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Experten sehen Netz am Werk
Wer steckt hinter den Trucker-Protesten?

Auch nach zwei Wochen reissen die Proteste in Kanada nicht ab, einem normalerweise eher ruhigen Land, das Derartiges noch nicht erlebt hat. Weiterhin blockieren grosse und kleinere Lastwagen die Strassen in der Hauptstadt Ottawa. Und weiterhin wird die Polizei der Lage nicht Herr.

Inzwischen haben sich die Aktionen auf andere Teile Kanadas ausgeweitet. An der Grenze zu den USA haben Demonstranten drei Übergänge blockiert, darunter die Ambassador-Brücke zwischen Detroit und Windsor, wo der Verkehr in beide Richtungen ruht. Sechs Automobilfirmen in der Region mussten ihre Produktion einstellen. Die Polizei hielt sich bisher zurück, es gab kaum Verhaftungen. Doch könnte die Lage bald eskalieren, wenn versucht wird, gerichtlich eine Räumung zu erzwingen.

Begonnen hatte das Ganze als Aktion einiger Trucker, die am 23. Januar an der kanadischen Westküste loszogen, um gegen Impfbestimmungen beim Grenzverkehr mit den USA zu protestieren. Nur zehn Prozent der Betroffenen sind ungeimpft, wie überhaupt die Impfbereitschaft der Kanadier sehr hoch ist. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Hier ist etwas aus den USA herüber­geschwappt».)

Kampf gegen das «System»

Die Trucker-Gewerkschaft und ein Grossteil der Bevölkerung lehnen die Aktion bezeichnenderweise ab. Doch längst geht es nicht mehr nur um die Impffrage und die Corona-Massnahmen. Viele der Teilnehmer fordern jetzt den Abtritt von Premier Justin Trudeau. Andere träumen offensichtlich vom Systemwechsel, wie ihn auch die Capitol-Stürmer in Washington am 6. Januar 2021 im Sinn hatten.

Ein Unterstützer der Trucker sitzt vor einer Blockade bei der Auffahrt auf die Brücke zwischen den USA und Kanada.

Verbreitet und verstärkt durch die sozialen Medien, hat all dies weltweit einen Nerv getroffen bei konservativ-libertären, rechts-nationalistischen und möglicherweise auch linksextremen Gruppen. Gemeinsam ist den meisten, «das System» bekämpfen zu wollen, also die westliche Demokratie, ihre Repräsentanten und Institutionen.

Die Corona-Massnahmen brandmarken sie als Versuch, ein «totalitäres Regime» zu errichten, symbolisiert im QR-Code, der als Impfnachweis dient. Weitere aus verschiedenen Gründen «Unzufriedene» gesellen sich hinzu.

Am Montag wollen Menschen aus ganz Europa die Aktion nach Brüssel tragen.

Als Erstes schwappten die Proteste über nach Neuseeland. Dort blockieren mehr als 1000 Menschen seit Anfang der Woche zentrale Strassen in der Hauptstadt Wellington. Premierministerin Jacinda Ardern forderte die Demonstranten auf, sich zu entfernen. Sie wollen aber bleiben, bis ihr Anliegen erfüllt ist: die Aufhebung aller Massnahmen gegen die Pandemie.

Kurz darauf begann eine ähnliche Aktion in Australien. An diesem Wochenende wird mit Protesten in den Vereinigten Staaten und einem Konvoi in Richtung Washington gerechnet. In Frankreich setzten sich schon am Donnerstag Fahrzeuge aus vielen Regionen des Landes Richtung Paris in Bewegung. Sie erinnern an die «gilets jaunes», die Gelbwesten-Bewegung, die Frankreichs Verkehrswege vor drei Jahren lahmlegte.

Aktion auch in der Schweiz

Am Montag wollen Menschen aus ganz Europa die Aktion nach Brüssel tragen. Die dortigen Behörden haben, wie die Kollegen in Paris, ein Verbot erlassen, was die Organisatoren bisher zumindest nicht beeindruckt. Auf jeweils eigenen Telegram-Kanälen verabreden sich Menschen aus Spanien, Deutschland, Österreich, Lettland und vielen anderen Ländern zu der Fahrt in die europäische Hauptstadt.

Am letzten Montag ist auch in der Schweiz ein Konvoi von Lastwagen und Autos in Erscheinung getreten. Nach einem Aufruf der Telegram-Gruppe «Convoy Switzerland» wollten Protestierende in die Berner Innenstadt fahren und die Strassen versperren. Berns Polizei sorgte aber dafür, dass es nicht so weit kam.  

Von den sozialen Medien in die reale Welt: In Kanada dauern die Trucker-Proteste seit zwei Wochen an.

Zum Teil entsteht diese weltweite Protestwelle wohl spontan, verstärkt von den sozialen Medien. In Frankreich etwa wird sichtlich der Unmut abgerufen, der schon die Gelbwesten bewegte und sich gegen die soziale Ungleichheit und eine politische und wirtschaftliche Elite richtete, die als abgehoben und arrogant wahrgenommen wird.

Nach Ansicht mancher Beobachter könnte die weltweite Freiheitskarawane aber auch eine gezielte und gut organisierte Aktion von Kreisen sein, die die pandemische Verwirrung in vielen Ländern als Gelegenheit betrachten, Sand ins Getriebe westlicher Demokratien zu streuen.

Dave Troy, ein US-Experte für Desinformation, sieht hinter der Truck-Welle ein «faschistisches internationales Netz» am Werk.

Hinweise darauf gibt es. Die wichtigsten Facebook-Gruppen, die den Protest anfangs begleiteten und zu Spenden aufriefen, wurden mit einer einzigen und gestohlenen Identität in den USA angemeldet. Der Protest habe sich keineswegs spontan aus der Frustration lokaler Lastwagenfahrer entwickelt, heisst es im britischen «Guardian».

Es handle sich vielmehr um eine «Astroturf»-Bewegung, die einen starken «Graswurzel»-Protest vortäusche, der eigentlich nur klein sei. Finanziert werde das von gut organisierten rechten Gruppen und befeuert von der «Desinformationsmaschine» Facebook. Caroline Orr Bueno von der Universität Maryland, die die kanadische Rechte seit Jahren beobachtet, verweist auf die Nähe der kanadischen Anti-Impf-Bewegung zu Agitatoren wie Ex-Trump-Berater Steve Bannon und dem weltweiten organisierten Rechtsextremismus.

Applaus rechter Kreise

Dave Troy, ein US-Experte für Desinformation, sieht hinter der Truck-Welle ein «faschistisches internationales Netz» am Werk. Involviert seien auch vernetzte Trolle, die im Auftrag des russischen Präsidenten Wladimir Putin versuchten, Chaos und Unfrieden im Westen zu stiften oder zumindest zu verstärken – eine Bedrohung, die ernst genommen werden müsse.

Für die Thesen spricht, wie blitzschnell rechte Politiker, Medien, Blogger und Prominente die Kanadier anfeuerten, von Donald Trump über Fox News, Tucker Carlson, Elon Musk bis zu europäischen Rechtsradikalen wie dem Niederländer Thierry Baudet. Parallel dazu wird Desinformation im Netz verbreitet.

Früh behauptete ein bekannter Eishockey-Spieler auf Fox News, in Kanada seien 50’000 Trucks unterwegs. Die «50’000» wurde zu einem Meme, das rasch in vielen Ländern kursierte, obwohl längst dokumentiert war, dass zunächst nur wenige Hundert Lastwagen Richtung Ottawa rollten.