Holger Runes DebakelDieser Bengel ist eine Knacknuss für seine Coaches Lüthi und Becker
Der 20-jährige Däne ist hochtalentiert, doch beim Aus in Melbourne zeigt Holger Rune wieder einmal, wie launisch er ist. Auf seine Coaches Severin Lüthi und Boris Becker wartet viel Arbeit. Wenn er sie lässt.
Während Jahren coachten Severin Lüthi und Ivan Ljubicic Seite an Seite und führten Roger Federer im goldenen Herbst seiner Karriere zu seinen Grand-Slam-Titeln 18, 19 und 20. Die beiden ergänzten sich ideal, auch menschlich, und freundeten sich an. Am Donnerstagabend in der Rod-Laver-Arena coachten sie nun erstmals gegeneinander: Lüthi als Coach von Holger Rune, Ljubicic als Berater des französischen Tennisverbands in der Box von Arthur Cazaux. Am Ende strahlte Ljubicic: Cazaux, der 21-Jährige aus Montpellier, schaffte die Überraschung und eliminierte die Weltnummer 8 in vier Sätzen.
Rune führte sich während der Partie auf wie ein ungezogener Bengel. Er legte sich mit den heissblütigen französischen Fans an, schlug das Mikrofon am Schiedsrichterstuhl herunter und spielte nach Lust und Laune. So schien es zumindest. Wenn ihm nichts mehr einfiel, stürmte er ans Netz im Stile eines Hobbyspielers. Eine taktische Marschroute war nicht auszumachen. Und so feierte Cazaux, die Nummer 122 der Welt, den grössten Erfolg seiner noch jungen Karriere.
Eine reizvolle, explosive Kombination
Vielleicht dürfte sich Lüthi auf der Tribüne gefragt haben: «Was mache ich hier?» Gut, es war immer klar gewesen: So gut wie mit Ausnahmekönner Federer, den er 15 Jahre auf der Tour begleitet hatte, würde es nie mehr werden. Deshalb nahm sich Lüthi auch Zeit, um neben dem Job als Schweizer Davis-Cup-Captain eine neue Herausforderung im Tennis anzunehmen. Mehreren Spitzenspielern sagte er ab, auch Dominic Stricker gab er einen Korb. Er sei dafür noch nicht bereit gewesen, sagte er. Seit Dezember spannt er nun mit Rune und Boris Becker zusammen. Eine reizvolle, aber auch explosive Kombination.
Klar ist: Rune hat ein immenses Potenzial. Mit 19 stiess er 2022 am French Open erstmals in den Viertelfinal eines grossen Turniers vor, sein Ziel ist klar: Er will Grand-Slam-Titel gewinnen, und zwar gerne schon in diesem Jahr. Nach dem verlorenen Wimbledon-Viertelfinal 2023 gegen Carlos Alcaraz, der danach zum Titel stürmte, sagte er in der Netflix-Doku «Break Point»: «Ich gebe ihm einen 2:0-Vorsprung, aber schauen wir, wie es am Schluss aussehen wird.»
Doch Alcaraz ist nicht nur spielerisch weiter als Rune, er wirkt auch viel reifer und demütiger. Beim Spanier sieht man die Handschrift seines Coaches Juan Carlos Ferrero, der ihn seit 2018 betreut. Der Paris-Sieger von 2013 ist der Chef im Team Alcaraz, hier wird langfristig gearbeitet. Bei Rune hingegen ist es ein Kommen und Gehen. Im Oktober 2022 engagierte er Patrick Mouratoglou, den Ex-Coach von Serena Williams. Im April 2023 entliess er ihn, um ihn wenig später zurückzuholen und dann im Oktober endgültig zu feuern.
Dann kam Boris Becker dazu – an den Swiss Indoors in Basel bestritten sie ihr erstes gemeinsames Turnier. Und weil der Herbst mit Becker erfolgreich verlief, wurde die Zusammenarbeit verlängert. Nun ergänzt Lüthi das Team, dem zudem der britische Datenanalyst Mike James angehört, der auch noch für die Akademie Mouratoglous arbeitet. Der französische Selbstdarsteller schwirrt also im Hintergrund immer noch herum.
«Ich hole niemanden, damit er nur rumsitzt»
Was er von seinen Coaches erwartet, sagt Rune in der Netflix-Doku, als er auf die erste Trennung von Mouratoglou angesprochen wird: «Wenn ich jemanden engagiere, muss er mir auch helfen. Ich hole niemanden, damit er nur rumsitzt.» Mit dabei ist auch immer Runes Mutter Aneke, die in «Break Point» eine prominente Rolle spielt und sagt: «Holger ist der Boss. Was immer er will, bekommt er. Er weiss am besten, was er braucht für seine Entwicklung. Meine Aufgabe ist es, dass er darauf vertraut, was er in sich drinnen fühlt.»
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Was fühlt Rune nun, da er am Australian Open früh gescheitert ist? Er habe viel investiert und sei sehr enttäuscht, sagte er nach seiner Niederlage gegen Cazaux. Auf seine prominenten Coaches angesprochen, wich er aus. Becker ist ja nicht in Melbourne, sondern in München, wo er für Eurosport kommentiert. Am Australian Open war also Lüthi der Chef. Dieser gab sich auf der Tribüne Mühe, Rune immer wieder anzutreiben. Anders als Federer sucht der 20-Jährige fast nach jedem Ballwechsel den Augenkontakt zu seiner Box. So selbstsicher er sich gibt, diese Bestätigung braucht er.
Lüthi ist in diplomatischem Geschick geübt. Seine Meisterleistung war, wie er Federer und Stan Wawrinka am Davis-Cup-Final 2014 in Lille wieder zusammenführte, nachdem sie sich zuvor am ATP-Finale in London zerstritten hatten. Mirka Federer bezeichnete den Romand damals im Schweizer Halbfinal in der O2-Arena als «Cry Baby», als Heulsuse. Eine Woche später feierten die beiden gemeinsam den Davis-Cup-Titel mit Captain Lüthi.
Beckers Lob für Lüthi
Auch im Team Rune dürfte der 47-jährige Berner nicht nur tennistechnisch, sondern auch als Vermittler gefragt sein. Da Becker wegen seiner Verurteilung in England in manche Länder nicht einreisen kann, war er froh, dass mit Lüthi ein weiterer Tennisfachmann ins Boot geholt wurde, der überallhin kann. «Er ist ein unglaublich erfahrener Mann», schwärmte Becker auf Eurosport. «Wir können uns beglückwünschen, dass wir Lüthi bekommen haben. Als sein Name ins Spiel kam, sagte ich: ‹Auf jeden Fall. Er ist mindestens so gut wie ich. Vielleicht sogar besser.›»
Becker und Lüthi, das könnte passen. Sie respektieren sich, sprechen die gleiche Sprache und haben beide Erfahrung darin, wie man einen Spieler zu einem Grand-Slam-Titel führt. Becker bei Novak Djokovic, Lüthi bei Federer. Das Problem ist nur: Rune ist viel sprunghafter als diese beiden grossen Champions. Becker und Lüthi ist zu wünschen, dass er ihnen Zeit gibt. Doch mit dem Aus in Melbourne ist auch klar: Die Flitterwochen sind vorbei.
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