gefunden?Jetzt melden.