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Umstrittene Aktion
«Maurer sägt an der Glaubwürdigkeit der Schweizer Corona-Politik»

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Welche Aufregung ein Wort auslösen kann, zeigt die jüngste Kontroverse um Ueli Maurer. Der Finanzminister hatte sich am Sonntag an einem SVP-Treffen im zürcherischen Wald ein weisses Shirt übergezogen. Darauf stand in Grossbuchstaben «Freiheitstrychler». Ein offensichtliches Zeichen der Verbundenheit mit jener Gruppierung, welche die vom Gesamtbundesrat beschlossenen Corona-Massnahmen scharf kritisiert und zu Demonstrationen aufruft.

Zuletzt am vergangenen Samstag in Luzern. Die Kundgebung war unbewilligt, die Behörden schätzen die Teilnehmerzahl auf 1500. Gemäss Medienberichten befanden sich Rechtsextreme unter den Demonstrierenden, es sei zu Angriffen auf Reporter gekommen.

Die Aufnahme von Maurer hat in den sozialen Medien kontroverse Reaktionen provoziert. Rücktrittsforderungen wurden laut, es gab aber auch Applaus: für Ueli, den «Standhaften». Auch im Bundeshaus gibt die Aktion zu reden. «Bundesrat Maurer bricht die Kollegialität und sägt an der Glaubwürdigkeit der Schweizer Corona-Politik», sagt SP-Fraktionschef Roger Nordmann. Er erschwere so die Bekämpfung der Pandemie und trage dazu bei, dass die Gesundheitskrise weiter andauere.

Ähnlich äussert sich Jürg Grossen: «Bundesrat Maurer verletzt das Kollegialitätsprinzip und schürt die Corona-Gräben.» Ein solcher Auftritt sei für einen Bundesrat nicht angebracht, sagt der Präsident der Grünliberalen. «Ueli Maurer ist damit zwar ehrlich, aber nicht gerade vorbildlich.»

Maurer will Skeptikern Stimme geben

Maurer – und darauf spielt Grossen an – hat in der Landesregierung die Zertifikatspflicht bekämpft, zusammen mit seinem Parteikollegen, Bundespräsident Guy Parmelin. In der Öffentlichkeit hat er sich Anfang September kritisch zur (mittlerweile in Kraft gesetzten) Ausweitung geäussert. Zwar könne die Schweiz wie etwa Italien oder Österreich diesen Schritt machen, sagte er in einem Interview im «SonntagsBlick»: «Die Frage ist einfach: Welchen gesellschaftlichen und staatspolitischen Schaden richten wir an?» Maurer selber fühlt sich «verpflichtet», die Skepsis in der SVP, aber auch in anderen Teilen der Bevölkerung, in die Debatte einzubringen.

Maurers Finanzdepartement hat die Aufnahme mit Maurer «zur Kenntnis genommen», «wir äussern uns nicht weiter dazu». Unbeantwortet bleiben damit Fragen, welche Maurers Kritiker umtreiben: Inwieweit hält es das Finanzdepartement für verantwortbar, dass ein Bundesrat mit einem solchen Auftritt zumindest das Risiko eingehe, die Gesellschaft in der Corona-Frage weiter zu spalten? Und inwieweit ist es der Ansicht, dass Maurer die bundesrätliche Corona-Politik torpediere?

«Wir haben es wahrlich weit gebracht, wenn ein Bundesrat kein urchiges Trychler-Hirtenhemd mehr tragen darf.»

Thomas Matter, Nationalrat SVP

Wortkarg gibt sich auch Thomas Aeschi. Der SVP-Fraktionschef verweist auf das Generalsekretariat der SVP, das «zeitnah» eine Antwort liefern werde. Diese kommt dann und lautet: «Wir nehmen nie Stellung zu Auftritten oder Äusserungen unserer Bundesräte.» Anfragen seien doch bitte an Maurers Departement zu richten. Deutliche Worte findet dagegen Thomas Matter, Nationalrat und Mitglied der Parteileitung. «Wir haben es wahrlich weit gebracht, wenn ein Bundesrat kein urchiges Trychler-Hirtenhemd mehr tragen darf.» Es sei bedenklich, wenn mittlerweile jede andere Meinung in die extremistische, braune Ecke gedrängt werde. «Egal, ob diese andere Meinung von einem Bundesrat oder einem einfachen Büezer geäussert wird.»

Es ist nicht das erste Mal, dass Maurer politische Botschaften auf diese Art in die Öffentlichkeit trägt. Vor einem Jahr posierte er im Vorfeld der Volksabstimmung über die sogenannte Begrenzungsinitiative in einem schwarzen T-Shirt mit der Aufschrift: «Tell, wo bist du? Die verfluchten Vögte sind wieder im Land!» Das Volksbegehren wurde von der SVP getragen, nicht aber vom Gesamtbundesrat und dem Parlament. Das Stimmvolk schliesslich verwarf es deutlich.

Volk stimmt über Covid-Zertifikat ab

Bundesräte als Abstimmungskämpfer: Das ist ein Politikum, das seit Jahren für Diskussionen sorgt. Die Landesregierung ist gesetzlich verpflichtet, die Stimmberechtigten kontinuierlich über die eidgenössischen Abstimmungsvorlagen zu informieren. Dabei muss sie unter anderem den Grundsatz der Verhältnismässigkeit beachten, gefragt ist also Zurückhaltung. Die Kritik an bundesrätlichen Offensiven flammt immer wieder auf, nicht zuletzt in der SVP. Bereits 2004 kritisierte der damalige Nationalrat Hans Fehr, Bundesräte würden sich einseitig als «Partei» und als «moralische Oberinstanz» gebärden.
Auch die jüngste Aktion Maurers hat mit einer bevorstehenden Volksabstimmung zu. Im November befindet das Stimmvolk über das Covid-Gesetz, also über die gesetzliche Grundlage für das Covid-Zertifikat. Vom Ausgang der Abstimmung hängt viel ab. Maurers Partei plädiert, anders als Bundesrat und Parlament, für die Abschaffung des Zertifikats; die Delegierten haben diese Position im August mit grossem Mehr beschlossen. SP-Politiker Nordmann wirft Maurer vor, bei «Corona-Leugnern auf Stimmenfang für die SVP» zu gehen.

Diesen Vorwurf hört man unter umgekehrten Vorzeichen freilich auch aus SVP-Kreisen, etwa bei Simonetta Sommaruga. So etwa marschierte die Umweltministerin kurz vor den eidgenössischen Wahlen im Herbst 2019 an einer Kundgebung für das Klima mit – und unterstützte damit faktisch eine ausserparlamentarische Oppositionsbewegung. Mit ihrem zur Schau gestellten Verständnis für die sogenannte Klimajugend, so kritisieren SVP-Mitglieder, wolle Sommaruga neue Wähler für die Linke erschliessen.