Wildwest im Eishockey-PlayoffSchläge und Attacken – und doch folgen kaum harte Strafen
Weil das Opfer von heute schon morgen der Täter sein kann, sperren sich die Clubs gegen ein strikteres Vorgehen: Einen sehr lange gesperrten Starspieler will niemand riskieren.
Nicht alle vier Serien der ersten Playoff-Runde verliefen gleich fair. Beim Duell zwischen Lausanne und Davos, das am Samstag enden wird, wurden bis und mit Spiel 6 bereits drei Westschweizer gesperrt und waren diverse weitere fragwürdige Chargen zu sehen.
Es sind Aktionen wie jene des Lausanners Cody Almond kurz vor Ende von Spiel 4, die jeweils für aufgeheizte Stimmung sorgen. Bei den Gegnern, die Spieler wegen Verletzungen verlieren, aber auch bei neutralen Fans. Almond wurde für seine Attacke gegen den Kopf des Davosers Davyd Barandun für fünf Spiele aus dem Verkehr gezogen.
Er ist der Einzige im aktuellen Playoff, der ein hartes Verdikt erhielt, während der Rest der Sanktionierten auch in den anderen Serien mit einer und in einem Fall mit zwei Partien oder mit einer Geldbusse davonkam. Darum wird wieder einmal debattiert: Werden unfaire Aktionen im Schweizer Eishockey zu mild bestraft?
Die Anzahl Spielsperren ist nicht in Stein gemeisselt
Die Rechtsprechung funktioniert vereinfacht erklärt so: Der Player Safety Officer (PSO) sichtet alle fragwürdigen Szenen und gibt dem Einzelrichter Empfehlungen ab. Er ordnet die Vergehen wie folgt ein: Kategorie 1 (unabsichtliche, leichte Fahrlässigkeit), die eine Busse oder eine Sperre für ein Spiel zur Folge hat. Kategorie 2 (erhebliche Rücksichtslosigkeit) mit zwei bis vier sowie Kategorie 3 (mehrere Qualifikationsmerkmale, Vorsatz) mit fünf oder mehr Sperren. Kategorie 3 kommt selten zur Anwendung. Almonds Fall war so eine Ausnahme, es war der Einzelrichter, der die Vorgabe des PSO (Kategorie 2) verschärfte.
Die Anzahl der Sperren innerhalb der Kategorien ist nicht in Stein gemeisselt. Wenn sich die Sportchefs der 14 NL-Clubs jeweils im Sommer treffen, können sie Regeländerungen beantragen. Diese werden an der Versammlung der Verwaltungsräte diskutiert und können beschlossen werden. Weil die National League sich vor dreieinhalb Jahren vom Verband abkapselte, gilt: Die Liga, das sind die Clubs – und niemand sonst.
So wurde letzten Sommer eine ähnliche Regel geändert: Bei leichten Vergehen gegen Schiedsrichter sind neu auch Bussen oder weniger als drei Sperren möglich. Warum also beschliesst die Liga keine höheren Sperren bei Vergehen gegen Spieler? Zumal gerade im Playoff der Ärger jeweils gross ist, wenn ein eigener Spieler mit einer Attacke lange ausser Gefecht gesetzt wird und der Übeltäter ein bis zwei Spiele später wieder in die Serie eingreifen darf.
Da wäre die Uneinigkeit. Dies liegt auch in der Natur der Sache: Zum einen ist kaum ein anderer Teamsport bezüglich Verletzungen so unberechenbar wie Eishockey – es prallen grosse und schwere Jungs auf Schlittschuhen mit hohem Tempo sowie harten und massiven Ausrüstungen und Stöcken in der Hand aufeinander. Schnell ist auch ohne böse Absicht Gravierendes passiert.
Zum anderen kennt das Eishockey viele «Gummiregeln» mit Spielraum für Interpretationen. Befragt man zur selben Szene mehrere Refs, Sportchefs oder Trainer (also Fachleute), erhält man teilweise komplett unterschiedliche Beurteilungen.
Darüber, was genau prioritär noch härter bestraft werden sollte, herrscht auch kein Konsens. Manche Fachleute nennen zum Beispiel Chargen gegen das Knie als Erstes, weil auch diese Karrieren beenden können. Im Gegensatz zu Attacken gegen den Kopf werden sie aber seltener thematisiert oder drastisch sanktioniert.
Und dann gibt es die Doppelrolle aller Beteiligten. Jeder Spieler und damit jeder Club kann gleichzeitig Täter oder Opfer werden. Die Sehnsucht, den Gegner für zehn oder mehr Spiele gesperrt zu sehen, mag noch so gross sein. Aber der eigene Star, der so lange zuschauen muss? Lieber nicht. Es scheint darum utopisch, dass ein Antrag für die grundsätzlich deutliche Erhöhung von Spielsperren gleich zwei Abstimmungen siegreich überstehen könnte.
Deutlich höhere Geldbussen als Ansatz?
Es sind immerhin auch andere Ideen zu hören, wie überharte und respektlose Aktionen zumindest reduziert werden könnten. Zum Beispiel: Die Bussen für die Spieler, die bei allen Sperren zusätzlich ausgesprochen werden, massiv anheben, damit sie richtig wehtun.
Und es gibt auch diese Stimmen: Das aktuelle System sei gut, es müsse bloss strikter angewendet werden und über diese Fragen nachgedacht werden: Warum fallen nicht mehr Vergehen in Kategorie 3? Warum werden vom Einzelrichter oft «normale» Fouls aus gewöhnlichen Hockey-Aktionen heraus ähnlich beurteilt wie Attacken ohne Zusammenhang mit dem Spielgeschehen? Ein Ellbogencheck in der Hitze des Gefechts bei einem Zweikampf um den Puck sei schliesslich nicht dasselbe wie ein gezielter Ellbogencheck als Racheaktion.
Eine Antwort darauf lautet so: Die Rolle der Einzelrichter wird nicht von «Eishockey-Leuten», sondern von Juristen ausgeübt. Nur so sind ihre Entscheide rechtskräftig. Damit werden klare Schwarz-Weiss-Urteile ohne «Hockey-Gespür» für ähnliche, aber eben doch unterschiedliche Aktionen in Kauf genommen – ein oft gehörter Vorwurf von Entscheidungsträgern in den Clubs. Das Dilemma dabei: Mit dem Fordern nach Gespür für noch mehr Details öffnet man Tür und Tor für noch mehr unterschiedliche Meinungen.
Es zeigt sich also: Die Diskussion über zu milde Sanktionen wird ein Thema bleiben und schon bald wieder aufflammen – spätestens beim nächsten zu beurteilenden Fall.
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