Trump wankt, hat aber längst nicht verloren
Die Strategie des US-Präsidenten ist: noch mehr Lügen, noch mehr Hetze. Dass die amerikanische Gesellschaft dabei in die Brüche geht, kümmert ihn nicht.
In einem Jahr wählen die Amerikaner ihren Präsidenten. Und niemand kann heute sagen, ob Donald Trump am 3. November 2020 eine zweite Amtszeit gewinnen wird. Ein Jahr ist eine lange Zeit in der Politik. Vielleicht übersteht der Präsident ja das derzeit laufende Amtsenthebungsverfahren entgegen allen Erwartungen doch nicht. Oder vielleicht tut er irgendwann doch noch etwas so Unerhörtes, dass sich selbst jene beinharten Anhänger von ihm abwenden, die all das Unerhörte, das er bisher getan und gesagt hat, ignoriert haben oder sogar ganz prima fanden. Oder vielleicht einigen sich ja auch die Demokraten auf einen so grossartigen Kandidaten oder eine so wunderbare Kandidatin, dass Trump die Wahl einfach verliert. All das ist möglich. Wird es passieren?
Leider eher nicht. Man kann es gut oder schlecht finden, aber man sollte sich keine Illusionen machen: Die Wahrscheinlichkeit, dass Donald Trump nach der Wahl im November 2020 für weitere vier Jahre Präsident der Vereinigten Staaten bleibt, ist nach derzeitigem Stand grösser, als dass er abgewählt wird.
Aber, so könnte nun ein entsetzter Einwand lauten, ist Trump nicht historisch unbeliebt? Ja, das ist er. Die Umfragen schwanken etwas, aber im Durchschnitt haben nur 43 Prozent der Amerikaner eine gute Meinung von ihrem Präsidenten. Während seiner bisherigen drei Jahre im Amt ist Trump nie über die 50-Prozent-Marke hinausgekommen. Anders gesagt: Er hatte zu keinem Zeitpunkt eine Mehrheit seiner Landsleute hinter sich.
Bessere Umfragewerte als zuvor
Doch das garantiert nicht, dass Trump verliert. Im November 2015, ein Jahr vor der letzten Wahl, mochten ihn nur 34 Prozent der Bürger. Im November 2016, am Vorabend seines Wahlsiegs, lag Trumps Zustimmungswert bei 37 Prozent. Das heisst: Obwohl zwei Drittel der Amerikaner ihn damals mehr oder weniger verachteten, gewann er die Wahl; und seine Politik als Präsident hat dazu geführt, dass er heute bessere Umfragewerte erreicht als damals als Kandidat. Für 2020 ist das eine gute Ausgangslage.
Aber, so lautet ein anderes Gegenargument, haben die Demokraten dieses Jahr nicht bessere Bewerber? Nicht die allseits unbeliebte Hillary Clinton, sondern fähige, charismatische Kandidatinnen und Kandidaten: Elizabeth Warren, Joe Biden, Bernie Sanders? Ja, das haben sie. Sogar noch ein Dutzend Bewerber dazu. Und es gibt Teile des Landes, in denen diese Leute und ihre Ideen auf grosse Zustimmung stossen. Allerdings kann man Zweifel daran haben, dass das jene Teile sind, in denen die Wahl entschieden wird.
Trump muss im Wahlkampf nur «Sozialismus» und «Mauer» und «Die nehmen euch die Waffen weg» schreien. Und er wird damit weit kommen.
Denn wie immer wird die Schlacht ums Weisse Haus nicht in Kalifornien oder New York geschlagen werden, sondern in einer Handvoll Bundesstaaten dazwischen, die weit weniger liberal sind. Die Menschen dort schwärmen nicht so sehr für die linke Revolution, die Warren oder Sanders versprechen. Für sie klingen deren Pläne – eine staatliche Krankenversicherung für alle, freie Universitäten, Erlass aller Studienkredite, Reparationen für die Schwarzen in Amerika – vor allem danach, dass sie Wohltaten für andere Leute bezahlen sollen.
Diese Wähler haben auch eine durchaus andere Meinung als die Demokraten dazu, ob ein illegaler Grenzübertritt keine Straftat mehr sein und der Besitz von AR-15-Sturmgewehren verboten werden soll. Trump muss im Wahlkampf nur «Sozialismus» und «Mauer» und «Die nehmen euch die Waffen weg» schreien. Und er wird damit weit kommen.
Joe Biden weiss das. Er sieht, wie die Partei nach links rutscht, und er versucht, nicht mitzurutschen. Und vielleicht wäre er genau der richtige Kandidat gegen Trump, wenn er – um es höflich auszudrücken – zwanzig Jahre jünger wäre als die fast 77 Jahre, die er ist. Aber so, wie es derzeit aussieht, ist zumindest dieses Jahr nicht das Jahr des Joe Biden.
Aber, so könnte ein letzter, verzweifelter Protest lauten, haben die Amerikaner Trump nicht satt? Die Lügen, die rassistische Hetze, das Chaos und das ewige Drama, das sich immer nur um ihn dreht? Haben sie nicht genug von einem Präsidenten, der das Land verängstigt und spaltet und die demokratischen Institutionen schleift? Dessen Tiraden gegen Einwanderer, wie im Sommer in El Paso, einen Massenmörder inspiriert haben? Ja, längst. Und wenn man Optimist ist, kann man daraus ein wenig Hoffnung schöpfen.
Wenn die Amerikaner die Wahl nächstes Jahr als Referendum über den destruktiven Charakter ihres Präsidenten sehen, wenn ihnen egal ist, was die Demokraten planen oder wie gut die Wirtschaft läuft, weil am 3. November 2020 Amerikas Seele auf dem Spiel steht – dann verliert Donald Trump vielleicht.
Dazu freilich müssten die Bürger für einen Augenblick ihre Köpfe aus den Schützengräben heben können. Und genau das kann Trump nicht zulassen. Seine Verteidigungsstrategie ist: noch mehr Lügen, noch mehr Hetze, bloss keine Atempause. Die amerikanische Gesellschaft geht dabei in die Brüche. Aber das kümmert Donald Trump nicht, solange er gewinnt.
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