Erbgut und Tumor entscheidendGigantische Studie zeigt: Gen-Analyse verbessert Krebstherapie
Die Behandlung von Tumorerkrankungen sollte stärker davon abhängen, welche Mutationen der Krebs genau aufweist – wie Daten des «100’000 Genomes Project» offenlegen.
Die Behandlung von Krebs ist in den vergangenen Jahren immer erfolgreicher geworden. Aber ob sie im Einzelfall gelingt, das hatte bisher immer auch mit Glück zu tun. Denn die Medikamente, die Kranke bekommen, passen nicht immer optimal zu dem Krebs, den sie haben. Das stellt sich meist allerdings erst raus, wenn eine Patientin oder ein Patient nicht auf eine Therapie anspricht, wenn er bald einen Rückfall erleidet oder wenn er früh verstirbt.
Eine genaue Vorab-Analyse von Tumoren kann Ärzten hingegen helfen, die richtige Therapie für ihre Patientinnen und Patienten zu finden: Das haben britische Wissenschaftler soeben mit einem gigantischen Forschungsprojekt bestätigt, dessen Ergebnisse sie im Fachmagazin «Nature Medicine» vorstellen.
Seit gut zehn Jahren schon arbeiten mehrere britische Universitäten gemeinsam mit dem Nationalen Gesundheitsdienst NHS am «100’000 Genomes Project». Dafür sequenzierten sie das gesamte Erbgut von 100’000 Britinnen und Briten. Unter diesen 100’000 Personen waren auch 13’000 Krebskranke, deren Genome das Konsortium mit den Behandlungen abglich, die die Patienten erhielten, und auch mit deren Erfolgen.
Einfluss auf Therapieentscheidungen
Dabei zeigte sich, dass sich die Tumoren der Krebspatienten deutlich voneinander unterschieden, auch wenn sie eigentlich zur selben Krebsart gehörten, also etwa im Darm oder in der Brust. Die Unterschiede waren so wesentlich, dass sie am Ende entscheidend dafür waren, auf welche Art von Therapie die Patientinnen und Patienten am besten ansprachen, welche Behandlung ihnen das längste Überleben ermöglichte und welche die geringsten Nebenwirkungen hervorrief.
Vor allem Hirntumoren zeigen demnach genetische Besonderheiten, die in neun von zehn Fällen einen Einfluss auf die Behandlungsentscheidung haben sollten, folgern die Forschenden; bei Lungenkrebs sei dies bei rund 50 Prozent der Patientinnen und Patienten der Fall und bei Tumoren der Muskeln in zehn Prozent der Fälle.
Erbgutanalysen könnten für Patienten von erheblichem Vorteil sein, sagte Nirupa Murugaesu von der Firma Genomics England, die dem britischen Gesundheitsministerium gehört, in einer Pressekonferenz. «Wir beginnen jetzt, das Versprechen der Präzisionskrebsmedizin einzulösen, das wir vor zehn Jahren mit dem Beginn des 100’000 Genomes Project gegeben haben.»
Verschiedene Krebsarten, gleiche Genveränderungen
Hinter dem Erfolg des Projekts steht eine Erkenntnis, die bereits aus ähnlichen internationalen Genomprojekten mit Krebspatienten stammt: «Wir wissen heute, dass es genetische Veränderungen gibt, die bei verschiedenen Krebsarten auftreten und immer ähnliche Auswirkungen haben, unabhängig vom Tumor, zu dem sie gehören», sagt Benedikt Brors, Professor für Angewandte Bioinformatik am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Der Biochemiker ist an der britischen Studie nicht beteiligt, aber am «Pan-Cancer Analysis of Whole Genomes Project», das ebenso wie das amerikanische «Cancer Genome Atlas Program» bereits zu ähnlichen Schlussfolgerungen kam. Daraus folgt zum Beispiel, dass manche Gallengangkarzinome, für deren Behandlung es bisher kaum Medikamente gibt, gut auf ein Brustkrebsmedikament ansprechen, weil sie die gleiche Mutation haben wie ein Brustkrebs.
Biochemiker Brors geht davon aus, dass Erbgutanalysen künftig immer stärker berücksichtigt werden, um Therapien für Krebspatienten masszuschneidern. «Es wird nicht so sein, dass es für jeden einzelnen Patienten eine individuelle Therapie geben wird», sagt er, «aber doch für immer kleinere Gruppen von Patienten.» Beim metastasierten Lungenkrebs sei die Sequenzierung des Tumors vor der Behandlung bereits Standard, so Brors.
Der Nutzen für die Patienten sei enorm: Während Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs nach einer klassischen Chemotherapie durchschnittlich nur zwölf Monate überleben, verlängert sich diese Zeit auf mehr als 30 Monate, wenn berücksichtigt wird, ob bei ihnen spezielle Veränderungen im Gen für den Wachstumsfaktorrezeptor EGFR vorliegen. «So können Mutationsanalysen ein enormer Gewinn für Patienten sein», sagt Brors.
Dass Tumoren eines Tages nicht mehr als Darm- oder Prostatakrebs benannt werden, sondern nach ihren Mutationen etwa als BRCA1- oder KRAS-Krebs, glaubt Brors allerdings nicht. «Die genetischen Veränderungen sind extrem wichtig, aber auch die Anatomie ist nicht zu unterschätzen, also der Ort, an dem Tumoren entstehen.» So streuen Darmtumoren häufig in die Leber, weil ihre Zellen über die Blutbahn in die Pfortader gelangen. Das macht eine andere Behandlung nötig als etwa beim Prostatakrebs und den häufig damit zusammenhängen Knochenmetastasen – auch wenn beide Krebse ähnliche Mutationen haben sollten. Und von aussen gut zugängliche Tumoren etwa der Haut oder der Brust sind besser für chirurgische Eingriffe und Bestrahlungen geeignet als im Körperinnern verborgene Krebsherde.
«Es gibt schon noch Unterschiede zwischen Krebsarten abhängig vom Organ, in dem sie entstehen», sagt Brors, «aber zusätzlich zur Anatomie wird auch die Genetik bei der Beschreibung einer Krebserkrankung immer mehr Raum einnehmen.» Aus einem Darmkrebs werden so unterschiedliche Darmkrebsvarianten. Und statt von 300 verschiedenen Krebsarten könnte die Wissenschaft künftig von 3000 sprechen, die sich dafür aber immer präziser behandeln lassen.
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