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Umstrittener Platzverweis
Die absurdeste Rote Karte der Saison – das sagt der Schiedsrichter-Chef dazu

Die Szene ist eigentlich banal an diesem Sonntagnachmittag. Lukas Görtler, Captain des FC St. Gallen, schlägt eine Flanke. Und weil Luganos Jonathan Sabbatini angerauscht kommt, trifft er ihn ohne jede Absicht mit offener Sohle oberhalb des Knöchels.

Schiedsrichter Lukas Fähndrich lässt weiterlaufen. Aber als sich VAR Lionel Tschudi meldet, beginnt das ungläubige Staunen im Kybunpark. Nach Ansicht der Fernsehbilder revidiert Fähndrich seinen Entscheid und zeigt Görtler die Rote Karte. «Tschudi war VAR», sagt St. Gallens Trainer Peter Zeidler, «es gibt so viele schöne Berufe …» Nicht nur er hält den Entscheid für krass falsch. Jeder, der nicht gerade Schiedsrichter ist, tut das. Da hilft auch nichts, wenn Fähndrich um Verständnis wirbt und sagt, sein Fussballherz habe in diesem Moment geweint.

Schon am Abend zuvor hat es eine im Ansatz vergleichbare Szene gegeben. In Genf wurde ein Tor von Jérémy Guillemenot annulliert, weil er bei der Schussabgabe seinen Gegenspieler am Bein traf. Die Schiedsrichterkommission traf sich am Montagmittag, um, wie nach jeder Runde, eine Analyse vorzunehmen.

Daniel Wermelinger, haben die Schiedsrichter am Wochenende richtig entschieden?

Es gab sehr viele gute Entscheidungen. Insbesondere das Spiel Basel - YB wurde von Fedayi San und seinem Team ausgezeichnet geleitet. Ebenso das Spiel GC - Zürich mit Esther Staubli und ihrem Team. Es gab aber auch Szenen, die ein grosses öffentliches Interesse ausgelöst haben.

Beginnen wir bei der Roten Karte gegen Lukas Görtler. War das nicht ein absurder Entscheid?

Versuchen wir, bei den Fakten zu bleiben. Die Gesundheit der Spieler ist das höchste Gut, und es ist eine der wichtigsten Aufgaben des Schiedsrichters, diese unter allen Umständen zu schützen. Gemäss den internationalen Vorgaben ist es so, dass ein voller harter Kontakt mit offener Sohle oberhalb des Knöchels des Gegenspielers als grobes Foulspiel beurteilt wird und zu einer Roten Karte führt. Diese Auslegung stammt primär von der Uefa, und sie wird laufend an die Nationalverbände vorgegeben. In den vorliegenden Fällen (Guillemenot und Görtler) tut sich ein komplexes Spannungsfeld auf, weil die Täter den Ball ganz normal spielen wollen, aber es zu einem Kontakt kommt, weil das Opfer sein Bein in die Aktion stellt. Wir können nachvollziehen, dass man, je nach Perspektive und Betroffenheit, in der Beurteilung dieser Szenen zu unterschiedlichen Schlüssen kommt, was die Bestrafung betrifft.

Selbst Sabbatini nahm Görtler in Schutz.

Das haben wir mitbekommen.

Weshalb lässt sich der Schiedsrichter Fähndrich in dieser Szene vom VAR umstimmen?

Weil er – auch wenn es «contre cœur» ist – die Vorgaben umgesetzt hat.

Nimmt der VAR falschen Einfluss?

Unter den aktuellen Vorgaben nicht. Wir müssen aber sicher Ende Saison darüber diskutieren, ob wir bei Fällen wie bei Lukas Görtler richtig unterwegs sind. Das Thema wird sein: Wie gehen wir bei Aktionen vor, bei denen ein Spieler in Ballbesitz ist und es dann zu einer solchen Aktion kommt?

09.06.2023; Muri; Fussball Schiedsrichter Medienkonferenz; 
Dani Wermelinger (Chef Spitzenschiedsrichter SFV) 
(Urs Lindt/freshfocus)

Vor der Saison forderten Sie von den Videoschiedsrichtern mehr Zurückhaltung. Lionel Tschudi tat in der Szene mit Görtler das Gegenteil.

Die Vorrunde der Saison 2023/24 hat gezeigt, dass wir zurückhaltender und nicht mehr so detektivisch unterwegs sind. Aufgrund der sehr speziellen Szene rund um Lukas Görtler nun von einer Praxisänderung zu sprechen, ist nicht richtig.

Fähndrich sagte danach, sein Fussballherz habe beim Zeigen der Roten Karte geweint. Wenn ein Schiedsrichter in eine solche Situation gebracht wird, dann läuft doch etwas falsch.

Ich kann die Aussagen und Gefühle von Lukas Fähndrich gut nachvollziehen. Am Schluss war es ein Abwägen zwischen dem gesundheitsgefährdenden Kontakt an Jonathan Sabbatini und der Aktion von Lukas Görtler, der in Ballbesitz ist und für die Folgen der Aktion nichts kann. Für den VAR steht – auf Basis der Bilder – der Schutz der Spieler im Vordergrund. Darum hat er interveniert.

Görtler wird für zwei Spiele gesperrt, wie auch Luzerns Nicky Beloko, der jedoch ein deutlich gröberes Foul beging. Fehlt hier nicht das Augenmass?

Hier liegt die Federführung des Prozesses bei der Disziplinarkommission. Sie entscheidet über das Strafmass.

Ähnlich verhält es sich beim annullierten Tor von Servettes Jérémy Guillemenot gegen Yverdon. Er hatte wie Görtler nur ein Ziel: den Ball zu spielen. Und auch er traf diesen zuerst, während der Gegenspieler zu spät kam. Wie bewerten Sie diese Szene?

Unsere Einschätzung zur Szene von Guillemenot ist vergleichbar mit der bei Görtler. Auch Guillemenot war in Ballbesitz, und auch er konnte am Schluss nichts dafür, dass es zum Kontakt kam.

Schweizer Schiedsrichter ahnden Treffer über den Knöcheln rigoros. In anderen Ligen Europas scheinen solche Szenen mit mehr Gespür für die Situation bewertet zu werden.

Wir setzen die Vorgaben konsequent um und haben eine Linie. Aber wir werden die momentane Ausgangslage nutzen, um mit der Uefa über die Auslegung der Regeln in diesen Bereichen zu sprechen und dann für die neue Saison Anpassungen zu machen.

Sollte die Regelauslegung nicht zwingend überdacht werden?

Es ist eine Daueraufgabe von uns – unter Berücksichtigung der internationalen Vorgaben –, die Regelauslegung zu analysieren und zu reflektieren. Dies werden wir am Ende dieser Saison auch im Bereich «Schutz der Spieler» tun.