Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Zweites Impeachment in den USA
Trump «moralisch» schuldig – aber knapp freigesprochen

Trump erklärt, er habe noch viel vor. Gut möglich, dass sich manche Republikaner schon bald wünschen, sie hätten Trump doch verurteilt.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Um 15:47 Uhr am Washingtoner Nachmittag ist klar, dass Donald Trump nicht vom Senat verurteilt werden wird. Der republikanische Senator Marco Rubio ist gerade nach seiner Stimme gefragt worden. «Nicht schuldig», sagt Rubio. Trump sei also nicht schuldig, den Sturm auf das US-Capitol am 6. Januar angezettelt zu haben. Der Zähler springt damit von 33 auf 34 «Nicht schuldig»-Stimmen, genug, um die Verurteilung zu verhindern.

Das Ergebnis ist dennoch knapper als gedacht. 57 der 100 Senatoren stimmten für eine Verurteilung. 43 dagegen. Sieben Republikaner haben mit den Demokraten gestimmt. Nur zehn Stimmen haben gefehlt, um Trump mit der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit zu verurteilen.

Das ist durchaus ein Erfolg für die Demokraten. Kein Amtsenthebungsverfahren zuvor ist derart überparteilich zu Ende gegangen. Im ersten Impeachment-Verfahren gegen Trump vor einem Jahr war Mitt Romney der einzige Republikaner, der Trump für schuldig befand.

Der Grossteil der Republikaner hat sich entschlossen, sich nicht die Finger zu verbrennen.

Vielleicht wäre dieses Amtsenthebungsverfahren anders ausgegangen, wenn nicht 100 Senatoren, sondern 100 unabhängige Geschworene ihr Urteil hätten fällen müssen. Vielleicht wäre Trump dann nicht nur als erster Präsident zweimal mal vor dem Senat angeklagt, sondern als erster Präsident auch tatsächlich verurteilt worden.

Aber dies ist kein Gerichtsprozess, so sehr sich das Prozedere auch daran orientieren mag. Es ist ein politisches Verfahren. Die Senatoren bleiben Republikaner auf der einen und Demokraten auf der anderen Seite. Der Grossteil der Republikaner hat sich entschlossen, sich nicht die Finger zu verbrennen.

McConnell stimmt der Anklage voll zu

Darunter ist auch ihr Führer im Senat, Mitch McConnell. Der hatte am Samstagmorgen seinen Kolleginnen und Kollegen per Brief mitgeteilt, dass er Trump nicht verurteilen werde. Das war nicht unbedingt überraschend. Aber manche hatten sich Hoffnung gemacht, dass McConnell sich gegen Trump stellt. Er hatte dem damaligen Präsidenten kurz nach dem Aufstand immerhin öffentlich vorgeworfen, den Aufstand «provoziert» zu haben.

Nach der Abstimmung meldete sich Mitch McConnell zu Wort, um sein Stimmverhalten zu erklären. Er bleibe dabei, Trump sei «moralisch und praktisch verantwortlich» für den Sturm auf das Capitol. Der damals mächtigste Mann der Welt habe seine Anhänger über Monate mit Lügen und Verschwörungsmärchen gefüttert. Das habe «vorhersehbar» zu diesem Ausbruch der Gewalt geführt.

Mitch McConnell ist der mächtigste Republikaner im Senat. Er hält Trump für schuldig, verurteilte ihn aber trotzdem nicht.

Und statt seine Anhänger umgehend aufzufordern, das Capitol zu verlassen, habe Trump die Ereignisse offenbar «fröhlich» am Fernseher verfolgt. Die Angreifer seien «im Namen Trumps» vorgegangen. «Nur er», der Präsident, habe die Angreifer zurückhalten können. Niemand sonst.

McConnell hat sich damit die Argumentation der Anklage zu eigen gemacht. Dennoch hat er Trump für «nicht schuldig» erklärt. Weil er, wie er sagt, überzeugt sei, dass ein nicht mehr amtierender Präsident nicht vom Senat verurteilt werden dürfe. Immerhin gesteht er ein, dass das auch anders gesehen werden könne. Er respektiere jeden Republikaner, der sich anders entschieden habe.

Verstörende Details

Trump wäre also wohl selbst dann nicht verurteilt worden, wenn er an diesem Samstag öffentlich erklärt hätte, dass er den Sturm auf das Capitol angezettelt habe. Ob das wirklich etwas mit verfassungsrechtlichen Bedenken zu hat, ist allerdings fraglich. Zu gross ist die Angst viele Republikaner vor seiner Rache. Mit der Folge, dass Trump jetzt behaupten kann, vom Vorwurf freigesprochen worden zu sein, den Sturm auf das Capitol am 6. Januar angezettelt zu haben.

