EU-Ministertreffen Europa sucht nach Flugabwehr für die Ukraine
Die Erleichterung über das amerikanische Hilfspaket für Kiew ist in der EU gigantisch. Aber die russischen Luftangriffe zeigen, dass die europäischen Länder mehr zur Verteidigung beitragen müssen.

Das Grossherzogtum Luxemburg hat eine Fläche von 2586 Quadratkilometern, es ist damit, nach allen gängigen Massstäben, ein eher kleiner Staat. Am Montag allerdings stand die geringe geografische Ausdehnung des Landes auf eklatante Weise in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu dem geradezu gigantischen Ausmass der Erleichterung, die dort beim Treffen der europäischen Aussen- und Verteidigungsminister zu spüren war. Kaum ein Minister, kaum eine Ministerin versäumte es, darauf hinzuweisen, wie entscheidend wichtig der Beschluss des US-Repräsentantenhauses am Wochenende gewesen sei, der Ukraine mit weiteren 60 Milliarden Dollar bei der Verteidigung gegen Russland zu helfen.
Die Herzen der beiden wichtigsten Unterstützer – Amerika und Europa – «schlagen wieder im gleichen Takt», sagte die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock. «Sehr gute Nachrichten aus den USA», konstatierte ihre finnische Kollegin Elina Valtonen. «Wir haben uns gerade noch vor einer Kugel wegducken können», stellte der litauische Aussenminister Gabrielius Landsbergis fest.

So gross in Luxemburg die Erleichterung über die Vorgänge in Washington war, so gross war allerdings auch die Sorge über die anhaltend gefährliche Lage an der Front in der Ukraine. «Urgency» – Dringlichkeit – war ein Wort, das viele Ministerinnen und Minister verwendeten, wenn sie über weitere Waffenlieferungen an Kiew redeten.
Nur weil man einer Kugel ausgewichen sei, «heisst das nicht, dass nicht noch viele weitere Kugeln im Anflug sind», mahnte Landsbergis, der in Brüssel wohl zu Recht nicht als Optimist bekannt ist. Vor allem, darin waren sich die Ministerinnen und Minister einig, brauche die Ukraine dringend mehr Luftverteidigungskapazitäten, um ihre Städte und Kraftwerke gegen russische Drohnen und Raketen verteidigen zu können. (Die aktuellen Entwicklungen im Krieg in der Ukraine lesen Sie hier.)
Aber woher sollen diese Kapazitäten kommen? Nach mehr als zwei Jahren Krieg an ihrer Ostgrenze finden sich die EU-Staaten momentan in einem altbekannten Dilemma wieder: So wie schon im Fall der fehlenden Artilleriemunition haben die Europäer auch bei der Luftverteidigung monatelang geredet und einander zu mehr Lieferungen ermahnt, obwohl längst absehbar war, dass die Ukraine ein massives Nachschubproblem bekommen würde. Erst als dieses auf dem Schlachtfeld offensichtlich wurde und dort schwere Folgen hatte, ergriffen einzelne EU-Länder die Initiative, um die benötigten Waffen tatsächlich schnell zu beschaffen.
Bei vielen Regierungen gibt es nach wie vor Hemmschwellen
Bei den Artilleriegranaten war das Tschechien. Statt sich auf die komplizierten Einkaufspläne zu verlassen, die der EU-Apparat in Brüssel ausgeheckt hatte und deren Erfolg eher bescheiden war, suchte die Regierung in Prag weltweit auf eigene Faust nach Munition – und fand 800’000 Schuss. Der Ankauf von mehr als der Hälfte davon ist inzwischen mithilfe anderer EU-Länder finanziert. Aber die Tschechen suchen dringend weitere Unterstützer in der Union.
Bei der Luftverteidigung ging dagegen Deutschland voran – ein Schritt, der der Bundesrepublik viel Lob in der EU einbringt. Die Regierung in Berlin sagte der Ukraine vor einigen Tagen nicht nur ein drittes Abwehrsystem vom Typ Patriot zu, zusätzlich zu den beiden bereits gelieferten. Sondern sie drängt auch andere EU-Länder dazu, entweder Patriots aus vorhandenen Beständen an die Ukraine abzugeben oder sich am Kauf neuer Systeme zu beteiligen.
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Rumänien, Spanien, Griechenland, die Niederlande – alle diese europäischen Staaten verfügen über Patriot-Batterien, die jedoch, wie die ukrainische Regierung in einem Brief an die Ministerinnen und Minister in Luxemburg beklagte, fernab jeder Front in Depots herumstehen, anstatt in der Ukraine im Einsatz zu sein und Menschenleben zu retten.
EU-Länder bremsen tschechische Munitionsinitiative
Diplomaten in Brüssel rechnen zwar damit, dass einige EU-Länder in den kommenden Tagen die Übergabe von weiteren Patriot-Systemen an Kiew verkünden werden. Man prüfe diese Möglichkeit derzeit sehr sorgfältig, sagte zum Beispiel die niederländische Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren in Luxemburg. Auch Staaten, die über Flugabwehrsysteme anderen Typs als die Patriots verfügen, könnten Lieferungen an die Ukraine zusagen – etwa Frankreich und Italien, die das System SAMP/T in Dienst haben.
Doch sowohl bei der Artilleriemunition für die Ukraine als auch bei der Flugabwehr gibt es offenbar nach wie vor Hemmschwellen bei vielen EU-Regierungen, die das Engagement bremsen. So beteiligt sich an der tschechischen Initiative zum Einkauf von Artilleriemunition nach Angaben aus informierten Kreisen nicht einmal die Hälfte der EU-Länder.
Und was die Luftverteidigung angeht, gibt es in einigen europäischen Hauptstädten anscheinend dezidiert andere Prioritäten als den Schutz der Ukraine vor Russland. Das hochgerüstete Griechenland zum Beispiel könnte Patriots an Kiew abgeben. Doch die Regierung des EU- und Nato-Mitgliedstaats hat nach Ansicht von Brüsseler Beobachtern so grosse Angst vor einem Krieg mit dem Nachbarland Türkei – ebenfalls Mitglied der Nato und immerhin EU-Beitrittskandidat –, dass sie lieber keine Waffensysteme ins Ausland verschenkt.
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