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Krieg in der Ukraine
Mit US-Raketen auf Russland feuern?

Könnte die Ukraine Raketen mit einer Reichweite von 300 Kilometern gegen Ziele in Russland einsetzen, wäre das zwar nicht kriegsentscheidend, es würde aber die militärisch-strategischen Möglichkeiten für das angegriffene Land deutlich erweitern.
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Gesehen haben sie den feindlichen Aufmarsch auf der russischen Seite der Grenze. Wochenlang mussten ukrainische Kommandanten beobachten, wie Moskau nur wenige Kilometer von Charkiw entfernt Zehntausende Soldaten zusammenzog. Satelliten- und Drohnenbilder zeigten, wie Artilleriestellungen ausgebaut wurden, wie sich russische Soldaten zum Angriff bereit machten.

Doch die Ukrainer konnten nichts dagegen tun – ein Präventivschlag war nicht möglich. Anfang Mai drangen die Invasoren dann auf ukrainisches Gebiet vor, eröffneten eine neue Front und können aktuell nur mit grosser Anstrengung aufgehalten werden. (Lesen Sie zum Thema eine Reportage aus Charkiw: «Nur keine Panik – trotz ständigem Luftalarm und Raketenbeschuss».)

Hier zeigt sich deutlich ein grosses militärisches Problem der Ukraine: Zwar hat sie von den Unterstützerländern im Westen moderne Waffensysteme erhalten, darf diese aber nur innerhalb der Ukraine und nicht gegen Ziele in Russland einsetzen. Das haben sich die Partner mit dem Argument, selbst nicht als Kriegspartei gelten zu wollen, von Wolodimir Selenski zusichern lassen. Um die Unterstützung nicht zu gefährden, hält sich der ukrainische Präsident daran.

Meinungsänderung bei Blinken nach Ukraine-Besuch

Welch grossen strategischen Nachteil das bedeutet, ist nicht erst seit der russischen Offensive in Charkiw klar. Eine Gruppe ukrainischer Parlamentarier, die vor wenigen Tagen in Washington war, nutzte deshalb den Besuch vor allem dazu, um im Kongress für eine Aufhebung des De-facto-Verbots zu werben. «Das Hauptproblem ist derzeit die Politik des Weissen Hauses, unsere Fähigkeit einzuschränken, militärische Ziele in Russland anzugreifen», sagte Dawid Arachamija, Vorsitzender der in der Ukraine regierenden Partei Diener des Volkes.

epa11338638 A handout photo made available by the Ukrainian Presidential Press Service shows Ukraine's President Volodymyr Zelensky (L) welcoming US Secretary of State Antony Blinken during a meeting in Kyiv, Ukraine, 14 May 2024. Blinken arrived in Kyiv to meet with senior Ukrainian officials to underscore 'enduring support for Ukraine' by the United States and to discuss battlefield updates as well as new US security and economic assistance, among other topics, the US State Department said.  EPA/UKRAINIAN PRESIDENTIAL PRESS SERVICE HANDOUT -- MANDATORY CREDIT: UKRAINIAN PRESIDENTIAL PRESS SERVICE --  HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES

Und tatsächlich gerät die Waffenvereinbarung zwischen den USA und der Ukraine jetzt immer mehr ins Wanken. So berichtet die «New York Times», dass US-Aussenminister Antony Blinken der Ukraine den Einsatz amerikanischer Waffen gegen Ziele in Russland künftig erlauben wolle. Die Zeitung beruft sich auf hohe Beamte der Regierung. Blinken hatte die Ukraine erst vergangene Woche besucht. Es waren laut der Zeitung die russischen Vorstösse bei Charkiw, die bei Blinken zu einem Meinungsumschwung geführt haben.

Blinken ist damit der bislang wichtigste, aber nicht der einzige westliche Politiker, der der Ukraine künftig freie Hand lassen will. Aus der deutschen Regierung ist dazu zwar nichts zu vernehmen, doch der britische Aussenminister David Cameron hatte schon Anfang Mai bei einem Besuch in Kiew betont, dass die Ukraine selbst entscheide, wie sie die Waffen aus dem Vereinigten Königreich einsetze. Ähnlich hatte sich kurz zuvor die lettische Aussenministerin Baiba Braze geäussert.

Solch deutliche öffentliche Worte westlicher Politiker waren zuvor bei diesem Thema äusserst selten. Selbst die ständigen Angriffe mit eigenen ukrainischen Waffen auf Flugplätze oder Ölraffinerien in Russland wurden im Westen von Militärs und Politik kaum kommentiert. Das wurde meist als stillschweigendes Einverständnis interpretiert, die USA hatten allerdings, wohl aus Angst vor steigenden Ölpreisen, die Ukraine sogar aufgefordert, die Attacken auf Raffinerien einzustellen – ohne damit in Kiew etwas zu erreichen.

Könnte die Ukraine in Zukunft auch moderne US-Waffensysteme wie Himars-Raketenartillerie mit einer Reichweite von 80 Kilometern oder ATACMS-Raketen mit einer Reichweite von 300 Kilometern gegen Ziele in Russland einsetzen, wäre das zwar nicht kriegsentscheidend, es würde aber die strategischen Möglichkeiten für das angegriffene Land deutlich erweitern.

Kiew bekäme mehr Möglichkeiten, Flugfelder, Truppenkonzentrationen oder Nachschubrouten in Russland ins Visier zu nehmen. Mit modernen westlichen Haubitzen könnte man ausserdem grenznahe Stellungen beschiessen. Moskau müsste reagieren und Stützpunkte von der Grenze wegverlegen. Eine von manchen befürchtete Offensive in der Region Sumi, ähnlich wie bei Charkiw, würde erschwert, der russische Druck entlang der Front etwas abgeschwächt.

Biden glaubt, dass es für Putin eine rote Linie gibt

Noch ist es aber nicht so weit. Verteidigungsminister Lloyd Austin hat die bisherige Position der US-Regierung gerade noch einmal wiederholt. Und Präsident Joe Biden sei der Vorschlag Blinkens offiziell bisher nicht vorgelegt worden, schreibt die «New York Times». Der US-Präsident hatte bislang stets deutlich gemacht, dass die Ukraine nicht mit US-Waffen nach Russland schiessen dürfe – denn dies würde für die USA einen Schritt hin zu einer direkten Konfrontation mit dem Aggressor bedeuten.

Solche Bedenken versucht Wladimir Putin auszunutzen. Russland hat gerade mit Militärübungen seiner Atomstreitkräfte begonnen – laut russischen Medien «eine Reaktion auf provokative Äusserungen und Drohungen westlicher Beamter gegen Russland». Und auch wenn die US-Regierung solche Drohungen nicht mehr so ernst nimmt wie noch zu Beginn des Krieges: Biden scheint immer noch davon überzeugt zu sein, dass es eine rote Linie für Putin gibt.