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Trotz voller Stadien
Dem Schweizer Eishockey droht die Krise

28.09.2023; Martigny; Eishockey Swiss League - HCV Martigny - Bellinzona Rockets;
Michael Pastori (Bellinzona) gegen Leonardo Fuhrer (Martigny) 
(Pascal Muller/freshfocus)
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Das sind die grössten Baustellen

Ein hochrangiger Funktionär seufzt resigniert. Der Zustand des Schweizer Eishockeys bereitet ihm Sorgen. Er zeichnet ein düsteres Bild und sagt hinter vorgehaltener Hand: «Stellen Sie sich vor, Sie haben eine prächtige Villa erbaut, doch das Fundament ist instabil. Dann zieht ein Sturm auf und alles bricht zusammen.» Die Baustellen? Sie sind mannigfaltig – und eigentlich längst erkannt.

Die Swiss League, als Ausbildungsliga von zentraler Bedeutung, befindet sich seit der Erweiterung der National League von 12 auf 14 Teams sowohl sportlich als auch finanziell in einer prekären Lage. Die Bemühungen der zweithöchsten Liga, sich selbst zu vermarkten, um jährlich mehr Geld als die rund 380’000 Franken generieren zu können, sind kläglich gescheitert. Zurzeit besteht zwar ein TV-Deal mit Sky und CH Media sowie ein internationaler Wettvertrag. Doch das spült den Clubs nur einige Zehntausend Franken in die Kassen.

Es fehlen Einnahmen und klare Perspektiven. Aufstiegsambitionen hegen einzig Olten, Visp und La Chaux-de-Fonds, wobei die Neuenburger die wirtschaftlichen Voraussetzungen zuletzt nicht erfüllen konnten. Im vergangenen Jahr zog sich mit Langenthal einer der angesehensten Vereine zurück, nun folgt Martigny. Olten, das im Vorjahr trotz Finalteilnahme ein Minus von 1,2 Millionen Franken verzeichnete, dachte zumindest laut darüber nach.

Die Probleme erstrecken sich bis in die 2017 gegründete Myhockey League (MHL), die höchste Amateurliga. Auch hier ist die Situation heterogen: Es gibt ambitionierte Clubs wie Chur, dem der Aufstieg in die Swiss League gelang, aber auch Vereine wie Thun, das seit Jahren in einem veralteten Stadion spielt und jeden Franken zweimal umdrehen muss.

Denis Vaucher, Direktor der National League, sagt: «Zurzeit haben wir zu wenig gute Spieler für alle Ligen. Unter anderem, weil junge Talente nach Skandinavien oder nach Übersee abwandern. Wir müssen unbedingt noch mehr Buben und Mädchen für den Eishockeysport begeistern».

Doch gerade hier stellt sich der Verband selbst ein Bein. Denn: Nach der höchsten U-15-Kategorie (Elit) folgt ein rigoroser Schnitt: Von 24 wird auf 13 U-17-Elit-Teams reduziert. Für Ueli Schwarz, Verwaltungsrat beim EHC Biel und ehemaliger Direktor der National League, ein unhaltbarer Zustand: «Mit 14 wird die Hälfte aller Spieler beiseitegeschoben, weil sie keinen Platz im Ausbildungszentrum eines NL-Teams erhalten.»

Und weil die Amateurclubs im Nachwuchsbereich über weit weniger Mittel und Möglichkeiten verfügen, können diese Spieler auch weniger professionell trainieren. Die Folge: Sie können diesen Rückstand kaum wettmachen, Spätzünder werden so einfach übergangen. «Wir können es uns nicht leisten, so viele so früh in ihren Entwicklungschancen einzuschränken und sie womöglich zu verlieren. Sie fehlen uns später als Spieler, aber auch als Trainer, Schiedsrichter oder Funktionäre», sagt Schwarz.

Darum gibt es keine Lösungen

«Ich bin ratlos», bringt SCB-CEO Marc Lüthi, einer der mächtigsten Männer im Schweizer Eishockey, das Dilemma in einem Satz auf den Punkt. Als es im Herbst 2022 darum ging, das Oberhaus schrittweise wieder auf 12 Teams zu verkleinern und danach den direkten Auf- und Abstieg einzuführen, stimmte einzig der SC Bern dem Vorschlag zu.

Liga-Direktor Vaucher sagt deshalb: «Die Debatte darüber, ob die National League zu gross ist oder nicht, ist obsolet. Seit Jahren herrscht im Grundsatz Einigkeit darüber, dass zwei Topligen mit jeweils zehn Teams und einem direkten Auf-/Abstieg das Beste wären. Eine Umsetzung ist jedoch utopisch, denn sie würde die Existenz der von einem Abstieg betroffenen National League Clubs stark gefährden.»

Grund sei die erhebliche wirtschaftliche Kluft zwischen den beiden höchsten Ligen. Lüthi sagt: «So wie sich die Situation heute präsentiert, kann eine grosse Organisation einen Abstieg nicht verkraften – es wäre ein Selbstmordkommando. Auf der basisdemokratischen Ebene lässt sich das Problem nicht lösen, weil jeder Club befürchtet, selbst in den Abstiegskampf zu geraten.»

