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Sanktionen gegen Russland
Der amerikanische Vorwurf – und die nervöse Reaktion der Schweiz

Mahnwache vor dem Bundeshaus gegen den Krieg in der Ukraine. Die offizielle Schweiz unternehme zu wenig, um Putin zu stoppen, sondern helfe seinen Günstlingen, Geld zu verstecken, kritisiert eine amerikanische Kommission.
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Bundesratssprecher André Simonazzi ist eher für diplomatische Zurückhaltung bekannt als für harsche Worte. Diesen Mittwoch aber sprach er für einmal Klartext. Der Bundesrat habe «mit grossem Erstaunen» Kenntnis genommen von Anschuldigungen aus den USA gegen die Schweiz, sagte Simonazzi an einer Medienkonferenz. Die Landesregierung weise die Vorwürfe «aufs Schärfste» zurück. Aussenminister Ignazio Cassis habe dem US-Amtskollegen Antony Blinken kürzlich sein «Erstaunen» und seine «Unzufriedenheit» mitgeteilt.

Was ist geschehen? Warum diese Nervosität? Der Grund ist in Washington zu suchen. Dort hat eine unabhängige Kommission der US-Regierung für Donnerstagnachmittag zu einem öffentlichen «Briefing» eingeladen. Nur schon die Ankündigung versetzte den Bundesrat offenbar so in Aufregung, dass Sprecher Simonazzi seine gewohnte Zurückhaltung ablegte.

«Schlimmer als ein Piratenloch»

Die Einladung war allerdings auch in ungewöhnlicher Schärfe abgefasst. Selbst der emeritierte Basler Strafrechtsprofessor Mark Pieth, der als Experte fürs Briefing angekündigt wurde, räumt ein, man hätte meinen können, «die Schweiz sei schlimmer als ein Piratenloch».

Wörtlich hiess es: Die Schweiz, «seit langem bekannt als Ort für Kriegsverbrecher und Kleptokraten», sei nun auch eine «führende Gehilfin» für den russischen Präsidenten Putin und seine Kumpane. Das Schweizer Bankgeheimnis schütze die illegalen Vermögen der Oligarchen. Ja die Schweizer Justiz sei gar korrumpiert durch die Russen. Das führe zur Frage, ob die USA ihre bilateralen Beziehungen zur Schweiz überdenken sollte.

So begann es schon einmal

Diese Formulierungen wecken Erinnerungen an frühere Schwierigkeiten zwischen der Schweiz und den USA. Schon einmal hatte sich in Washington mit Medienkonferenzen und einem Hearing etwas zusammengebraut, was sich bald als ausgewachsener Sturm erweisen sollte: 1995 erhob die jüdische Amerikanerin Greta Beer an einem Hearing von Senator Alfonse D’Amato den Vorwurf, Schweizer Banken liessen Gelder auf Konten aus dem Zweiten Weltkrieg, sogenannte nachrichtenlose Vermögen, einfach verschwinden.

Die Schweiz wollte sich zuerst nicht damit beschäftigen, doch in den USA nahm das Thema Fahrt auf. Als die Amerikaner den Banken schliesslich mit Sanktionen drohten, musste der Schweizer Finanzplatz einlenken. 1999 willigte er ein, 1,2 Milliarden Dollar an Entschädigungen auszuschütten.

Steht der Schweiz nun erneut ein solches Rendez-vous mit ihrer eigenen, nicht aufgearbeiteten Geschichte bevor?

Diesen Eindruck erweckte zumindest die Tonalität am Briefing in Washington. Harsch wurde die Schweiz dort kritisiert als «Putin’s enabler» – «Putins Gehilfin». Besonders pointiert äusserte sich der britisch-amerikanische Investor und Antikorruptionsaktivist Bill Browder. «In der Schweiz ist etwas faul.»

Der Antikorruptionsaktivist und sein Groll

Browder ist in der Schweiz bestens bekannt: Er beschuldigt die Strafverfolgungsbehörden des Bundes, die eigenen Ermittlungen zu russischen Potentatengeldern im Fall Magnitski hintertrieben zu haben. Sergei Magnitski war Browders Steuerberater. 2009 starb er qualvoll im Gefängnis in Russland, nachdem er einen Korruptionsfall angeprangert hatte. Browder kritisiert viele Länder, aber gegen die Schweiz hegt er einen besonderen Groll, will die Bundesanwaltschaft doch im Magnitski-Fall eingefrorene Millionen an Russen herausgeben.

Das Land, mit dem sich die Kommission mit Abstand am meisten beschäftigt, ist Russland.

Browder dürfte eine treibende Kraft hinter dem Anlass gewesen sein. Er forderte, die USA sollten die Zusammenarbeit mit der Schweiz im Bereich der Rechtshilfe einschränken. Als offizielle Veranstalterin des Briefings trat aber die Helsinki Commission auf. Das ist ein unabhängiges staatliches Gremium der USA, das aus Parlamentariern und Regierungsvertretern besteht. Es beschäftigt sich mit der US-Politik gegenüber allen OSZE-Ländern, den Mitgliedern der Organisation für Sicherheit und wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa. Hauptthema sind die Menschenrechte und Sanktionen wegen Verletzungen dieser Menschenrechte.

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Das Land, mit dem sich die Kommission mit Abstand am meisten beschäftigt, ist Russland. Darum kennt auch Browder die Helsinki Commission gut: Er arbeitete mit ihr zusammen, damit der US-Kongress im Fall Magnitski Sanktionen verhängte.

Seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine fokussiert das Gremium nun darauf, wie sich die im Ausland gebunkerten Vermögen der russischen Oligarchen beschlagnahmen lassen. Browder kennt sich mit der Materie aus: Russische Steuerbeamte und andere Involvierte, so sein mit Dokumenten untermauerter Vorwurf, hätten via seine Firmen über 200 Millionen Dollar gestohlen, die er unter anderem auf Schweizer Konten ausfindig machte. Nun, da Amerikaner und Europäer weltweit nach Oligarchenvermögen fahnden, konnte Browder mit dem Briefing den Fokus erneut auf die Schweiz lenken.

«Korrupt oder absolut unfähig»

Die dabei erhobene Kritik ist teilweise berechtigt. Strafrechtsprofessor Mark Pieth etwa wies auf Lücken im Vollzug der Russlandsanktionen hin. Diese sieht er vor allem bei Anwälten und Finanzberatern: Diese unterstehen bei Geschäften mit reichen Kunden nicht immer dem Geldwäschereigesetz. Das bedeutet, dass sie nicht einmal verpflichtet sind, die Identität ihrer Kunden zu kennen. So können sie auch keine Verstösse gegen Sanktionsbestimmungen melden und sich erst noch hinter dem Berufsgeheimnis verstecken. Neue Punkte wurden hingegen nicht angeführt.

Bill Browder kritisierte in seinem Votum vor allem die Bundesanwaltschaft, die unter dem früheren Chef Michael Lauber russlandhörig gewesen sei. Er bezeichnete sie sogar als «korrupt oder absolut unfähig».

Der Basler Rechtsprofessor Mark Pieth  wies auf Lücken im Vollzug der Russland-Sanktionen hin.

Ob das Briefing der Beginn einer breiteren Kampagne gegen die Schweiz ist, lässt sich noch nicht abschätzen. Bei den nachrichtenlosen Vermögen nahm der öffentliche Teil der Kontroverse mit einem Hearing in einer Parlamentskommission seinen Lauf. Die Helsinki Commission ist ungleich weniger bedeutend. Das Briefing vom Donnerstag verfolgten rund 250 Personen, in den amerikanischen Medien war es bislang kein Thema.

Sollte sich allerdings eines der Kommissionsmitglieder in das Thema verbeissen und dieses ins Parlament einbringen oder bei der Regierung vorsprechen, könnte die Schweiz sehr schnell unter stärkeren Druck geraten. Kurz zu Wort meldete sich Senator Roger Wicker, ein Republikaner aus Mississippi. Er hatte sich schon in der Causa Magnitski für die Schweiz interessiert und wegen der Russlandreisen eines Mitarbeiters der Bundesanwaltschaft beim Schweizer Botschafter interveniert. Er gab sich auch diesmal empört und sagte, er werde demnächst ans WEF in Davos sowie nach Genf reisen und dabei das Thema ansprechen. Allerdings war das eine reichlich unverbindliche Ansage, und sein Büro beantwortete Fragen dazu ebenfalls nicht.

Ratlosigkeit im Bundeshaus

Ratlosigkeit hinterlässt die ganze Aufregung bei Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentariern. Nicht einmal der Vizepräsident der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats, Hans-Peter Portmann (FDP), kann die Sache richtig einordnen. Er fragt sich, «welche Legitimation die Helsinki Commission» überhaupt habe. Deren Aktivitäten könnten jedenfalls keine internationalen Auswirkungen haben. Persönlich rät Portmann darum zu einem gelassenen Umgang mit den Anschuldigungen. Er vermutet, es gehe einer Gruppe von US-Politikern lediglich darum, eigene Wirtschaftsinteressen durchzusetzen und den Schweizer Finanzplatz schlechtzumachen.

Tatsächlich hat die Schweiz nach anfänglichem Zögern bislang sämtliche EU-Sanktionen gegen Russland übernommen. Nach allem, was bekannt ist, soll das auch künftig so sein. Und das wird für die Schweiz nicht einfach werden.

Anwälte kommen unter die Lupe

Am Mittwoch hat die EU ihr sechstes Sanktionspaket angekündigt. Laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen soll darin ein Verbot von gewissen Dienstleistungen für russische Unternehmen enthalten sein. Von der Leyen sprach explizit von «Wirtschaftsprüfern, Beratern und Spin-Doktoren», die nicht mehr für russische Kunden arbeiten dürften.

Wie die EU diese Massnahme konkret ausgestalten wird, ist noch offen. Doch auf die Schweiz könnte sie massive Auswirkungen haben. Dann nämlich, wenn sie auch für die Dienstleister von russischen Rohstofffirmen in der Schweiz gelten würde – ein Riesengeschäft, da Genf, Zug und Lugano die weltweit wichtigsten Umschlagplätze für Öl, Gas und Kohle aus Russland sind.

Publizität bekommen haben jüngst wieder auch gewiefte Juristen aus Zürich oder Luzern, welche im Verdacht stehen, für Putins engeres Umfeld Geld versteckt zu haben. Für sie schlug Korruptionsexperte Pieth den Amerikanern vor: «Setzt diese Schweizer Anwälte auf die Sanktionsliste. Dann können sie nicht einmal mehr nach Rimini reisen, ohne eine Verhaftung und die Auslieferung in die USA zu befürchten.» Offen bleibt, ob auch diesmal die Drohung mit solch drastischen Massnahmen nötig ist, bevor die Schweiz reagiert.

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