USA-Russland-Treffen in GenfKrieg in der Ukraine rückt näher, Blinken versucht zu reparieren
Joe Biden hat mit unbedarften Äusserungen die Angst vor einer russischen Invasion befeuert. Aussenminister Blinken versuchte in Genf, die Patzer seines Chefs auszumerzen.
Ganz deutlich sei er gewesen mit dem russischen Aussenminister Sergei Lawrow, betonte der amerikanische Aussenminister Antony Blinken am Freitag: «Sollten irgendwelche russischen Kräfte die ukrainische Grenze überqueren, ist das eine weitere Invasion.» Das wäre keine Nachricht wert, weil es die bisherige Position der Nato-Länder im Ukraine-Konflikt darstellt, hätte nicht Blinkens Chef selbst Zweifel daran geweckt.
Freimütig hatte Joe Biden am Mittwoch ausgeplaudert, dass er mit kleineren Manövern Russlands in der Ukraine rechne. Vor allem aber entblösste er dabei eine entscheidende Schwäche der Nato-Länder: Falls Russland statt einer offenen Invasion der Ukraine eine Strategie der kleinen Manöver verfolgt, dürften sich die Nato-Länder uneinig sein über die angemessene Reaktion, schätzt Biden.
In Kiew schrillten die Alarmglocken
Damit öffnete der US-Präsident eine Hintertür für Wladimir Putin. Der Kreml könnte die Europäer zu spalten versuchen, indem er Nadelstiche intensiviert, etwa mit Sabotageakten oder Manövern der grünen Männchen, moskautreuer Milizenverbände im Donbass. Dieses Vorgehen hat Moskau bereits in Georgien und bei der ersten Invasion der Ukraine 2014 erprobt. In Kiew schrillten nach Bidens Plauderstunde die Alarmglocken: Wenn selbst der US-Präsident öffentlich sagt, dass er von Grenzverletzungen durch Russland ausgeht, steht die Ukraine einem Krieg wohl noch näher als befürchtet.
«Diesen Arten von russischer Aggression würden wir ebenfalls mit einer entschiedenen, massgeschneiderten und gemeinsamen Antwort begegnen.»
Nun bemüht sich Blinken darum, die Risse im Bild der Geschlossenheit der Nato-Länder wieder zu übermalen. Russland verfüge über ein prall gefülltes Handbuch von Aggressionen unter der Kriegsschwelle, zum Beispiel Cyberangriffen und paramilitärischen Taktiken, sagte der US-Aussenminister. «Diesen Arten von russischer Aggression würden wir ebenfalls mit einer entschiedenen, massgeschneiderten und gemeinsamen Antwort begegnen», warnte Blinken: Die Nato-Länder liessen sich nicht spalten.
Spielraum für Lösungen
Die Botschaft überbrachte Blinken Lawrow am Freitag in Genf. Im Hotel Intercontinental, in dem auch Biden abgestiegen war, als er im vergangenen Jahr Putin erstmals als Präsident traf, zog der Aussenminister ein vorsichtiges Fazit des Gesprächs im Genfer Luxushotel President Wilson. Er lehnte zum wiederholten Mal die russischen Maximalforderungen ab: «Wir werden nicht zurückgehen hinter unsere fundamentalen Werte. Einer davon ist, dass die Türen der Nato offen stehen. Und einer ist auch, dass jedes Land frei wählen kann, wie es sich verhält.» Die USA wollen Russland aber kommende Woche ein Dokument überreichen, in dem sie ihre Vorstellung der europäischen Sicherheitsarchitektur und Antworten auf russische Sicherheitsgarantien schriftlich festhalten.
«Wir werden nicht zurückgehen hinter unsere fundamentalen Werte.»
Diplomatische Lösungen sollten grundsätzlich zu finden sein. Biden hat ebenfalls diese Woche laut nachgedacht, die Ukraine sei ja ohnehin auf Jahre hinaus kein Nato-Kandidat. Und Blinken betonte am Freitag mehrfach, die Nato sei bereit zu Kompromissen, etwa zu mehr Transparenz und Abrüstung. Daraus liessen sich Ansätze entwickeln, wie Moskau Sicherheitsgarantien in Grenzgebieten erhält, ohne deren Souveränität anzutasten. Aber Russland müsse im Gegenzug auch Sicherheitsbedenken der Nato entgegenkommen, sagte Blinken.
«Russlandfeindliche Hysterie»
Die Gespräche versprechen aber alles andere als einfach zu werden. Lawrow, ein diplomatischer Schauspieler von Hollywoodformat, beklagte sich nach dem Treffen über eine «russlandfeindliche Hysterie» des Westens und erklärte scheinheilig, Russland habe die Ukraine nie bedroht und plane auch keine Invasion. Die Emotionen müssten sich jetzt einfach ein bisschen abkühlen, damit man wieder ruhig diskutieren könne.
«Die wohlwollende Interpretation unserer Gespräche ist, dass wir und Russland manchmal die Geschichte sehr unterschiedlich interpretieren.»
Blinken antwortete darauf spitz, der Westen betrachte eben die Fakten, vor allem die rund 100’000 russischen Truppen an der ukrainischen Grenze. «Die wohlwollende Interpretation unserer Gespräche ist, dass wir und Russland manchmal die Geschichte sehr unterschiedlich interpretieren», sagte der US-Aussenminister. «Wir haben heute einige Dinge gehört, mit denen wir nicht einverstanden sind.»
Lawrow über die Fehler des Westens
Wie unterschiedlich die Sichtweisen sind, gab Lawrow mit einem Exkurs über die Fehler des Westens nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zum Besten. Russland habe die Nato schon immer gewarnt, dass die Expansion nach Osten falsch sei und das Verteidigungsbündnis selbst schwäche. «Der Plan ist eindeutig gegen Russland gerichtet», sagte Lawrow, der die Nato im Jargon des Kalten Kriegs als «Maschine gegen Russland» bezeichnet. Seinem Land sei bei der Gründung des Verteidigungsbündnisses zugesichert worden, es werde weiterhin verbündete, friedliche Nachbarn haben. Inzwischen entwickle aber sogar Polen regionale Ambitionen.
«Der Plan ist eindeutig gegen Russland gerichtet.»
Um diese Version der Geschichtsschreibung zu unterstreichen, präzisierte das russische Aussenministerium am Freitag die Forderungen Russlands an die westlichen Länder: Die Nato müsse alles Material und Personal aus jenen Staaten abziehen, die 1997 noch nicht Teil der Allianz gewesen seien – inklusive Bulgarien und Rumänien, zwei EU- und Nato-Mitglieder, fest in die politische Sicherheitsarchitektur des Kontinents eingebunden. Bereits vor dem lautstarken obligaten Protest aus Sofia und Bukarest war klar, dass die Nato-Länder diesen Wunsch Moskaus gar nicht erst diskutieren werden.
Er habe herausfinden wollen, ob Russland überhaupt an einer diplomatischen Lösung interessiert sei, sagte Blinken. Die Antwort hat er in den Genfer Luxushotels nicht gefunden. Vielleicht klappt es ja nächste Woche, wenn die Gespräche zwischen den USA und Russland in eine weitere Runde gehen.
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