Giga-Rettungspaket für die USA1'900’000'000’000 Dollar gegen die Pandemie
Der US-Senat billigt das Corona-Hilfspaket von Präsident Biden, auf das viele Bürger sehnlich gewartet haben. Manche Experten warnen allerdings vor möglichen unerwünschten Folgen.
Keine Frage, Menschen, die von der Corona-Krise finanziell schwer gebeutelt sind, gibt es auch in anderen reichen Industrienationen. Hungern, frieren oder gar auf der Strasse leben allerdings müssen die meisten von ihnen wohl nicht – anders als in den USA, wo Millionen Bürger im Zuge der Pandemie fast alles verloren haben: den Job, die Krankenversicherung, die Ersparnisse, manche die Wohnung. Seit Monaten bilden sich vor den Suppenküchen und karitativen Essensausgaben des Landes lange Schlangen. Nicht nur Obdachlose, Kriegsveteranen und Rentner stehen für einen Teller Eintopf oder ein Sandwich an, sondern inzwischen auch Lehrer, Kellner und Schuhverkäufer.
Für sie alle hätte das Corona-Hilfspaket des neuen US-Präsidenten Joe Biden kaum später kommen dürfen, das am Samstagabend nach mehr als eintägiger Debatte im Kongress die letzte grosse Hürde genommen hat: Mit 50 zu 49 Stimmen votierte der Senat für den «Amerikanischen Rettungsplan», der alles in allem Hilfen im Umfang von kaum mehr vorstellbaren 1,9 Billionen Dollar (1,77 Billionen Franken) vorsieht. Damit das Gesetz in Kraft treten kann, fehlen nun nur noch die Zustimmung des Repräsentantenhauses, das den Entwurf allerdings im ersten Durchgang bereits gebilligt hatte, und Bidens Unterschrift.
Ein zentrales Wahlversprechen Bidens
Das Paket, laut New York Times das «grösste Armutsbekämpfungsprogramm seit einer Generation», sieht unter anderem direkte Zahlungen in Höhe von jeweils 1400 Dollar an die grosse Mehrheit der Bürger, Hilfen für sozial Schwache, für Selbständige, Betriebe, Schulen, Bundesstaaten und Kommunen, Steuererleichterungen und einen Ausbau der Corona-Impfzentren sowie der Test- und Forschungskapazitäten vor.
Für Biden ist die Entscheidung des Senats der erste grosse gesetzgeberische Erfolg seiner noch jungen Präsidentschaft und zugleich die Umsetzung eines zentralen Wahlversprechens. Sein Versuch allerdings, zumindest einige der republikanischen Kongressmitglieder für eine Zustimmung zu gewinnen und die Bekämpfung der Corona-Krise so zu einer parteiübergreifenden Angelegenheit zu machen, scheiterte.
Stattdessen waren die Debatten im Kongress wenige Monate nach den Wahlen bereits wieder von jenen tiefen politischen Gräben gekennzeichnet, die die beiden grossen Parteien seit Jahren voneinander trennen. Die Republikaner warfen den Demokraten vor, das Covid-Gesetz für die Umsetzung einer zumindest in Teilen sachfremden «liberalen Wunschliste» zu missbrauchen. Chuck Schumer, der demokratische Mehrheitsführer im Senat, konterte, Menschen «aus dem Morast» zu helfen, sei keine liberale, sondern eine «amerikanische Wunschliste».
Die Kritik der Republikaner richtete sich unter anderem gegen die ursprünglichen Pläne Bidens, eine schrittweise Anhebung des bundesstaatlichen Mindestlohns von derzeit 7,25 auf 15 Dollar pro Stunde in dem Gesetz zu verankern. Die Idee scheiterte allerdings am Ende nicht am Widerstand der Opposition, sondern an der Hausjuristin des Senats – einer Demokratin: Sie verwies darauf, dass der Präsident für die Durchsetzung des Gesetzespakets eine Sonderregel nutze, mit der die eigentlich notwendige 60-Stimmen-Mehrheit im 100-köpfigen Senat aufgeboben wird. Eine Anhebung des Mindestlohns mit Hilfe dieser Regel aber sei unzulässig.
