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Ein Leben für ein Filmprojekt
Ein Berner Pfleger träumt vom eigenen Splatter-Film

Der Gringo und die Gang: Szene aus dem Teaser zu «From Above», in dem der Berner Antti Siegmann auch gleich die Hauptrolle spielt.
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Ein Berner namens Siegmann sagt: «Wenn ich etwas bin, dann ist es stur.» Tatsächlich ist Antti Siegmann – 38-jährig, zupackend in Art und Händedruck – ein ziemlich geradliniger Typ. Er verfolgt etwas, was andere schon längst aufgegeben hätten: Einen Traum aus der Kindheit, weit weg, manche würden sagen: utopisch.

Antti Siegmann will einen Film drehen. Genauer gesagt ein Splattermovie mit Science-Fiction-Einschlag, der in Kolumbien spielen und sich mit der örtlichen Battle-Rap-Kultur befassen soll. Kurz: Ein Indie-Streifen in entlegener Nische.

Erschwerend kommt hinzu: Antti Siegmann ist weder Regisseur noch Schauspieler noch Drehbuchautor – sondern Psychiatriepfleger. Vor 15 Jahren ist er ausgewandert, hat in Liverpool, London, Lima und Bogotá gewohnt, sich als Gleisarbeiter, Englischlehrer, Regieassistent und Barkeeper verdingt.

Er hat alles beisammen – ausser dem Geld

Und während andere sich neben ihren Träumen ein Leben aufbauen, lebt Antti Siegmann seinen Traum, indem er ihn unermüdlich jagt. Mal ist er näher dran, dann wieder weiter weg. «Vor fünf Jahren war ich eine Zeit lang richtig verzweifelt», erzählt er bei einem Treffen in Zürich. Er war 32, hatte noch nie einen fixen Job gehabt und zog auf der Suche nach Anschluss im Filmbusiness durch die Welt.

Und wozu entschloss sich Antti Siegmann, Mann der geraden Linie, in diesem Moment des Zweifels? Richtig: dazu, genau so weiterzumachen.

Seither ist er mit seiner Idee tatsächlich weitergekommen: Das britische Alien-Genre-Vorbild «Attack the Block» inspirierte ihn zu einem Plot. Der geht so: Ein angetrunkener Tourist wird in einer kolumbianischen Stadt von einer schönen Einheimischen ver-, später von deren Gang entführt. Die Bande will Geld, der Gringo versteht nichts, alles droht zu eskalieren. Und plötzlich wird die Stadt von Aliens angegriffen.

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Trotz der ungewöhnlichen Herangehensweise soll sich der Film auch um soziokulturelle Aspekte Kolumbiens wie Armut, Ungleichheit und Zugehörigkeit drehen. Die Handlung hat Siegmann in einem Drehbuch festgehalten, jüngst hat er es mit einem Spezialisten aus England überarbeitet, bezahlt hat er das, wie immer, aus dem eigenen Sack. Dazu hat er ein Storyboard anfertigen lassen, er hat einen Cast zusammengetrommelt und einen herrlich splatterhaften Teaser mit viel Filmblut und träfen Sprüchen gedreht, Personal für Spezialeffekte und die Regieassistenz rekrutiert. Antti Siegmann hat sogar einen Titel für seinen Film, der noch nicht gedreht ist und vielleicht auch nie gedreht werden wird: «From Above» heisst er, von oben. Was für den Dreh noch fehlt, ist Geld.

Damit ist er nicht allein. Passt ein Projekt nicht in die Schablonen der modernen Produktionsfirmen, so kann es sein, dass es nie realisiert wird. «Sie fragen mich: ‹Ist es ein Prequel, ein Sequel, ein Actionfilm?›» Siegmann sieht seinen Film in keinem dieser Raster. Um die zwei Millionen Franken bräuchte Siegmann für die Umsetzung seiner Idee. Veranschlagt er beim Werben um einen potenziellen Geldgeber ein Budget, gibt er 500’000 Franken an – «man will die Leute ja nicht gleich erschrecken».

