Ukraine und NahostWie Krieg der Natur schadet und den Klimawandel befeuert
Verseuchtes Wasser, vergiftete Böden, verbrannte Wälder: Krieg verursacht gigantische Umweltkatastrophen. Forschende versuchen, die Klimafolgen zu berechnen.
Darf man die Auswirkungen der Kriege auf Umwelt und Klima erforschen, ohne das Leid der Menschen zu relativieren? Diese Frage hat sich auch Lennard de Klerk gestellt. Der niederländische Klimaforscher versucht seit Kriegsbeginn, in der Ukraine die Folgen des Konflikts für das Weltklima zu bilanzieren. «Klimaforschung über den Krieg zu betreiben, wenn gleichzeitig jeden Tag Menschen dabei sterben – das kann schnell kaltherzig wirken», sagt de Klerk. Aber ukrainische Kollegen hätten ihn von Anfang an bestärkt und die Zusammenarbeit angeboten. «Sie wollen zeigen, welchen Schaden der Krieg der ganzen Welt zufügt», sagt er.
Immerhin lässt die ukrainische Regierung Umweltschäden seit dem ersten Tag des russischen Angriffs akribisch ermitteln. Man wolle nach dem Krieg von Russland Kompensationszahlungen einklagen für die Kosten, die durch verseuchtes Wasser, vergiftete Böden, verbrannte Wälder und verminte Felder entstanden seien. Präsident Wolodimir Selenski hat dazu eine internationale Arbeitsgruppe unter Leitung der früheren EU-Umweltkommissarin Margot Wallström berufen. Ein Regierungsbericht vom November beziffert die bis dahin entstandenen Umweltschäden auf 60 Milliarden Dollar. Diese Summe dürfte noch deutlich steigen, wenn Klimaforscher de Klerk und seine Kollegen ihre Berechnungen zu den Klimakosten abgeschlossen haben, die durch den Krieg entstehen.
Kriegsforschung in Echtzeit
Der Ukraine-Krieg ist der erste Grosskonflikt, bei dem Forscher annähernd in Echtzeit versuchen, die Auswirkungen auf die Klimakrise zu ermitteln. «Die Kartierung der Kohlenstoffemissionen eines grösseren Konflikts ist noch nie zuvor systematisch durchgeführt worden, erst recht nicht, während er noch läuft», sagt de Klerk. In einem ersten Schritt hat er mit Kollegen der Universität Kiew Ende vergangenen Jahres eine Kohlenstoffbilanz der ersten eineinhalb Kriegsjahre vorgelegt. Die Arbeit an einer Zweijahresbilanz läuft derzeit.
Für die ersten 18 Kriegsmonate errechneten die Forscher kriegsbedingte Treibhausgasemissionen von 150 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten. Das ist mehr als die jährlichen Emissionen eines hoch industrialisierten Landes wie Belgien.
Ein beträchtlicher, aber bei weitem nicht der grösste Teil der Emissionen entfällt auf unmittelbare Kriegshandlungen: Treibstoffverbrauch für Panzer und Laster, Herstellung und Einsatz von Waffen und Munition und der Bau kilometerlanger Befestigungsanlagen aus Stahl und Beton an der Front schlagen mit etwa 37 Millionen Tonnen CO₂ zu Buche. Damit macht der «heisse Krieg» rund ein Viertel aller kriegsbedingten Treibhausgasemissionen aus.
Der Wiederaufbau wird das Klima belasten
Indirekte Effekte sind noch grösser. Allein die mehr als 130’000 wegen Beschuss ausgebrochenen Brände verursachten 22 Millionen Tonnen Emissionen – mehr als die gesamte Volkswirtschaft Litauens pro Jahr verbraucht. Grossräumige Umleitungen des zivilen Flugverkehrs um das Kriegsgebiet herum tragen mit weiteren 18 Millionen Tonnen zur Bilanz der indirekten Kriegsfolgen für das Klima bei.
Der grösste Teil der kriegsbedingten Klimagase entsteht aber erst noch, wenn die Waffen schweigen. 55 Millionen Tonnen CO₂ werden beim Wiederaufbau der zerstörten Städte, Dörfer und Infrastrukturen entstehen – so die Berechnungen von de Klerk und seinen Kollegen. Das entspricht einer Jahresproduktion der besonders klimaschädlichen Stahlproduktion in Deutschland.
Die Analyse der Klimafolgen von Kriegen stösst auf viele Hürden. Armeen sind notorisch öffentlichkeitsscheu, militärische Details unterliegen der Geheimhaltung. Schwierig ist auch die Festlegung dessen, was zu kriegsbedingten Klimakosten gezählt werden kann. Sollte man jene Emissionen berechnen, die bei der Versorgung von Flüchtlingen mit Tausenden LKW entstehen? Soll die politische Pendeldiplomatie in den Krisenregionen eingerechnet werden? «Weil die Forschung neu ist, gibt es noch keine einheitliche Methodik», sagt de Klerk.
Treibhausgasemissionen aus Gaza
Vor diesem Problem stand auch Benjamin Neimark. Der Klimageograf von der Queen Mary University of London hat untersucht, wie viele Treibhausgase in den ersten zwei Monaten des Gazakriegs nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 freigesetzt wurden.
Wie in der Ukraine verursachen auch im Nahen Osten die direkten Kriegshandlungen den kleineren Teil der Emissionen. Den Löwenanteil der Emissionen wird auch im Gazastreifen der Wiederaufbau verursachen. Allein für schätzungsweise 100’000 zerstörte Gebäude im Gazastreifen errechnete Neimarks Team Emissionen von 30 Millionen Tonnen CO₂. Das entspräche dem jährlichen CO₂-Ausstoss Neuseelands.
Auch ohne Krieg ist der CO₂-Abdruck der Armeen enorm. «Das schmutzige Geheimnis ist, dass das Militär in Friedenszeiten noch viel mehr Treibhausemissionen produziert als im Krieg», sagt Neimark. Während kriegsbedingte Emissionen nicht dauerhaft seien, fänden Aufklärungsflüge, Manöver, Kasernenbetrieb und beständige Verschiebungen von Munition, Material und Soldaten rund um den Globus an 365 Tagen im Jahr statt und machten die Armeen zu einem der grössten Treibhausgasemittenten überhaupt.
In einer 2022 veröffentlichten Studie errechneten Konfliktforscher, dass die Streitkräfte der Erde in Friedenszeiten für 5,5 Prozent der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich sind. In den Berechnungen der globalen CO₂-Emissionen und in den Strategien zum Erreichen von Klimaneutralität fehlt dieser dicke Brocken bislang aber weitgehend. Appelle, verbindliche Berichtspflichten für Militäremissionen festzulegen, verhallen bis jetzt. «Den Beitrag ihrer Armee zu ignorieren, hilft Regierungen, ihre Klimaziele einhalten zu können», kritisiert Neimark. Beide Forscher gehen davon aus, dass das Pariser Klimaziel von unter zwei Grad Erwärmung ohne Einbeziehung des Militärsektors nicht erreicht werden kann.
Doch derzeit sieht es ohnehin nicht danach aus, dass die Emissionen der Armeen sinken würden. Ob ein 100-Milliarden-Programm der Bundeswehr, der Druck auf die Nato-Mitglieder, ihr 2-Prozent-Verteidigungsziel zu erreichen, oder die Umstellung der russischen Industrie auf Kriegswirtschaft: Womöglich wird der Anteil des Militärs an den globalen CO₂-Emissionen weiter steigen.
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