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TV-Kritik «Tatort»
Wer flog über das Kuckucks­nest?

Sein Hausdach ist kaputt, seine Seele auch: Kommissar Berg (Hans-Jochen Wagner) und Kollegin Tobler (Eva Löbau) als Seilschaft mal ganz anders.
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In Minute 18 sehen wir ihn zum ersten Mal, den Drachen. Unauffällig, optisch eher Komodowaran als Fabelwesen, kriecht er im Garten der forensischen Psychiatrie Südbaden langsam um die Ecke, und das TV-Publikum weiss nicht auf Anhieb, ob es sich dabei um die Halluzination eines Insassen handelt oder um ein entlaufenes Zootier.

Regisseur Stefan Krohmer akzentuiert den zwölften Fall aus dem Schwarzwald, «Letzter Ausflug Schauinsland», gern mit solchen stillen, Subtext-reichen Bildern. Schon die ersten zweieinhalb Minuten resümieren die Geschichte rund um den Mord an einer psychiatrischen Gutachterin in derartigen Shots: Leises Klaviertröpfeln begleitet den Blick auf ein blutig tropfendes Wildschwein, auf einen einsamen Mann in einer Gaststätte, auf die nächtliche Station in der Psychiatrie, und nur retrospektiv erklärt sich die Bilderkette.

Der Film, bei dem wohl auch «One Flew Over the Cuckoo’s Nest» Pate stand, zeichnet eindrücklich das System Forensische Psychiatrie, dessen Unerbittlichkeit, aber auch dessen Hilflosigkeit und Überforderung. Einerseits ist es nötig, uneinsichtige, seelisch kranke Gewalttäter in einer einschlägigen Anstalt zu betreuen und die allfällige Freilassung streng zu prüfen. Andererseits scheint es für Insassen (zu) schwierig, den Stempel «Gemein­gefährlicher gestörter Täter» jemals wieder loszuwerden.

Schillernde Beziehungen und Seilschaften en masse

Der reale Justizskandal um Gustl Mollath – Mollath war jahrelang zu Unrecht in der forensischen Psychiatrie eingesperrt – hat vor rund einem Jahrzehnt die Bundesrepublik erschüttert. Der im aktuellen «Tatort» mordverdächtige Vergewaltiger Hansi Pagel (Rüdiger Klink als Jack-Nicholson-Abklatsch) kämpft gleichfalls seit langem vergeblich gegen seine Internierung in der Klinik. Sympathisch ist der aufbrausende Pagel den Ermittlern Berg (Hans-Jochen Wagner) und Tobler (Eva Löbau) keineswegs; zudem wurde seine DNA im Auto des Mordopfers gefunden. Aber er hatte kein Motiv, im Gegenteil: Der Tod der ihm wohlgesonnenen Gutachterin raubt ihm die Hoffnung.

Sanfter Drachentöter: Ein starker Bekim Latifi als Anstaltsinsasse.

Das Spital produziert schillernde Beziehungen und Seilschaften en masse, auch zwischen Pagel und einem jungen, sanft lächelnden Muttermörder (toll: Bekim Latifi). Und was da zwischen dem Klinikleiter und seiner Stellvertreterin läuft (herausragend in ihrem harmlosen Gestus: Ulrike Arnold), werden die Kommissare erst spät herausfinden. Sowieso hat der melancholische Berg seinen Kopf nicht ganz bei der Sache, schliesslich muss er sich auch um sein zerfallendes Bauernhaus kümmern, das mit unschönen Vatererinnerungen angefüllt ist wie die heruntergekommene Hütte der Pagels: Stoff für weitere sprechende Bilder.

Während die tote Gutachterin und ihre offene Ehe vorderhand etwas in den Hintergrund geraten, ist das Drehbuch von Stefanie Veith besonders gelungen, wenn es den Impact von Macho Pagel auf seine Familie darstellt: Hier der wütend-verletzte Sohn (unglaubwürdigerweise ausgerüstet mit stattlichem Pick-up und teuren Rassehunden); da die solidarische Tochter, die ihrer alkoholkranken Mutter grollt; dort der Justizapparat, der immer wieder seltsame, auch problematische Entscheide fällt. Selbige entlassen am Ende auch die Zuschauer mit sehr ungemütlichen Gefühlen in den Sonntagabend: Nichts ist gut – und das ist gut!