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Neuer Film über Miles Davis
Unkonventioneller Musiker, konventioneller Film

Die Jazzgeschichte wird in die Phase vor und in jene nach dem Album «Bitches Brew» von Miles Davis eingeteilt.
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Miles Davis hatte den Jazz bereits mehrmals neu erfunden, als er mit 43 Jahren zu seiner wohl innovativsten Schaffensphase ansetzte. Für den Trompeter standen neben künstlerischen Ambitionen damals auch geschäftliche Interessen im Vordergrund. Während er sich für kleine Gagen in winzigen Clubs abmühte, begeisterten junge Rockbands Tausende Menschen bei bestens bezahlten Stadionkonzerten: Jimi Hendrix, Carlos Santana und Sly Stone waren nur einige von vielen Künstlern, die harmonische und rhythmische Konzepte von Davis übernommen hatten. Nun wollte der Meister von seinen Schülern lernen.

Im August 1969 holte Davis viele spätere Jazz-Grössen wie Wayne Shorter, Chick Corea, John McLaughlin, Joe Zawinul und Billy Cobham zu sich in die Studios der New Yorker Plattenfirma Columbia. Das 1970 erschienene Doppelalbum «Bitches Brew», das bei diesen Sessions erarbeitet wurde, gilt nicht umsonst als Geburtsstunde des sogenannten Jazzrock.

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Die freien Improvisationen von Davis' Grossformation mit multiplen Keyboardern, Perkussionisten und Bassisten tönen wie ein musikalischer Höllenritt. Weil auf «Bitches Brew» jeder Musiker ein Solist ist, drohen die losen Soundstrukturen immer wieder auseinanderzubrechen.

Schon das Eröffnungsstück «Pharaoh's Dance» hat eine brodelnde Intensität, die bis zum sanft versöhnlichen Finale «Sanctuary» nicht abebbt: Miles Davis leistet mit seiner gellenden Trompete einen grossen Beitrag zum gewollten Chaos. Anstelle der lyrischen Phrasierungen, für die er einst berühmt war, bläst Davis nur noch atonale Läufe und Stösse .

«Ein LSD-Trip»

Carlos Santana formuliert die verstörende Wirkung von «Bitches Brew» im Dokumentarfilm «Miles Davis – Birth of the Cool» so: «Dieses Album ist ein LSD-Trip, mit dem Miles die Welt auf den Kopf stellt», so der Gitarrist. «Diese Musik macht Spiesser zu Kiffern und Kiffer zu Spiessern.»

Für «Birth of the Cool», der soeben auf DVD und bei Netflix erschienen ist, suchte Regisseur Stanley Nelson zahlreiche Musiker, Konzertveranstalter und Plattenbosse auf. Trotzdem vermittelt seine mit viel Bild- und Tonmaterial aus Davis' Privatarchiv ausgepolsterte Hommage kaum neue Einblicke in das Werk des Sujets. Das liegt an der Form , die der preisgekrönte Dokumentarfilmer für sein Musikerporträt gewählt hat.

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Statt einen analysierenden Off-Kommentar in die Filmtonspur einzuspeisen, lässt Nelson den afroamerikanischen Schauspieler Carl Lumbly aus Davis' 1989 erschienenen Memoiren zitieren. Überzeugend ist dieses Konzept nicht , wird der Jazzstar doch zum stummen Statisten degradiert: Seine eigene, kiesige Stimme ist hier kaum zu hören. Schön ist dafür aber, dass seine erste Ehefrau und wichtigste Muse Frances Taylor in «Birth of the Cool» zu Wort kommt. Sie wirft ein hartes Licht auf den als schwierig und zerrissen bekannten Musiker. Während ihrer oft stürmischen Ehe griff der pathologisch eifersüchtige Davis Taylor wiederholt an.

Unerwähnt bleibt dafür der Plattenproduzent Teo Macero, der Davis bis in die 1980er-Jahre betreute. Seine komplexen Sound-Montagen verliehen Alben wie «Bitches Brew» ihren experimentellen Charakter – und waren oft so radikal, dass die in die ursprünglichen Sessions involvierten Musiker die fertigen Aufnahmen nicht mehr wiedererkannten.

Wenig Tiefenschärfe

Unter Jazzfans bleiben Maceros Studioexperimente umstritten. Auch Stanley Nelson scheint sich weniger für Davis' sogenannte elektrische Phase zu begeistern als für dessen Be-Bop- und Cool-Jazz-Anfänge. Sonst hätte er «Birth of the Cool» kaum nach Miles Davis' gleichnamiger LP aus dem Jahr 1957 benannt.

Gar schnell spult der Regisseur die Jahre bis zum Tod des Musikers 1991 ab. In dieser Zeit wirkte Miles Davis wenig innovativ. Zwar erhob er Pophits von Michael Jackson und Cyndi Lauper zu Jazzstandards und veröffentlichte mit «Tutu» auch ein vielbeachtetes Spätwerk, live schien er aber oft überfordert.

Der Film ist immerhin temporeich und kurzweilig geraten.

Das bestätigt der kürzlich verstorbene Trompeter Wallace Roney in «Birth of the Cool». 1991 bestritt er ein Konzert mit Davis am Montreux Jazz Festival, wo viele anspruchsvolle Stücke aus dessen Anfangszeit auf dem Programm standen. Während des live im Radio übertragenen und später auf CD veröffentlichten Konzerts musste Roney einige Soli von seinem Vorbild übernehmen.

Im Übrigen hat Stanley Nelson wenig Neues über Miles Davis zu erzählen. Weil er die bekannten Fakten mit viel Verve präsentiert, ist «Birth of the Cool» aber immerhin temporeich und kurzweilig geraten, wenngleich der Film wie eine cineastisch aufbereitete Davis-Biografie und daher etwas gar konventionell daherkommt. Weniger Detailliebe und mehr Tiefenschärfe hätte hier gutgetan. Davis, Stylist und Sprengmeister in einem, hätte einen mutigeren Film verdient.

«Miles Davis: Birth of the Cool». USA, 2019. Regie: Stanley Nelson. Eagle Rock/Universal Music.
DVD im Handel erhältlich oder auf Netflix.