Der Terrorist von Arras redetEr hasste den Lehrer, weil der die Liebe zur Republik weckte
Der junge russische Terrorist, der im letzten Herbst in Nordfrankreich einen Lehrer ermordet hatte, erzählte den Ermittlern, warum er gerade diesen Lehrer tötete.
Es kommt nicht oft vor, dass islamistische Terroristen nach einem Attentat über ihre Tat sprechen, ihre Radikalisierung, ihre Motive und Kontakte. Das wäre hilfreich für die Ermittler. Doch in den meisten Fällen sind sie nach dem Anschlag tot.
Der 21-jährige Russe Mohammed Mogouchkov, der im vergangenen Herbst auf einem Schulhof im nordfranzösischen Arras einen Lehrer getötet hatte, konnte lebend gefasst werden. Und er redet, geständig und ohne Reue. Einige französische Medien haben Protokolle aus seinen Anhörungen durch die Untersuchungsrichter zugespielt erhalten. Sie öffnen den Abgrund einer offenbar genau geplanten Tat.
In Frankreich war sie bisher als mögliche Folge des Kriegs in Nahost gedeutet worden – als ein Beleg dafür, dass nun auch in Frankreich die Terrorgefahr wieder steigen würde. Doch diese Interpretation war wohl falsch. Das Attentat habe er viel früher geplant, sagte Mogouchkov den Ermittlern. «Vor dem 7. Oktober, ganz sicher.»
Er hat alles notiert, die ganze Routine
Am 13. Oktober 2023, um 11 Uhr, hat der frühere Schüler des Lycée Gambetta von Arras auf seinen ehemaligen Französischlehrer Dominique Bernard, 57 Jahre alt, eingestochen und ihn dabei tödlich verletzt. Der Lehrer war gerade unterwegs zur Kantine, wie jeden Freitag zur genau gleichen Zeit, mit zwei Kollegen.
Sein Mörder hatte ihn in den Wochen davor beobachtet, hatte jede Einzelheit auf einem Blatt Papier notiert, die Initialen der Namen der anderen Lehrer, die genaue Uhrzeit der Schulglocke, die ganze Routine. Er hatte zwei Messer dabei, die er in einem Supermarkt gekauft hatte.
Sein Ziel war allein Dominique Bernard, ihn wollte er töten. Was dann noch passierte, die Verletzung von drei weiteren Personen, die Bernard helfen wollten, sei «improvisiert» gewesen. Den Lehrer habe er nicht etwa deshalb ausgewählt, weil er mit ihm Probleme gehabt hätte, damals als Schüler. Sondern weil der Französisch unterrichtet habe.
«Das ist eines dieser Fächer, in dem die Leidenschaft, die Liebe, die Verbundenheit zum ganzen System übermittelt wird, zur Republik, zur Demokratie, zu den Menschenrechten», sagte er. Er hasse diese Werte, sie seien etwas für Ungläubige. Und die Schule sei das «absolute Symbol» dafür, die Wiege.
Bewegte Familiengeschichte
Mohammed Mogouchkov wuchs in einer Familie auf, die zu Beginn der Nullerjahre aus der autonomen russischen Republik Inguschetien nach Frankreich geflohen war. Sein Vater, erzählte er nun, habe der Familie immer eine strenge Auslegung des Islam aufgezwungen. 2018 wurde der Vater ausgewiesen, wegen häuslicher Gewalt.
Mohammed Mogouchkov soll sich selbst lange nicht für Religion interessiert haben, er ging auch nicht in die Moschee. Das änderte sich, als sein älterer Bruder Movsar wegen des Verdachts auf islamistischen Terrorismus verhaftet wurde: Er soll mitgewirkt haben an einem Plan, den Elysée-Palast mit Kalaschnikows anzugreifen. Die Geheimdienste deckten die Zelle rechtzeitig auf.
Zunächst sei er geschockt gewesen: der eigene Bruder, verwickelt in eine Terrorgeschichte! «Mit der Zeit habe ich mich aber dafür interessiert, das hat mich radikalisiert.»
Er las den Koran von vorne bis hinten, immer wieder
Nun, da der Bruder im Gefängnis sass, fiel Mohammed Mogouchkov die Aufgabe zu, im Namen des Vaters seine Mutter und seine Schwester zu massregeln, die wollten lieber westlich leben.
Mohammed Mogouchkov las den Koran von vorne bis hinten, immer wieder, vor allem auch die Passagen zum Jihad. Und Texte, die dem Jihad huldigten. «Böse Zungen würden sagen, dass das Propaganda ist, Gehirnwäsche.» Im vergangenen Jahr verbiss er sich dann immer mehr ins Thema.
Unter Beobachtung – aber frei zum Beobachten
Den Inlandgeheimdiensten war das nicht entgangen. Sie setzten ihn auf die Liste der «Fichés S» – so nennt man in Frankreich Personen, die verdächtigt werden, sie könnten der Staatssicherheit schaden. Sie stehen unter Beobachtung. Mohammed Mogouchkov hinderte das aber nicht daran, seinerseits Dominique Bernard zu beobachten.
Er habe allein gehandelt, behauptet Mohammed Mogouchkov, niemand aus der Familie habe von seinen Plänen gewusst. Er frage sich, wie es bei ihm so weit gekommen sei. «Niemand tötet einfach so Leute, aus Lust, schon gar nicht mit dem Messer», sagte er. Die moralische Frage, ob das gut war, was er getan habe, oder schlecht oder verdient – mit der setze er sich jetzt gerade erst auseinander.
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