«Twisters» im KinoEin Sturm wird kommen
Freunde der 90er kennen den Tornado-Actionfilm «Twister». Ungefähr einen halben Klimawandel später folgt «Twisters». Aus welcher Richtung bläst der Wind jetzt?
Das Jahr 1996, Nostalgiker werden sich erinnern, schenkte der Menschheit das erste Klonschaf, die zweite Clinton-Amtszeit und den dritten deutschen Europameistertitel. Ganz zu schweigen vom wirklich legendären Album «Bravo-Hits 14». Aber auch im Kino war ordentlich was los. Roland Emmerich zum Beispiel war mit «Independence Day» auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Ebenfalls ein Produkt des an Luxusverwahrlosung nicht armen Jahres 1996 ist der Schlechtwetter-Actionfilm «Twister».
Der Film war, nach «Independence Day», der zweiterfolgreichste des Jahres. Er erzählte die Geschichte von ein paar Wissenschaftlern, die ihre Messgeräte in einen Tornado hineinbringen wollen, um die gefährlichen Luftwirbel besser verstehen und rechtzeitig vor ihnen warnen zu können.
Für viele Zuschauer waren Extremwetterereignisse damals nur ein weiteres Filmmonster, an dessen Raserei man sich im windgeschützten Kinosessel ergötzen konnte. Und der niederländische Filmemacher Jan de Bont (der sein Handwerk als Kameramann unter anderem bei «Die Hard» gelernt hatte und dann als Regisseur von «Speed» noch einmal «Die Hard» im öffentlichen Nahverkehr inszenierte) machte aus «Twister» auch einen mehr als anständigen Popcorn-Wirbel.
Ein Extremwetterporno für Windhosenfetischisten
Der Film war ausserdem eine weitere wichtige Evolutionsstufe für die Pixelkünstler von Industrial Light & Magic. Sie hatten in «Jurassic Park» schon die Dinos wiederbelebt und konnten nun ganze Sturmfronten digital durchaus satisfaktionsfähig entfesseln. Das war neu. Unvergessen die Szene, in der plötzlich eine Kuh durch die Luft fliegt. Und natürlich auch die Szene, in der ein Tornado genau in dem Moment auf ein Autokino trifft, in dem Jack Nicholson im dort gezeigten Film «The Shining» mit der Axt an die Tür klopft.
Knapp dreissig Jahre und ungefähr einen halben Klimawandel später folgt auf «Twister» (Singular) nun «Twisters» (Plural). Wie Teil eins wurde auch Teil zwei von Steven Spielbergs Produktionsfirma Amblin Entertainment produziert. Es handelt sich im strengen Sinne aber weder um eine Fortsetzung noch um ein Remake. Sondern um eine eigenständige Sturmversion mit neuen Charakteren.
Worum es sich dezidiert auch nicht handelt: um die «Fridays for Future»-Version unter den Tornadofilmen, auch wenn das ein sehr offensichtlicher Ansatz hätte sein können. Also eine Art Da-habt-ihr-den-Salat (beziehungsweise den Tornado), ihr weiterhin rotes Fleisch fressenden und Verbrenner fahrenden Menschenmonstertrottel; geschieht euch ganz recht, wenn ihr von einem Luftwirbel der Kategorie EF5 (das ist der Worst Case) aufgesaugt und weggeblasen werdet.
«Twisters» ist ein Extremwetterporno für Windhosenfetischisten. Aber ohne didaktische Absicht, zumindest ohne allzu offensichtliche Klimawandelwarnung. Zwar deutet eine windgegerbte Farmersfrau irgendwann in der Mitte des Films kurz an, dass Stürme und Hochwasser mittlerweile öfter vorkommen; nur das K-Wort fällt kein einziges Mal. Warum? Er habe mit diesem Film niemanden missionieren wollen, sagte Regisseur Lee Isaac Chung in einem Interview mit CNN, weil «Filme sich nicht nach einer Botschaft richten sollten».
Menschliche Sturmfronten auf der Leinwand
Der Filmemacher wurde 2020 durch «Minari» bekannt, sein stilles, kleines Einwandererdrama über eine koreanischstämmige Familie, die sich im Arkansas der 80er-Jahre durchschlägt. «Twisters» ist sein 200-Millionen-Dollar-Einstieg ins Actionfilmgenre. Und weil Filme dieser Grössenordnung nur dann profitabel sind, wenn sie auch im sogenannten Flyover Country erfolgreich sind, also in der grossen, konservativen Mitte Amerikas, wäre ein Vorsicht-vor-dem-Klimawandel-Film vermutlich ökonomischer Selbstmord gewesen. Das will sich auch das linksliberale Hollywood nicht leisten.
Blöd ist der Film trotzdem nicht. Denn er bringt die menschlichen Sturmfronten, die in Amerika derzeit aufeinandertreffen, nicht nur gemeinsam und ohne Häme auf die Leinwand, er söhnt sie sogar miteinander aus. Die junge Wissenschaftlerin Kate (Daisy Edgar-Jones) ist selbst ein Kind vom Land, nach einem Tornadotrauma (natürlich Stufe EF5) sitzt sie aber nur noch in New York vor dem Computer und verfolgt von dort aus das Wetter in der Heimat. Durch einen kleinen Eingriff des Schicksals trifft sie auf den Tornadojäger Tyler (Glen Powell), der in Cowboymanier in Oklahoma Luftwirbeln hinterherjagt und daraus ein Youtube-Geschäftsmodell gemacht hat.
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Es treffen also Sturmtheorie und Sturmpraxis aufeinander, Sturmhirn und Sturmherz und letztlich auch irgendwie Demokratin und Republikaner. Und wider Erwarten beginnen die beiden, einander im Lauf der Geschichte zu verstehen. Die gegenseitige erotische Anziehung wächst natürlich, wenn man sich mal gemeinsam in einem leeren Swimmingpool festgeklammert hat, um nicht von einem EF4 aufgestaubsaugt zu werden; aber auch davon abgesehen wird diese unwahrscheinliche Annäherung hübsch erzählt.
Zum grossen Finale tobt ein besonders übler Tornado über der für Tornadofilme obligatorischen Kleinstadt, deren Bürger in einem Kino Zuflucht suchen. Der Sturm fetzt ausgerechnet die Wand weg, an der gerade noch ein Film lief. Die zerzausten Schutzsuchenden starren in die Tornadotrümmer wie auf eine Leinwand und drohen, nach draussen gesaugt zu werden. Wer einen Actionfilm so elegant-ironisch erzählen kann, dass man sich als Zuschauer zum Schluss nicht einmal mehr im Kino sicher fühlt, der braucht vielleicht tatsächlich kein einziges Mal das offensichtliche K-Wort zu verschwenden.
Twisters, USA 2024 – Regie: Lee Isaac Chung. Buch: Mark L. Smith. Kamera: Dan Mindel. Mit: Daisy Edgar-Jones, Glen Powell. Warner, 117 Minuten. Seit dem 17. Juli 2024 in den Kinos.
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