«The Truth vs. Alex Jones» auf Sky Eigentlich ist diese HBO-Doku ein Horrorfilm
Kinder sterben bei einem Schulamoklauf – doch der Hetzmoderator Alex Jones verbreitet die Lüge, das sei nie passiert. Eine Doku erzählt nun die Geschichte der Eltern. Es ist eine Reise in die Finsternis.
Ein fleischnackiger Koloss, der mit den Augen rollt, tobt und schnauft: Eigentlich ist diese Doku ein Horrorfilm. Die Opfer sind die Eltern toter Kinder. Die Ungeheuerlichkeiten steigern sich bis ins Unerträgliche.
Doch in «The Truth vs. Alex Jones» geht es eigentlich nur in zweiter Linie um den Prozess gegen Alex Jones, den Moderator und Pionier der digitalen Hetzreden. Denn was der Regisseur Dan Reed in den anderthalb Stunden mit enormer Dichte und Spannung erzählt, geht sehr viel weiter als der Fall. Weswegen man den Film auch dann packend finden wird, wenn man die Geschichte schon kennt.
Vor allem in Amerika ist über den Fall in allen Details immer wieder berichtet worden. Gleich nach dem Amoklauf in der Grundschule von Sandy Hook, bei dem 20 Kinder und sechs Lehrkräfte erschossen wurden, behauptete Jones in seiner Webvideo-Show «Infowars», das sei eine Inszenierung von Waffengegnern gewesen. Über zehn Jahre lang stachelte er sein Publikum gegen die Eltern der ermordeten Kinder auf. Die hätten ihre Trauer nur gespielt, es habe gar keine Toten gegeben. Am Ende urteilen die Richter, Jones müsse Schadensersatzzahlungen über insgesamt 1,5 Milliarden Dollar leisten. Daraufhin meldete er Bankrott an.
Alex Jones sieht überall «die neue Weltordnung»
Es gibt inzwischen viele Begriffe aus der Küchenpsychologie, die die zerstörerische Dynamik dieser Gedankenwelt aus Lügen, Hetze und Irrsinn umschreiben, den Bodensatz des Populismus. «Toxische Männlichkeit» und «Narzissmus» sind die häufigsten, aus der Politologie kommt noch das «Post-Truth»-Zeitalter dazu. Alex Jones ist der Archetyp dieses Furors, der Millionen beeinflusst hat. Denn was Dan Reed erzählt, ist die Geschichte des Zerfalls gesellschaftlicher Grundwerte. Demokratie, Gerechtigkeit und Gemeinwohl sind in Amerika bedrohte Arten, Wahrheit, Vernunft und Empathie erleiden Kollateralschäden. Über die Figuren, die Lügen und den Prozess nimmt Reed diesen Verfall exemplarisch und geschickt auseinander.
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Ein solcher Niedergang geschieht nicht über Nacht. Also gleich zu Beginn des Films: Auftritt Alex Jones als noch athletischer junger Mann, der im Kabelfernsehen und Radio sogenannte Call-in-Shows moderiert. Überall in der amerikanischen Provinz gab und gibt es solche Sendungen, bei denen die Moderatoren die Verschwörungsmärchen ihrer Hörer anfachen. Jones ist bald schon erfolgreicher als die Konkurrenz. Seine Wunderwaffe ist sein cholerisches Temperament. Er brüllt, fuchtelt, schneidet Grimassen. Überall sieht er «die neue Weltordnung», damals das Feindbild der Ultrarechten. 1999 dann der Sprung ins Internet. «Infowars» nennt er seine Sammlung aus Shows, in denen viel gebrüllt und behauptet und verdreht wird.
Sprung ins Jahr 2012. Ein Amokläufer stürmt in die Grundschule von Sandy Hook, einem Dorf in Connecticut, ein Idyll knapp zwei Autostunden von New York City entfernt. Kein einziges Mal fällt sein Name im Film, auch wenn der Abgrund der Schulschiessereien zum Horror des gegenwärtigen Amerika gehört. Dafür nennt der damalige Chefermittler Dan Jewiss jeden einzelnen Namen der Erstklässler und Lehrerinnen, die an jenem Vormittag des 14. Dezember 2012 starben. Auswendig. In der Reihenfolge, in der er sie im Gang und den beiden Klassenzimmern fand.
