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Unihockey-Weltmeisterin aus Winterthur
Sie trugen einen «Lumpen» und gewannen WM-Gold

Petra Kundert und Simone Berner. Foto: Madeleine Schoder
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Das Wiedersehen in Winterthur ist herzlich, das Wetter garstig. Der Wind bläst den zwei Frauen, die in der Dämmerung Arm in Arm fürs Foto posieren, unerbittlich die Haare ins Gesicht. Petra Kundert streicht sich die blonden Fransen glatt und sagt zu Simone Berner: «Mit einem Kurzhaarschnitt wie früher hätten wir jetzt weniger Probleme.» Beide lachen. Und halten dann zum wiederholten Mal ein ganz besonderes Erinnerungsstück in die Kamera: die Goldmedaille von der Unihockey-WM 2005 in Singapur.

Simone Berner war Captain, Petra Kundert Topskorerin der bis heute erfolgreichsten Schweizer Auswahl. Die beiden gehörten in Singapur zu den grossen Figuren im Weltmeisterteam, wurden nach dem Finalsieg gegen Finnland auch ins All-Star-Team gewählt. Auf Clubebene haben sie in dieser Zeit mit Dietlikon (Berner) und Rychenberg Winterthur (Kundert) die Schweizer Meisterschaft dominiert und dabei eine intensive Rivalität gepflegt, die sie im Nationalteam allerdings problemlos ablegen konnten für das gemeinsame Ziel: Gold.

Fast zwei Jahrzehnte nach dem ersten und bislang einzigen Schweizer WM-Triumph findet das Turnier der Frauen nun erneut in Singapur statt. Eine Rückkehr, die bei den heute 43-jährigen Weltmeisterinnen Erinnerungen weckt.

Singapur, 5. Juni 2005. Wie präsent ist Ihnen dieser Tag heute noch?

Petra Kundert: An das genaue Datum hätte ich mich spontan nicht mehr erinnern können. Diese WM lag für mich wirklich weit in der Vergangenheit – bis vor kurzem.

Was ist passiert?

Kundert: Ich bin Lift gefahren mit vier weiteren Personen. Da fing einer plötzlich an, über die Unihockey-WM zu reden. Er sagte zu mir: «Du bist doch die Petra Kundert, oder? Respekt vor deiner grandiosen Leistung damals!» Mir war das ein bisschen unangenehm, und ich wurde ganz sicher rot im Gesicht. Doch die WM mit all den wunderbaren Erinnerungen war plötzlich wieder da.

«Im Nationalteam Captain zu sein, ist ziemlich einfach.»

Simone Berner

Wie grandios war Petra Kundert?

Simone Berner: Petra war unser Star – Topskorerin und wertvollste Spielerin der WM. Winterthur war damals die Adresse im Unihockey weltweit und Petra mit ihrer Offensivpower das Aushängeschild der Red Ants. Alles sah bei ihr so leicht aus. Sie hat das Team mit ihrer unbeschwerten Art getragen.

Und Simone Berner war als Verteidigerin und Captain der Ruhepol?

Kundert: Genau. Sie war sehr kommunikativ, strahlte aber gleichzeitig eine bemerkenswerte Ruhe aus. Etwas, das ich von mir wirklich nicht behaupten kann.

Berner: Im Nationalteam Captain zu sein, ist ziemlich einfach. Es kommen aus allen Teams die Leader zusammen. Die wissen ja, um was es geht.

Kundert: Jetzt stellst du dein Licht aber unter den Scheffel. Gerade weil es so viele Alphatierchen im Team gab, war es nicht leicht, sich den Respekt aller zu sichern. Das hast du geschafft.

Wenn Sie an die WM in Singapur zurückdenken: Welches Bild ist geblieben?

Kundert: Das von den Schlaftabletten im Flugzeug zum Beispiel. Alle haben plötzlich Pillen geschluckt. Weisst du noch?

Berner: Sicher. Wir sind am Tag geflogen und wollten schlafen, um den Jetlag abzufedern. In diesem Flugzeug habe ich die einzige Schlaftablette meines Lebens genommen. Und genützt hat sie nichts. Wir machten uns damals viele Gedanken: zum Schlaf, zum Klima und zum Essen vor Ort.

Kundert: (lacht) Das sollte ich jetzt eigentlich nicht erzählen.

So beginnen aber meist die besten Anekdoten.