90 Prozent der Amerikaner bekommen die Direktzahlung
Änderungen im Vergleich zur ursprünglichen Planung gab es auch bei den Direktzahlungen an die Bürger. Die Einkommensobergrenze, bis zu der man die vollen 1400 Dollar erhält, wurde auf 75'000 Dollar pro Person und Jahr beziehungsweise 150'000 Dollar für Paare gesenkt. Senator Joe Manchin vom rechten Parteiflügel der Demokraten, auf dessen Stimme Biden angewiesen war, sagte, es sei wichtig, dass das Geld zielgerichtet ausgeben werde.
Auch mit der neuen, niedrigeren Obergrenze aber kommen immer noch etwa 90 Prozent der Amerikaner in den Genuss einer Direktzahlung. Allein die Kosten der Familienhilfen, darunter vor allem auch eine deutlich bessere steuerliche Berücksichtigung von Kindern, werden sich nach offiziellen Schätzungen auf etwa 600 Milliarden Dollar belaufen. Die Finanzämter wollen bereits in Kürze damit beginnen, Schecks zu verschicken.
Für sozial schwache oder von Arbeitslosigkeit betroffene Haushalte stellt der Kongress weitere rund 400 Milliarden Dollar zur Verfügung, unter anderem dadurch, dass die wöchentliche Zahlung von 300 Dollar Arbeitslosengeld pro Betroffenem bis Anfang September verlängert wird. Hinzu kommen Steuervergünstigungen, Lebensmittelhilfen insbesondere für alleinerziehende Mütter sowie Zuschüsse an Mieter und Vermieter, die mit ihren Zahlungen an den Wohnungsgeber beziehungsweise die Bank im Rückstand sind. Das ist derzeit millionenfach der Fall.
Weitere 400 Milliarden Dollar sollen in die nochmalige Beschleunigung der Corona-Impfungen und andere direkte Massnahmen zur Pandemiebekämpfung fliessen. Die von Mehrausgaben und Steuerausfällen gebeutelten Bundesstaaten und Kommunen können mit etwa 350 Milliarden, kleinere Unternehmen mit Darlehen und Zuschüssen im Gesamtumfang von 150 Milliarden Dollar rechnen.
Kann die Nachfrage bewältigt werden?
Die meisten Experten sind sich einig, dass zumindest ein erheblicher Teil der US-Bürger die Hilfen vom Staat dringend braucht. Strittig ist dagegen, welche gesamtwirtschaftlichen Folgen die Kapitalspritze haben wird, die sich auf immerhin rund neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts belaufen wird. Während viele Ökonomen glauben, dass Bidens Programm den USA einen robusten, weitgehend gesunden Aufschwung ermöglichen wird, fürchten andere, dass Industrie, Handel und Dienstleister den Nachfrageboom nach einer Wiedereröffnung aller Geschäfte sowie der Aufhebung von Maskenpflicht und Abstandsgeboten nicht werden bewältigen können. Die Folge wäre eine rapide steigende Inflationsrate, derer die US-Notenbank kaum Herr werden könnte, ohne einen Crash an den Finanzmärkten und einen massiven Anstieg der Kreditzinsen zu verursachen.
Die Regierung Biden dagegen hält derlei Prognosen für puren Alarmismus. Finanzministerin Janet Yellen, als Notenbankchefin bis Anfang 2018 gewissermassen oberste Inflationsbekämpferin des Landes, etwa erklärte in den vergangenen Wochen beinahe mantrahaft, die Gefahr sei nicht, dass man zu viel tue, sondern zu wenig. «Die Menschen leiden, vor allem Geringverdiener und Angehörige von Minderheiten – und das alles, obwohl sie selbst absolut nichts falsch gemacht haben», sagte sie jüngst. «Wir müssen sie auf die sichere Seite zurückholen und dafür sorgen, dass ihr Leben nicht dauerhaft Schaden nimmt.»
Claus Hulverscheidt
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