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Runder Tisch statt Verschärfungen
Trotz gefälschter Unter­schriften: Bundesrat verzichtet auf Sofort­massnahmen

Viktor Rossi, Bundeskanzler, spricht an einer Medienkonferenz ueber die Missbraeuchliche Unterschriftensammlungen, am Freitag, 13. September 2024, im Medienzentrum Bundeshaus in Bern. Keine Nachkontrollen und Sistierungen haengiger Initiativen und Referenden: Laufende Unterschriftensammlungen sollen wie geplant weiterlaufen. Der Bundesrat verzichtet nach dem Bekanntwerden von mutmasslichen Betrugsfaellen auf drastische notrechtliche Massnahmen.(KEYSTONE/Anthony Anex)
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Mutmasslich Tausende Unterschriften für Volksinitiativen sind gefälscht worden, wie Recherchen dieser Redaktion ans Licht gebracht haben. In den vergangenen Tagen wurden deshalb Forderungen laut, die Behandlung hängiger Volksinitiativen zu sistieren und Nachkontrollen durchzuführen. Doch das will der Bundesrat nicht tun: Er unterstütze die Haltung der Bundeskanzlei, davon abzusehen, teilte er am Freitag mit.

Bundeskanzler Viktor Rossi erläuterte vor den Medien die Gründe für den Entscheid. «Es liegen bis heute keine belastbaren Indizien dafür vor, dass Volksbegehren nur dank gefälschter Unterschriften zustande gekommen wären», sagte er. Die Bundeskanzlei ist zu diesem Schluss gekommen, weil sich bisher keine für gültig erklärte Unterschrift nachträglich als gefälscht herausgestellt hat.

«Kann nicht mit Blut unterschreiben»

Sie kann freilich auch nicht ausschliessen, dass eine Initiative nur dank gefälschter Unterschriften zustande gekommen ist. «Ich kann nicht mit Blut unterschreiben, dass nie eine Unterschrift für gültig erklärt wurde, die gefälscht war», sagte Rossi dazu. Aus Sicht der Bundeskanzlei und des Bundesrates genügt das aber nicht, um einschneidende Sofortmassnahmen zu ergreifen.

Für Sistierungen und Nachkontrollen fehlen laut Rossi überdies die rechtlichen Grundlagen. Diese müssten per Notrecht geschaffen werden – und die Bedingungen dafür seien nicht erfüllt. Nachkontrollen wären ausserdem problematisch und von beschränkter Aussagekraft.

Zweifel am Erinnerungsvermögen

Die Behörden müssten stichprobenartig Personen befragen, die eine Volksinitiative unterschrieben haben. Doch erinnern sich die Bürgerinnen und Bürger daran, was sie vor Jahren unterschrieben haben? Rossi hält das für fraglich. Er gab zu bedenken, dass die Unterschriften für die aktuell hängigen Initiativen teilweise vor vier Jahren gesammelt wurden. Hinzu kommt der Überwachungsaspekt: Die Bürgerinnen und Bürger würden es kaum schätzen, wenn die Behörden sie nach ihrer politischen Einstellung befragen würden.

Die Bundeskanzlei macht auch staatspolitische Gründe geltend: Sistierungen und Nachkontrollen würden den eng getakteten Prozess so verzögern, dass die gesetzlichen Fristen für die einzelnen Schritte nicht eingehalten werden könnten. 

In die Zukunft schauen – und aufs Schweizer System

Die Devise der Bundeskanzlei und des Bundesrates lautet deshalb: «Im Zweifel für die Volksrechte.» Man wolle nicht zurückschauen, sondern nach vorne, sagte Rossi. Auch für die Zukunft empfiehlt die Bundeskanzlei allerdings keine grundlegenden Änderungen. 

Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass die Unterschriftensammlung im Gesetz bewusst niederschwellig ausgestaltet ist. Dieser Charakter soll gewahrt werden. Dass sich Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel auf der Gemeinde identifizieren und ihre Unterschrift deponieren müssten, passe für ihn nicht zum Schweizer System, sagte Rossi. 

Warten auf die Bundesanwaltschaft

Klar ist aber auch, dass das Vertrauen in dieses System zurzeit angeschlagen ist. «Unlautere Sammelpraktiken sind nicht akzeptabel», so Rossi. «Wir sind froh, dass sie aufgedeckt wurden.» Der richtige Weg sei die Strafverfolgung. Eine erste Strafanzeige hatte die Bundeskanzlei bereits 2022 eingereicht. Der Bundesrat wurde laut Rossi 2023 darüber informiert. Eine zweite Strafanzeige ist in Vorbereitung. Bei beiden handelt es sich um Anzeigen gegen unbekannt. Rossi liess durchblicken, dass er auf rasche Ergebnisse hofft.

Daneben prüft die Bundeskanzlei die Unterschriftenlisten nun genauer und nach dem Vieraugenprinzip. Gesucht wird nach Mustern, etwa nach Namens- und Adresseinträgen, die mit derselben Handschrift verfasst wurden. Kaum erkannt werden dagegen von einer Initiative zu einer anderen kopierte Unterschriften. 

Selbstregulierung statt Gesetze

Schliesslich will die Bundeskanzlei einen runden Tisch einberufen – ein beliebtes Mittel der Behörden bei Problemen aller Art. Teilnehmen sollen Parteien, Verbände, Komitees, Sammelorganisationen und Behörden. Das Ziel: Massnahmen zur Vermeidung von Missbrauch erarbeiten. Die Bundeskanzlei stellt sich eine Selbstregulierung vor. Die Akteure würden demnach Standards entwickeln und sich zu deren Einhaltung verpflichten. 

Das könnte etwa bedeuten, dass auf den Unterschriftenbögen der Name des Sammlers vermerkt ist. So liesse sich Transparenz schaffen. Für obligatorische Transparenzmassnahmen fehlt wiederum die rechtliche Grundlage. Gesetzesänderungen möchte die Bundeskanzlei erst dann in Betracht ziehen, wenn freiwillige Massnahmen versagen.

Technische Massnahmen prüfen

Unterschriftensammlungen gegen Bezahlung sind für Rossi zwar nicht der Idealfall. Der Idealfall sei der Unterschriftensammler, der sich mit dem Anliegen identifiziere und samstags auf dem Markt die Passanten zu überzeugen versuche, sagte der Bundeskanzler. Doch auch kommerzielle Sammlungen könnten korrekt ablaufen. Ein Verbot ist also nicht geplant. Hingegen sollen technische Massnahmen geprüft werden, um die Unterschriftensammlungen besser gegen Missbrauch und Betrug zu schützen. Zum Beispiel die elektronische Identität.

Rossi machte aber deutlich, dass die direkte Demokratie weiterhin zu einem guten Teil auf Vertrauen basieren soll. Auch wenn dieses nach den jüngsten Enthüllungen angeschlagen ist.