Knapp ein Viertel der Amerikaner glaubt, Sandy Hook sei nie passiert
Es fällt nicht leicht, den Eltern zuzuhören, wenn sie von jenem Tag erzählen, an dem sie erfuhren, dass ihre Kinder nicht mehr leben. Wie sie die Leichname ihrer Töchter und Söhne noch einmal in den Armen hielten, oft von Tüchern verdeckt, weil die grosskalibrige Munition so grausame Wunden gerissen hatte. «Ich sollte ihn nur an den Händen anfassen», erzählt eine Mutter. «Ich habe dann stundenlang seine Hand gehalten. Bis sie wieder warm war.»
Das ist alles sensibel erzählt, konzentriert sich auf die Trauer, nicht auf das Grauen. Umso heftiger wirken daneben Alex Jones’ Auftritte in seiner Show. Wie er noch am selben Vormittag behauptet, das sei alles eine Inszenierung der Schusswaffengegner, um in Connecticut strengere Gesetze zu erlassen.
Er zeigt dann schon zwei Tage später eine Aufnahme des Auftritts von Robbie Parker, des Vaters der ermordeten Emilie. Dem war es ein Bedürfnis, seine Tochter bei einer der Pressekonferenzen noch einmal als das fröhliche Kind zu beschreiben, das sie war, damit ihr Name nicht nur der eines Massenmordopfers bleibt. In dem Ausschnitt, den Jones zeigt, redet Parker vor seinem Auftritt noch kurz mit Reportern, lächelt, dreht sich zum Mikro und bricht Sekunden später in Tränen aus. Für Jones ist das kurze Lächeln der Beleg. Parker hat nur gespielt. All die toten Kinder sind irgendwo noch am Leben.
Immer kruder werden Jones’ Beweise, warum das Massaker nie stattfand, die Angriffe seiner Fans auf die Eltern werden derweil immer heftiger. Sie drohen ihnen in Briefen und Mails. Mehr als zehn Jahre lang hämmert Alex Jones insgesamt seine Lügen vom «Sandy Hook Hoax» durchs Internet. 2022 verliest ein Eltern-Anwalt im Gerichtsaal eine Statistik. 24 Prozent aller Amerikaner glauben, dass das Massaker von Sandy Hook nicht oder zumindest vielleicht nicht stattfand. Das sind 75 Millionen Menschen.
Donald Trump lobte Alex Jones für seine Arbeit
Allein die Zahl zeigt, dass man Alex Jones nicht als exotische Figur amerikanischer Abgründe abtun kann. Er war einer der Ersten, ist der Erfolgreichste. Es ist auch nicht nur das Fussvolk des Populismus, das ihm folgt. Gleich zu Beginn wird eine Szene eingeblendet, in der sich Jones 2016 in seiner Show mit dem damaligen Fernsehstar, Bauunternehmer und Präsidentschaftskandidaten Donald Trump unterhält. Der lobt ihn für seine Arbeit und verspricht: «Es wird euch gefallen, was wir vorhaben.»
Im Sommer 2018 bekommt Jones mit den Auftakten der Prozesse gegen ihn erstmals Widerstand zu spüren. Da sperren ihn in kurzer Folge die sozialen Netzwerke Twitter und Facebook. Youtube, Apple und Spotify entfernten seine Podcasts. So ist es noch immer. Nur Elon Musk hat Jones im Dezember vergangenen Jahres zurück auf Twitter geholt, das inzwischen X heisst. Er hatte die X-Nutzer abstimmen lassen, die Mehrheit war dafür.
Musk persönlich kam dann zur Online-Show, mit der Jones seine Rückkehr in das soziale Medium feierte. Geld hat Jones nun kaum noch. Erst vor wenigen Tagen hat ein Gericht seine Besitzstände aufgelöst, damit davon zumindest ein Bruchteil der Schmerzensgelder bezahlt werden kann. Nur eins haben sie ihm gelassen: Seine Firma. Sein Sprachrohr.
The Truth vs. Alex Jones, USA 2024 – Regie, Kamera: Dan Reed. Schnitt: Peter Haddon, Will Grayburn. Sky, 112 Minuten.
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