Kundert: Also gut. Mein Vater hat mir zu Hause eine Flasche Whisky in den Koffer gepackt und gesagt: «Den musst du mitnehmen, Petra! Du wirst sicher Magen-Darm-Probleme bekommen. Ein Schluck pro Tag hilft.» Und so war es dann auch. Viele im Team waren das asiatische Essen nicht gewohnt und hatten bald Magenbeschwerden.

Und hat der Whisky geholfen?

Kundert: Ich habe tatsächlich jeden Morgen ein klitzekleines Gläschen davon getrunken. Ich weiss nicht, ob es der Whisky war, aber ich hatte keine Probleme. Es ging nicht lange, bis auch andere Spielerinnen mich nach einem Schlückchen fragten.

Berner: Für die Aufregung im Team war Petra zuständig.

«Die einheimischen Fans haben plötzlich alle die Schweiz unterstützt.»

Petra Kundert

Wie sind Sie mit dem Klima in Singapur klargekommen?

Berner: Es war ungewohnt heiss, feucht und drückend. Wir mussten viel trinken und darauf achten, die Stunden vor dem Spiel nicht mehr nach draussen zu gehen. So ging es ganz gut. Trainiert und gespielt haben wir hauptsächlich in klimatisierten Hallen. Es gab nur einen Trainingsort ohne Klimaanlage. Das Team drängte sich in jeder Pause unter den einzigen Ventilator.

Wie heiss war denn die Stimmung an den Spielen?

Kundert: Heiss! Oder eben richtig cool. Die Fans waren hauptsächlich Einheimische. Und sie haben plötzlich alle die Schweiz unterstützt. Ich weiss bis heute nicht, warum, aber das hat sich im Laufe der Woche so entwickelt. Sie rannten uns vor der Halle nach und wollten Autogramme haben.

Berner: Wir tauschten mit den singapurischen Spielerinnen am Schluss auch das Trikot. Das war ein guter Deal. Sie hatten richtig schön geschnittene Shirts und wir einen «Lumpen» in XL-Grösse. Ich glaube, es war das alte Tenü der Männer-U-21.

Switzerland's Petra Kundert and Finland's Minna Isoniemi chasing the ball while during the finals of the 5th Women's World Floorball Championship in Singapore on Sunday 05 June 2005. Switzerland beats Finland 4-3. (KEYSTONE/EPA/HOW HWEE YOUNG)

Immerhin haben die Schweizerinnen nicht nur Übergrösse getragen, sondern auch gross gespielt. Begonnen hat der Siegeszug im ersten Gruppenspiel gegen Finnland.

Berner: Ich erinnere mich noch gut an die letzten Minuten vor Spielstart. Wir waren in der Kabine, unser Coach Felix Coray hat nicht aufgehört zu reden, und wir waren zu spät dran. Das Team rannte sozusagen aufs Feld, noch während er seine Ansage zu Ende führte.

Kundert: Wir nahmen diesen Schwung gleich mit und führten schnell 4:0. Doch sie holten auf.

Berner: Und dann hat uns Petra mit dem 7:6 gerettet.

Kundert: Das war nicht nur mein Verdienst. Wir waren geschlossen gut, mit einem Winterthurer und einem Dietliker Block. Im Playoff schlugen wir uns fast die Köpfe ein, aber in der Nati konnten wir das vollkommen ausblenden. Jede Linie funktionierte in ihrem eigenen Spielsystem, wie sie es auch in der Schweizer Meisterschaft praktizierte. Damit kamen die Finninnen nicht klar.

Da Finnland im Halbfinal Schweden bezwang, kam es im Final nochmals zum gleichen Duell. Die Schweiz gewann 4:3 und Sie, Simone Berner, durften als Captain den Pokal stemmen. Wie war dieser Moment?

Berner: Seltsam. Wir kennen es ja eigentlich so, dass das Siegerteam den Pokal im Pulk feiert. Ich musste damals aber gefühlte 50 Meter durch die Halle zum Pokal hinlaufen – allein. Dann hiess es: Stemmen! Das war ein einsamer Moment für mich. Zum Glück durfte ich mit der Trophäe dann schnell wieder zurück zu den anderen.

Switzerland's women's floorball team captain Simone Berner raises the world championship trophy after the final match with Finland, Sunday June 5, 2005 in Singapore, where the 5th Women's World Floorball Championships was held. Switzerland beat Finland 4-3 to take the world title. (KEYSTONE/AP Photo/Wong Maye-E)

Was geschah nach der Pokalübergabe?

