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«Unsere dunkelste Stunde»

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Schlimmer konnte es nicht kommen. Das Coronavirus hat in Italien mehr als 460 Todesopfer gefordert, die höchste Zahl ausserhalb Chinas. Kein Land in Europa trifft das Virus in einer gefährlicheren Ausgangslage. Hinter Italien liegen zwei Jahrzehnte Stagnation. Seit 2008 hat es nacheinander eine Finanzkrise, eine Schuldenkrise und die tiefste Wirtschaftskrise seiner Geschichte durchgemacht.

Auch deshalb steckt das geschwächte Land in einer politischen Systemkrise. Wegen seiner horrenden Staatsschulden ist Italien das schwächste Glied der Eurozone, von ihm geht das höchste Risikopotenzial für die Währungsunion aus. Das Virus wütet in Italien – das ist das Worst-case-Szenario für Europa. Premier Giuseppe Conte sprach von «unsrer dunkelsten Stunde.» Am Abend weitete die Regierung die Sperrungen und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit auf das ganze Land aus. (Lesen Sie hier, wie Premier Conte sich als Krisenmanager schlägt.)

Italiens Wirtschaftsmotor lahmt

Schlimmer konnte es nicht kommen, auch weil das Epizentrum der Lungenkrankheit ausgerechnet in der Region Lombardei rund um Mailand liegt, dem Motor der italienischen Wirtschaft. Das Kraftzentrum steht ebenso unter Quarantäne wie das ganze Land. Die lombardischen Unternehmen beschäftigen ein Viertel der Mitarbeiter der italienischen Industrie. Sie stellen 27 Prozent der Exportwaren her. Und sie sind am engsten verflochten mit den Firmen in Deutschland und Frankreich.

Die Viruserkrankung und die harten Massnahmen zu ihrer Eindämmung haben Italien innerhalb von wenigen Tagen in den wirtschaftlichen Notstand gestürzt. Ausserhalb der Lombardei wurden zunächst in Nord- und Mittelitalien 14 Provinzen in Venetien, dem Piemont, der Emilia Romagna und der Marken zur Sicherheitszone erklärt. Das Gebiet darf nur betreten oder verlassen, wer «unaufschiebbare» Gründe hat. Die Bevölkerung in der Sicherheitszone ist aufgefordert, möglichst zu Hause zu bleiben. Am Abend schliesslich wurden die Massnahmen auf ganz Italien erweitert.

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Niemand weiss so recht, wovor man sich mehr fürchten soll: vor dem Virus oder vor den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der drakonischen Massnahmen, die der rasanten Verbreitung Einhalt gebieten sollen. Verheerend wirken beide, das Virus und der Kampf dagegen.

Italien hat keine Reserven, um auf den externen Schock zu reagieren. Das Land schlägt sich mit hohen Schulden und niedriger Produktivität herum. Ihm fehlen damit die Antikörper, um mit den Virusfolgen fertig zu werden. Ist die gesundheitliche Gefahr irgendwann gebannt, wird die konjunkturelle Erholung wegen des niedrigen Wachstumspotenzials schleppend verlaufen. Bereits im vierten Quartal 2019 schrumpfte die Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent.

So schnell wie das Virus sich in den vergangenen zwei Wochen in Italien ausgebreitet hat, können die Konjunkturforscher ihre Prognosen gar nicht herunterstufen. Die US-Ratingagentur Moody's sieht das Mittelmeerland bereits jetzt in der Rezession. Für 2020 erwartet man einen Rückgang der Wirtschaftskraft um 0,5 Prozent, das Defizitziel könnte auf 2,8 Prozent angehoben werden.

Angesichts der Eskalation der gesundheitlichen Gefahr sind diese Berechnungen allerdings eher müssig. Der italienische Industrieverband Confindustria veröffentlichte am Freitag die Ergebnisse einer Befragung von 4000 Unternehmen. 65 Prozent klagten bereits über Umsatzeinbussen durch das Coronavirus. Am härtesten trifft es die Gastronomie und die Hotels (99 Prozent) gefolgt von der Transport- und Logistikbranche (83 Prozent). Ihre Hauptprobleme seien der Nachfragerückgang im Inland und der Imageschaden im Ausland. Die italienischen Handelskammern rechnen mit einem wirtschaftlichen Schaden von 37 Milliarden Euro, sollte der Notstand bis Juni anhalten.

«Wir befinden uns in einer Situation wie nach dem Kriegsende.»

Marco Tronchetti Provera, Pirelli-Chef

Während die Virologen in aller Welt unter Hochdruck nach einem Impfstoff fahnden, suchen Firmen, Banken und Politiker in Italien verzweifelt nach einem Impfstoff gegen die Rezession.

Die Regierung will 7,5 Milliarden Euro als Soforthilfe bereitstellen, um die ökonomischen Virusfolgen abzufedern. Ein Drittel davon soll für die Zahlung von Kurzarbeitergeld und für die Beurlaubung von Eltern eingesetzt werden, die nach der Schliessung aller Kindergärten und Schulen im Land den Nachwuchs zu Hause betreuen müssen. Man tut alles dafür, auch im Krisengebiet die Produktion und das Transportsystem aufrechtzuerhalten. Mit der Einrichtung der Sicherheitszone im Norden des Landes wurde zwar die Bewegungsfreiheit eingeschränkt, aber keine Ausgangssperre verhängt.

Die Italiener haben das Trauma des Jahres 2008 nie überwunden. Was damals weit weg mit der amerikanischen Subprime-Krise begann, hat das Land ein Viertel seiner Industrieproduktion, eine Pleitewelle unter den Banken und die Explosion der Staatsverschuldung gekostet. Heute muss es sich einer neuen Krisenspirale entgegenstemmen. Die Risikoprämie auf italienische Staatsanleihen ist am Montag in wenigen Stunden von 1,8 Prozentpunkten auf 2,3 Punkte hochgeschnellt.

Firmen und Banken pumpen Geld in System

Die italienischen Banken sprangen den betroffenen Unternehmen zur Seite, um eine Pleitewelle zu verhindern. In Schwierigkeiten geratene Firmen können die Ratenzahlungen auf ihre Kredite für zwölf Monate aussetzen. Die Regierung denkt mit der römischen Zentralbank über staatliche Garantien nach, die den Banken bei dem Moratorium helfen sollen. «Den Unternehmen die Liquidität zu garantieren, ist eine Schlüsselmassnahme in diesem Moment», sagt Vize-Finanzminister Antonio Misani.

Doch es ist auch die Stunde, in der die Mailänder Pragmatismus zeigen. Carlo Messina, Chef der Banca Intesa, stellte dem Staat 100 Millionen Euro zum Ausbau der Intensivstationen und zum Ankauf von medizinischem Gerät zur Verfügung. Dutzende Mailänder Unternehmen wie Armani, die Supermarktkette Esselunga und der Reifenhersteller Pirelli folgten dem Beispiel. «Wir befinden uns in einer Situation wie nach dem Kriegsende», sagt Pirelli-Chef Marco Tronchetti Provera.

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