«Narcos»-Rolle brachte Kontakte

Natürlich hat er sich auch um Schweizer Fördergelder bemüht. Mit einem Film, der nicht nur in Südamerika spielt, sondern auch dort gedreht werden soll, hat er indes kaum Aussichten auf Erfolg. Umgekehrt haben sie für einen Schweizer, der in Kolumbien die hohle Hand macht, nicht viel übrig. «Ein bisschen Geld musst du dort mitbringen, damit zeigst du, dass es dir ernst ist», sagt Siegmann. Darauf aber kommt einem in vielen südamerikanischen Ländern auch der Staat entgegen: Auf einen grossen Teil der Produktionskosten gibt es etwa in Kolumbien seit 2010 Steuererleichterung. Das machte sich zum Beispiel die Netflix-Erfolgsserie «Narcos» zunutze, die ab 2014 dort gedreht wurde – just zu der Zeit, als Antti Siegmann ankam.

Die Serie um den Drogenbaron Pablo Escobar ist eng verknüpft mit Siegmanns Zeit in Bogotá. Nach ein paar Monaten als Englischlehrer konnte er für die Produktionsfirma als Castingassistent arbeiten. Für eine kleine Rolle sprach er selbst vor, heute ist er in der siebten Episode der zweiten Staffel als Immigrationspolizist zu sehen.

Als seine echte Errungenschaft bezeichnet er aber etwas anderes. Als er 2014 in Kolumbien ankam, hatte er keinen Plan, kannte niemanden, sprach kein Spanisch. Zehn Jahre später hat er im lokalen Filmbusiness so viele Kontakte geknüpft, dass nun ein paar Leute an seinen Film glauben: Kamera, Ton und Regieassistenz hätte er abgedeckt. Doch die wirtschaftliche Situation in Kolumbien wird immer schwieriger.

Er kam allein und ohne Spanischkenntnisse nach Bogotá – zehn Jahre später hat er eine Filmcrew zusammen: Antti Siegmann (Mitte) mit Teilen des Casts für seinen Film.

Deswegen ist Antti Siegmann jetzt fürs Erste zurück in der Schweiz. Bald soll seine Verlobte nachreisen, eine Regieassistentin aus Venezuela, die er in Bogotá kennen gelernt hat. Vorab arbeitet Siegmann nachts wieder als Psychiatriepfleger – «sieht man die Augenringe?» –, tagsüber weibelt er für seinen Film.

Ein Rhythmus, mit dem der Wenigschläfer Siegmann vertraut ist. Ähnlich planlos wie später nach Kolumbien verschlug es ihn 2010 nach London. Nachts arbeitete er dort als Gleisbauer in der «Tube», der U-Bahn, damit er tagsüber Verbindungen ins Filmbusiness knüpfen konnte. Er war Handlanger und Statist in kleinen Produktionen, erlangte dabei Kontakt zu Visual-Effects-Spezialisten, die ihn später für seinen Filmteaser unterstützten.

Der Vergleich mit «Mad Heidi»

Vor allem aber erkannte das geschulte Auge des Psychiatriepflegers, dass die Konkurrenz im Filmgeschäft nicht nur positive Auswirkungen auf die Leute hat, die sich darin bewegen. «Es ist wirklich knallhart», sagt Siegmann. Und dass es bei einem Filmprojekt vor allem ums Geschäftliche gehe, habe er lange Zeit ignoriert. Zwei Drittel Business, ein Drittel Kunst, so lautet eine Faustregel, die er für sich gefunden hat.

Und die ihn als schon fast professionellen Träumer noch resilienter hat werden lassen. Er habe schon reihenweise Absagen kassiert, erzählt Siegmann, «mein Fell ist dick geworden». Und oft wird er in dem Zusammenhang auch mit der unverblümten Frage konfrontiert, ob er sich da nicht in etwas verbissen habe.

Hat er das? «Zu dem Schluss mag man kommen, wenn man sich das alles nur von aussen anschaut», sagt er. Aber für ihn, den sein Traum oder zumindest die Jagd danach während nun bereits 15 Jahren im Ausland hat leben lassen, ist bereits der Weg zum Ziel eine Befriedigung.

Manchmal ist es für Antti Siegmann leicht deprimierend zu realisieren, dass er mit seinem Projekt vielleicht nie eine faire Chance erhalten wird. Dann wiederum erzählt er mit ansteckendem Optimismus vom Schweizer Splattermovie «Mad Heidi» und dessen Crowdfunding, das mit Mikrokrediten von 538 Investoren aus 19 verschiedenen Ländern zwei Millionen Franken erzielte. In etwa so viel, wie «From Above» wohl brauchen würde. Wahrscheinlich ist er tatsächlich stur, dieser Berner namens Antti Siegmann. Aber vielleicht zeigt er seinen dicken Kopf genau am richtigen Ort: Dort, wo er mit vollem Herzen dabei ist.