Analyse zum Gegenvorschlag zur GletscherinitiativeUnd wieder heisst es: Alle gegen die SVP
Der Nationalrat stellt die Weichen für eine klimaneutrale Schweiz bis 2050. Verliererin ist die SVP. Doch das muss nicht so bleiben.
Undemokratisch! SVP-Vertreter haben am Dienstag scharf kritisiert, dass der Nationalrat eine klimapolitische Weichenstellung vorgenommen hat – fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem Volks-Nein zum CO₂-Gesetz. Er hat sich im Grundsatz für den indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative ausgesprochen.
Damit liegt nun eine Art Klima-Rahmengesetz vor. Es nimmt den Kern des Volksbegehrens auf, will also den Pariser Klimavertrag umsetzen: Bis 2050 soll die Schweiz klimaneutral sein. Zwischenziele und Absenkpfade sollen den Weg dorthin leiten. Drückt nun auch der Ständerat aufs Tempo, könnte das Parlament die Vorlage schon in der Herbstsession verabschieden. Danach sind die Initianten am Zug. Sie müssen entscheiden, ob sie ihr Begehren zurückziehen.
Undemokratisch agiert der Nationalrat also nicht: Die SVP kann immer noch eine Volksabstimmung erwirken.
Der Gegenvorschlag hat einen zentralen Vorteil: Ein Gesetz kann sofort in Kraft treten, sofern niemand dagegen das Referendum ergreift. Womit auch gesagt ist: Die SVP kann eine Volksabstimmung erwirken, undemokratisch agiert der Nationalrat also nicht. Eine Volksinitiative dagegen muss in jedem Fall eine Volksabstimmung überstehen und dabei die Hürde des Ständemehrs nehmen, das Parlament muss danach ein Ausführungsgesetz erarbeiten. Das kostet Zeit. Und erhöht das Risiko politischer Komplikationen.
Der Nationalrat hat am Dienstag aus Zeitgründen die Vorlage noch nicht fertigberaten. Doch die Spur ist gelegt. Geplant ist, den Initiantinnen und Initianten den Rückzug ihres Begehrens zu erleichtern – mit konkreten Massnahmen im Rahmengesetz: 2 Milliarden Franken für den Ersatz fossiler Heizungen, weitere 1,2 Milliarden zur Förderung neuer Technologien in der Industrie. Beide Anliegen sind indes umstritten. Das Parlament hat bereits für die Armee massiv höhere Beiträge gesprochen. Woher soll all dieses Geld kommen? Es zeichnen sich harte Verteilkämpfe ab.
Das Momentum könnte durchaus auf die Seite der SVP kippen.
Hinzu kommt: Solche Förderprogramme gehören nicht in ein Klima-Rahmengesetz, sondern – wenn schon – in die Neuauflage des abgelehnten CO₂-Gesetzes, welches das Parlament aber erst noch beraten muss. Die Finanzspritzen sind aber das wohl nötige Zugeständnis, um die Initianten zum Einlenken zu bewegen. Ob die Klimaschützer den Deal mittragen, hängt davon ab, ob das Parlament den indirekten Gegenvorschlag allenfalls noch abschwächen wird. Womöglich geraten sie dabei in die Zwickmühle. Halten sie an der Initiative fest, geht weiter wertvolle Zeit im Kampf gegen den Klimawandel verloren.
Die SVP ihrerseits hat am Dienstag auf der ganzen Linie verloren. Das muss aber nichts heissen, wie ihr Referendumssieg vor einem Jahr zeigt. Das Momentum könnte durchaus auf ihre Seite kippen: Die Bevölkerung wird die neue Klimapolitik – mehr denn je wohl – auch an ihren Folgen für die Versorgungssicherheit der Schweiz messen. Der wunde Punkt ist angetippt: Elektroautos statt Benziner, Wärmepumpen statt Gasheizungen: Wir werden künftig viel mehr Strom brauchen, zumal die Bevölkerung, in erster Linie zuwanderungsbedingt, weiter wachsen dürfte.
Wie die Schweiz ihre Stromversorgung langfristig sichern will, ist aber noch nicht klar. Für die Bevölkerung indes steht die Versorgungssicherheit gemäss einer neuen Umfrage des Forschungsinstituts GFS Bern derzeit an oberster Stelle. Das Parlament darf das bei seiner Arbeit nicht ausblenden. Sonst könnte es wieder ein böses Erwachen geben.
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