Kommt hinzu, dass die National League floriert. Nie zuvor strömten so viele Fans in die Stadien. Die abgelaufene Qualifikation bescherte der Liga mit knapp 2,6 Millionen Zuschauern – durchschnittlich 7130 pro Partie – einen Rekord. Das Niveau ist hoch und die Schweiz stellt mit Servette sogar den amtierenden Champions-Hockey-League-Sieger. Kurz gesagt: Probleme haben die anderen. Doch was wird in ein paar Jahren sein? Was, wenn es dereinst an Nachwuchs mangelt, weil die Swiss League nicht mehr als Sprungbrett dient?

Das wären Lösungsansätze

Patrick Bloch, CEO von Swiss Ice Hockey, sagt, dass die Swiss Ice Hockey Federation mehrere Szenarien ausgearbeitet hat, die zur Stabilisierung der SL beitragen könnten. Nun müsse darüber diskutiert werden. Ein oft gehörtes Votum ist jenes, die SL mit der MHL zusammenzufügen.

14.02.2024; Kloten; Eishockey - MEdienkonferenz des Schweizerischen Eishockey Verbands (SIHF) zur Verlaenergung des Vertrags mit Trainer Patrick Fischer, CEO SIHF Patrick Bloch 
(Claudio Thoma/freshfocus)

Schwarz hat sich in einem Blog mit diesem Szenario auseinandergesetzt. Er würde die Swiss League in zwei Gruppen zu mindestens zehn Teams vereinen. Nach Abschluss einer regionalen Qualifikation sollten die besten Teams pro Gruppe eine Toprunde bestreiten, um den Meister zu küren. Dieser kann weiterhin aufsteigen. Damit die jungen Schweizer gefördert werden, würde er zudem die Anzahl der Spieler über 25 beschränken, ebenso die Ausländer – zumindest in der ersten Qualifikationsphase. Schwarz sieht dies nicht als alleinige Wahrheit, mehr als Denkanstoss. «So wie jetzt können wir nicht weitermachen. Es braucht einen Unterbau, in dem junge Schweizer reifen können.»

CEO Bloch kann Schwarz’ Idee teilweise Gutes abgewinnen, wobei er festhält, dass solche Gedanken nicht neu sind und bereits bei der SIHF diskutiert wurden. Aber der Schritt in eine solche Liga wäre laut Bloch für viele Clubs aus der MHL sehr gross. «Wir dürfen jetzt nicht einfach MHL-Teams in eine Swiss League integrieren, die das nicht wollen oder sich das nicht leisten können. Dann verlieren wir wieder Teams. Wir wollen eine nachhaltige Lösung.»

Was ihm wichtig ist: Es soll für die ambitionierten SL-Clubs weiterhin möglich sein, aufzusteigen. Eine geschlossene Liga mit reinen Farmteams nach nordamerikanischem Vorbild ist für Bloch persönlich keine Lösung. Weil die meisten SL-Vereine über eine grosse Tradition mit einer wichtigen Fanbasis verfügen.

Zudem laufen Bestrebungen, die Clubs finanziell zu entschädigen, wenn sie junge Schweizer Spieler ausbilden. Dafür soll ein Fonds gebildet werden, unter anderem aus Geldern der Versicherungssumme für die abgesagte WM in Zürich und Lausanne 2020.

Das passiert jetzt

Der Verband will in den nächsten Monaten seine Kernstrategie überarbeiten. Dabei rückt der Athletenweg ins Zentrum. CEO Bloch sagt: «Es geht darum, wie wir Spieler von der Rekrutierung auf ihrem Weg bis zur National League bestmöglich ausbilden können.» Letztlich sollen mehr Spielerinnen und Spieler den Weg nach oben schaffen und internationales Niveau erreichen. Die aktuelle Drop-out-Quote sei diesbezüglich ein Problem, weil es dafür eine breite Basis benötige, sagt Bloch.

Deshalb ist der Verband daran, auf 2025 hin die Jahrgänge zu erhöhen, also beispielsweise U-16- und U-18-Stufen einzuführen, wodurch Spätzündern mehr Zeit eingeräumt wird. Das ist keineswegs ein Randphänomen: Bedingt durch das Schulsystem können sich die Schweizer weniger auf den Sport konzentrieren als die internationale Konkurrenz und brauchen deshalb mehr Zeit.

Ebenso will der Verband die Ligastruktur unter die Lupe nehmen, wofür eine Taskforce gebildet wurde, die um Vertreter der verschiedenen Anspruchsgruppen erweitert werden soll. Schon vor zwei Jahren wurde über Lösungen diskutiert, um die Swiss League zu stabilisieren – ohne Ergebnis. «Wenn alle nur für sich schauen, bringt das nichts», sagt Bloch. «Wir müssen den Blick auf das gesamte Schweizer Eishockey öffnen und gemeinsam konstruktive Lösungen finden.» Im besten Fall soll auf die Saison 2025/26 hin eine stabile Struktur vorliegen.