Türkischer Präsident zu Gast in BerlinErdogan: «Wir schulden Israel nichts»
Recep Tayyip Erdogan besucht in Deutschlands Hauptstadt Olaf Scholz. Die Meinungen des Präsidenten und des Kanzlers zum Gaza-Krieg klaffen weit auseinander – das zeigt sich in der gemeinsamen Pressekonferenz.
Beim Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Berlin sind die unterschiedlichen Positionen zum Nahost-Konflikt aufeinander geprallt. Erdogan verurteilte am Freitag in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz die israelische Kriegsführung im Gaza-Streifen mit vielen Toten in der Zivilbevölkerung. Scholz betonte dagegen, dass die Gewalt von der terroristischen Hamas ausgegangen sei und Israel ein Recht zur Selbstverteidigung habe.
Beide Politiker stimmten aber darin überein, dass kurzfristig humanitäre Feuerpausen zur Versorgung der Zivilbevölkerung und langfristig eine Zwei-Staaten-Lösung mit einem friedlichen Nebeneinander von Israelis und Palästinensern nötig seien.
Erdogans Besuch in Deutschland, der erste seit fast vier Jahren, war auch wegen dessen scharfer verbaler Attacken gegen Israel im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg umstritten. Erdogan hatte die Ermordung vieler Hundert israelischer Zivilisten beim Terrorangriff am 7. Oktober zwar verurteilt, die dafür verantwortliche Hamas aber später als «Befreiungsorganisation» bezeichnet. Israel warf er dagegen einen «Genozid» (Völkermord) im Gazastreifen vor. Er stellte auch das Existenzrecht Israels infrage. In der Pressekonferenz mit Scholz vermied Erdogan jedoch eine weitere Eskalation. Auch auf Nachfrage wiederholte er die Vorwürfe nicht.
«Dass wir zu dem Konflikt sehr unterschiedliche Sichtweisen haben, ist ja kein Geheimnis», sagte SPD-Politiker Scholz in der Pressekonferenz, an die sich ein gemeinsames Abendessen anschloss. Gerade deshalb seien die Gespräche wichtig. Scholz bekräftigte die deutsche Position: «Lassen Sie mich ganz klar sagen: Das Existenzrecht Israels ist für uns unumstösslich.» Und: «Wer Deutschland kennt, der weiss: Unsere Solidarität mit Israel steht ausser Frage. Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich zu verteidigen.» Zugleich betonte Scholz: «Auch das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza bedrückt uns.» Deutschland gehöre bereits seit Jahrzehnten zu den grössten Hilfsgebern für die palästinensische Bevölkerung.
Erdogans harte Kritik an Israel
Erdogan verlangte eine humanitäre Waffenpause im Gaza-Krieg. Wenn Deutschland und die Türkei gemeinsam einen solchen Waffenstillstand erreichen könnten, habe man die Chance, die Region aus diesem «Feuerring» zu retten, sagte er. «Die Priorität für uns alle liegt in der Gewährleistung eines Waffenstillstands und der uneingeschränkten Bereitstellung humanitärer Hilfe.» Jeder müsse sich für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten einsetzen. «Wie sehr kann Deutschland beitragen? Wie können wir gemeinsam diese Schritte setzen?»
Der türkische Präsident kritisierte, Israel habe Tausende Palästinenser getötet, Spitäler vernichtet, Gebetshäuser und Kirchen zerbombt. «Warum gibt es keine Reaktion?» Erdogan reklamierte für sich, frei reden zu können, und ergänzte: «Denn wir schulden Israel nichts.» Sein Land sei nicht am Holocaust beteiligt gewesen. Deutschland erwähnte er in diesem Zusammenhang nicht explizit.
Lieferung von Eurofighter-Kampfjets
Kurz vor Erdogans Ankunft drängte die Türkei auf ein deutsches Ja zum Kauf von Eurofighter-Jets. Verteidigungsminister Yasar Güler hatte am Donnerstag gesagt, die Türkei beabsichtige 40 der Kampfflugzeuge zu kaufen und habe bereits die Zustimmung von Grossbritannien und Spanien. Nun wolle man Deutschland überzeugen.
Ankaras Interesse an den Flugzeugen sei der Regierung bekannt, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin. Es wurde erwartet, dass dieses Thema auch beim Abendessen auf den Tisch kommen würde. In der gemeinsamen Pressekonferenz sagte Erdogan, es gebe viele Länder, die Kampfflugzeuge herstellten, nicht nur Deutschland. «Das kann man natürlich auch von anderen Ländern besorgen.»
Getreideabkommen mit Russland
Scholz bedankte sich bei Erdogan für dessen persönlichen Einsatz für das Getreideabkommen mit Russland, durch das Getreide aus der Ukraine trotz des Krieges exportiert werden konnte. Die Türkei habe hier eine «konstruktive und wichtige Rolle gespielt», betonte er. «Es ist bitter, dass Moskau dieses Abkommen nicht länger fortführt.»
Nach Erdogans Darstellung will Russland aber wieder grosse Mengen an Getreide nach Afrika schicken. Die Türkei sei bereit, bei einem Getreidekorridor im Schwarzen Meer zu helfen.
Begrenzung der irregulären Migration
Scholz bekundete das deutsche Interesse, das Migrationsabkommen zwischen der EU und der Türkei fortzuführen. «Uns eint das Ziel, irreguläre Migration zu begrenzen», sagte er. Das Abkommen von 2016 sei eine gute Vereinbarung gewesen. «Ich setze mich in der Europäischen Union dafür ein, dass diese Vereinbarung fortgesetzt wird. Sie ist zu unser beiderseitigem Nutzen.»
Auch über die Frage der Rückführung von Migranten werde man sprechen müssen.
Beziehungen der Türkei zur EU
Scholz kündigte an, er wolle mit Erdogan auch darüber sprechen, wie konkrete Fortschritte bei den Beziehungen der Türkei zur Europäischen Union zu erreichen seien. «In den vergangenen Jahren sind wir bei den Beziehungen zwischen der EU und der Türkei hinter unseren Möglichkeiten, hinter unseren Potenzialen zurückgeblieben.»
Erdogan betonte, sein Land wünsche sich innigst, dass der EU-Beitrittsprozess weitergehe. Dabei sei die Unterstützung Deutschlands sehr wichtig. «Seit 52 Jahren wartet die Türkei an der Tür der Europäischen Union.»
Steinmeiers klare Position
Der türkische Präsident war nach seinem Eintreffen in Berlin zunächst von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue empfangen worden. Auch dieser machte nach Angaben des Bundespräsidialamts «mit Nachdruck» die deutsche Position im Nahost-Konflikt deutlich. «Der Bundespräsident hat die Einstufung des Überfalls der Hamas auf Israel als Terrorangriff und der Hamas als Terrororganisation unterstrichen. Er hat das Existenzrecht Israels sowie sein Recht auf Selbstverteidigung herausgehoben», hiess es.
SDA/fal
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