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TV-Kritik «Aktenzeichen XY»
Wegen Schweizer Cold Case: SRF zeigte einmalig «Aktenzeichen XY»

Porträt einer Frau mit langen dunklen Haaren vor grauem Hintergrund.
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In Kürze:
  • Die Nidwaldner Polizei rollt den Mordfall der bulgarischen Sexarbeiterin neu auf.
  • Weil die deutsche Sendung «Aktenzeichen XY» den Fall aufnahm, strahlte auch SRF ausnahmsweise «Aktenzeichen XY» aus.
  • Bereits dreissig Minuten nach Ausstrahlung gingen zahlreiche neue Hinweise ein.

«Von wo kommst du?», kratzt die Stimme des Freiers mit schwerem Schweizer Akzent.

«Aus Bulgarien», antwortet die Prostituierte.

«Wie viel?»

«Kommt darauf an, was du willst.»

So begann heute Abend die Rahmenhandlung in «Aktenzeichen XY». 22 Jahre lang war die spezielle Mischung aus Kriminalprotokoll und mediokrem Reenactment nicht mehr am Schweizer Fernsehen zu sehen gewesen. Aus aktuellem Anlass entschied sich SRF, die ZDF-Sendung einmalig live zu übertragen: Es ging darin nämlich um einen Cold Case, einen ungelösten Fall aus der Schweiz, den die Polizei wiederaufnimmt.

Der Fall gilt als der einzige ungeklärte Mord im Kanton Nidwalden. Das Opfer, Emiliya Emilova, war 36 Jahre alt und arbeitete als Prostituierte auf dem Strassenstrich in Ibach, Luzern. Die Bulgarin wurde erdrosselt und ihre Leiche in den Vierwaldstättersee an der Kehrsitenstrasse geworfen. Im September 2014 war das.

Schwerer Schweizer Zungenschlag

5000 Seiten schwer ist die Akte, die Polizei ermittelte fieberhaft, aber erfolglos im Rotlichtmilieu. War der Täter ein Freier? Auch Emilovas Lebenspartner, der sie aus Bulgarien in die Schweiz verschacherte, könnte es gewesen sein. Jedenfalls ist er inzwischen untergetaucht. 

Der Mord war in der Sendung denn nicht zu sehen. Die Handlung sprang vom Strassenstrich zur Stelle, wo Emilya Emilovas Leiche gefunden worden war. Polizisten wuseln herum und diskutieren. «Hoi Urs» – «Eine Frauenleiche?» – «Ja» – «Identität?» – «Noch nichts». Wieder schwerer Schweizer Zungenschlag. Sonst nahm man es mit dem Lokalkolorit weniger genau: Der See im Film war ganz sicher nicht der Vierwaldstättersee, sondern ein deutsches Gewässer in einer flachen Landschaft.

Nun schaut niemand «Aktenzeichen XY» wegen der cineastischen Qualitäten der Filmszenen. Umso gespannter lauschte man dem Nidwaldner Chef-Ermittler Senad Sakic, der im XY-Studio bei Moderator Rudi Cerne seine Hoffnung erklärte: Abhängigkeitsverhältnisse im Rotlichtmilieu, die mal bestanden, könnten inzwischen aufgelöst sein; Mitwisser könnten heute gesprächiger sein. Auch zwei Phantombilder von möglichen Zeugen präsentierte der Schweizer Polizist. Und tatsächlich: Bereits eine halbe Stunde später gingen bei Sakics Leuten «viele Meldungen» ein. Darunter offenbar «ein besonders wertvoller Hinweis».

Mann im Anzug steht vor einer Leinwand mit grossen Zahlen 95 im Hintergrund.

Das Schweizer Fernsehen beendete Ende 2003 die Ausstrahlung von «Aktenzeichen XY». Weil das ZDF die Sendung vom Freitagabend auf den Donnerstagabend umplatziert hatte. Der damalige SRF-Chefredaktor Ueli Haldimann erklärte, dass «Aktenzeichen XY» nicht zum Profil des Donnerstag-Sendeplatzes passe.

Das mag sein, vielleicht entsprach die Sendung aber auch nicht mehr ganz dem Zeitgeist. Denn lange traf bei «Aktenzeichen XY» Angstlust («das hätte ich sein können, nochmals davon gekommen!») auf plumpe Gesellschaftskritik. Wenn man sich als brave Bürgerstochter die Nächte in einer Diskothek um die Ohren schlägt, kann es gut sein, dass man erdrosselt in einem Autobahn-Gebüsch aufgefunden wird! Angstmacherei und stereotype Darstellung von ganzen Gesellschaftsschichten, vor allem Ausländern, waren oft gehörte Kritikpunkte.

Die Macher der Sendung hielten dem entgegen, dass die gezeigten Fälle eine Aufklärungsquote von 40 Prozent hätten und «Aktenzeichen XY» präventiv wirke, weil die Zuschauer mit den Maschen und Mustern von Verbrechern vertraut gemacht würden. Ausserdem hätten Fortschritte in der DNA-Analytik dazu geführt, dass alte Fälle nach einer XY-Ausstrahlung doch noch gelöst werden könnten.

Weniger moralisches Geraune

Auch bei Emilya Emilovas Leiche wurden DNA-Spuren gefunden. Zwar haben diese bisher nichts ergeben. Seit der Revision des DNA-Profilgesetzes im August 2023 können Forensiker aber mehr Informationen aus solchen Spuren gewinnen. Mithilfe der DNA-Phänotypisierung lassen sich äussere Merkmale wie Augen-, Haar- und Hautfarbe bestimmen, ebenso die «biogeografische» Herkunft und das ungefähre Alter eines Verdächtigen.

Ob dies im Fall Emilya Emilova den Durchbruch bringen wird, wird sich zeigen.

Bis dahin kann man feststellen: Nicht nur die Forensik hat in den letzten Jahren Fortschritte gemacht, sondern auch «Aktenzeichen XY». Zwar gehören Angstlust und Voyeurismus – wie bei allen True-Crime-Formaten – zwangsläufig immer noch zum Konzept. Aber die Sendung konzentriert sich ansonsten ohne moralisches Geraune nüchtern auf die Ermittlungen. Vielleicht bleibts auf SRF ja nicht nur bei der Spezialsendung.