Berner: Team, Staff und die mitgereisten Familien wurden noch am gleichen Tag spontan in die Schweizer Botschaft eingeladen. Das war ein eindrückliches Erlebnis.

Kundert: Alles war so gediegen, der Park um die Botschaft, die weissen Tischtücher, das Galadinner. Vom Rest der Nacht weiss ich allerdings nichts mehr.

Wie waren die Rückmeldungen aus der Heimat? Whatsapp und Social Media gab es ja damals noch nicht.

Kundert: Keine Ahnung. Hatten wir damals schon ein Handy, Simone?

Berner: Ich glaube schon. So ein altes, robustes Nokia. Damit konnte man sicher nichts posten.

Kundert: Wahrscheinlich haben wir einfach ein paar SMS bekommen.

Berner: Die Leute in der Schweiz konnten unser Finalspiel ja nirgends wirklich live mitverfolgen. Meine Partnerin hat mir kürzlich erzählt, dass es nur einen Resultate-Ticker gegeben habe.

Nach dem Titelgewinn war vom grossen Selbstvertrauen dieses Weltmeisterteams die Rede. Warum war es so bemerkenswert?

Kundert: Wir spielten schon zwei Jahre zuvor im WM-Final. Und dann konnten wir drei Monate vor dem Turnier in Singapur zum ersten Mal überhaupt die Schwedinnen bezwingen. Es ist übrigens nach wie vor der einzige Sieg gegen sie bis heute. Das machte uns wahnsinnig Mut.

Berner: Der Startsieg gegen Finnland hat uns gezeigt: Wir sind nicht mehr darauf angewiesen, dass die anderen einen schlechten Tag einziehen. Wir können aus eigener Kraft gewinnen.

Kundert: Daran haben wir alle ganz fest geglaubt. Auch die Spielerinnen auf der Bank.

«Das aktuelle Nationalteam muss Routine durch Unbeschwertheit ersetzen.»

Simone Berner

Solche Erfolgserlebnisse hat das aktuelle Nationalteam nicht im Gepäck. Sind die Schweizerinnen heute weiter von der Spitze entfernt?

Kundert: Als die Schweiz 2019 an der WM in Neuenburg im Final stand, war ich überzeugt, dass sie es schaffen können. Aber Schweden gewann in der Verlängerung doch noch. Ich hätte es den Schweizerinnen so gegönnt. Vor lauter Frust habe ich richtig «gschtämpfelet».

Berner: Inzwischen ist nicht mehr das Team von 2019 am Start. Nationaltrainer Oscar Lundin hat neun Newcomerinnen dabei. Natürlich stimmt das weniger zuversichtlich als eine eingespielte Gruppe, die gerade Schweden geschlagen hat. Ich denke schon, dass die Schweiz heute weiter weg von den Topnationen Finnland und Schweden ist, als wir es damals waren. Das aktuelle Nationalteam muss Routine durch Unbeschwertheit ersetzen.

Was trauen Sie den Schweizerinnen zu?

Berner: Auch die Tschechinnen haben aufgeholt. Die Erwartungshaltung muss erst einmal sein, überhaupt eine Medaille zu gewinnen. Das ist keineswegs ein Selbstläufer. Die Schweizerinnen dürfen sich auch über Bronze freuen. Übrigens lief es auch bei uns nicht immer rund: Wir mussten zwei Jahre vor unserem WM-Triumph Lehrgeld bezahlen. Und das am Heimturnier in Bern.

Kundert: (lacht) Mit unseren Frisuren! Das ist auch eine gute Story.

Gehören Frisurengeschichten nicht zum Fussball?

Kundert: Nein, wir waren vorher.

Berner: Es entwickelte sich damals in Bern eine eigenartige Dynamik. Wir gingen vor dem Finalduell gegen Schweden noch zum Coiffeur und liessen uns spezielle Frisuren machen. Alle hatten damals so Bürstenschnitte.

Kundert: Wir blieben dann vollkommen chancenlos, und der «Blick» schrieb daraufhin, wir hätten uns mal besser aufs Spiel als auf unsere Frisuren konzentriert.

Swiss Petra Kundert, center, and Simone Berner, right, battle against Finland's Sovi Saunno, left, during the Woman's Floorball World Championships Switzerland against Finland, Sunday, Mai 18, 2003, in Guemligen, Switzerland. (KEYSTONE/Edi Engeler)