Allein der Umstand, dass Trump während des Angriffs offenbar über Stunden nichts unternommen hat, um den Angegriffenen zu Hilfe zu eilen, hätte nach Ansicht der Ankläger für eine Verurteilung reichen müssen. Am Freitag sind dazu verstörende neue Details ans Licht gekommen.

Es gab offenbar mehrere Versuche republikanischer Führer, mit Trump in Kontakt zu treten. Zu einem Zeitpunkt, als Trump klar gewesen sein muss, dass sein eigener Vize-Präsident in akuter Gefahr war, soll er einen Senator gedrängt haben, die für jenen Tag terminierte Zertifizierung des Wahlergebnisses weiter hinauszuzögern. Das schien ihm wichtiger gewesen zu sein, als das Wohlergehen des Mannes, der ihm über vier Jahre treu zur Seite stand.

Kevin McCarthy, Chef der Republikaner im Abgeordnetenhaus, telefonierte in den Stunden des Aufstandes mit ihm. Er soll Trump angefleht haben, die Angreifer zurückzurufen. Trump habe ihm erklärt, dass seien nicht seine Leute, das sei die Antifa, die gerade das Capitol stürme. McCarthy widersprach. Trump daraufhin: «Nun, Kevin, ich schätze, dass diese Leute wütender über (den Ausgang) der Wahl sind als du.» Überliefert ist das Telefonat von einer republikanischen Abgeordneten.

Trump schickte die Menge zum Capitol

Die Ankläger haben in den vergangenen Tagen detailliert nachgezeichnet, wie Trump über Monate hinweg den Ausgang der Wahl als Betrug diskreditiert hat, sollte er nicht als Sieger daraus hervorgehen. Wie Trump seine Fans nach der Wahl mit der Lüge gefüttert hat, dass in Wahrheit er die Wahl «erdrutschgleich» gewonnen habe. Wie er letztlich, als alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft waren, seine Anhänger glauben gemacht hat, sie könnten am Tag der Zertifizierung das Wahlergebnis noch kippen, wenn sie nur zu seiner Kundgebung nach Washington kämen.

Nach Trumps Rede strömten seine Anhänger zum Capitol und schafften sich gewaltsam Zugang zum geschlossenen Gebäude.

Und wie er letztlich die aufgebrachte Menge am 6. Januar zum Capitol schickte, wo sie dann Scheiben einschlugen, Büros verwüsteten und die heiligen Hallen der US-Demokratie entweihten. Sieben Menschen verloren in Folge des Aufstandes ihr Leben, darunter drei Polizisten. Noch während des Aufruhrs teilte Trump seinen randalierenden Fans im Capitol mit, sie seien «besondere Menschen», und er sagte: «Wir lieben euch.»

Trump will «Reise fortsetzen»

Die Verteidigung hatte dem nicht viel entgegenzusetzen. Sie sind Zivil- und Strafrechts-Anwälte der dritten Liga, die normalerweise alles vertreten von Schwerverbrechern mit Mafia-Verbindungen bis zu Truck-Fahrern, die einen Unfall hatten. Bessere Anwälte konnte Trump nicht finden. Trump habe sich nichts zu Schulden kommen lassen, erklärten sie. Er habe lediglich von seinem Recht auf freie Meinungsäusserung Gebrauch gemacht.

Ausserdem dürfe der Senat keinen nicht mehr amtierenden Präsidenten verurteilen. Fast 200 angesehene Verfassungsrechtler aller politischen Lager hatten in einem gemeinsamen Brief dieser Haltung widersprochen. Und natürlich auch Jamie Raskin, der Wortführer der Anklage, demokratischer Abgeordneter und früherer Professor für Verfassungsrecht. Solange ein Präsident während seiner Amtszeit angeklagt werde, sei ein Impeachment völlig legitim. Am Dienstag hatte der Senat diese Haltung mit Stimmen aus beiden Parteien gebilligt.

Kurz nach der Entscheidung hat Trump eine Erklärung veröffentlicht, in der er sich wieder als Opfer darstellt.

Trump kann das alles egal sein. Sollte er Pläne haben, 2024 wieder anzutreten, kann er das jetzt ungestört tun. Kurz nach der Entscheidung hat er eine Erklärung veröffentlicht, in der er den Prozess als «Hexenjagd» bezeichnet und sich wieder als Opfer darstellt. Kein Präsident habe angeblich «jemals» etwas Ähnliches durchmachen müssen. «Unsere historische, patriotische und schöne Bewegung, Amerika wieder grossartig zu machen, hat gerade erst begonnen», schreibt er. Er verspricht, er habe in den kommenden Monaten vieles mitzuteilen und er freue sich darauf, «unsere unglaubliche gemeinsame Reise fortzusetzen» – «So etwas hat es noch nie gegeben!»

Gut möglich, dass sich manche Republikaner schon bald wünschen, sie hätten Trump an diesem Samstag doch verurteilt.