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Interview mit Iran-Experte
«Teheran versucht, die euro­päischen Staaten zu erpressen»

Eine neue Dimension im Iran: Proteste in Teheran im September 2022.
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Herr Nasr, der Aufstand im Iran hält an – seit vier Monaten protestieren die Menschen gegen die Islamische Republik. Wie schätzen Sie diese Bewegung ein?

Anders als frühere Proteste richtet sich dieser Aufstand gegen das Fundament der Islamischen Republik. Es geht nicht um Wahlfälschungen oder zu hohe Benzinpreise, wie 2009 oder 2019. Die Proteste stellen grundsätzlich die Legitimität des Regimes infrage und fordern sein Ende. Das ist eine neue Dimension im Iran.

Wie erklären Sie sich diese neue Dimension?

Viele der jungen Menschen, die derzeit auf die Strasse gehen, gehören zur Generation Z. Sie haben universelle Werte, wollen dazugehören, sind nicht ideologisch getrieben und können mit dem sogenannten Anti-Amerikanismus der Islamischen Republik nichts anfangen. Zudem ist die Wirtschaft des Landes am Boden. Und auf internationaler Ebene ist der Iran so isoliert wie noch nie, auch aufgrund seiner Nähe zu Russland, das Krieg führt gegen die Ukraine.

Also ist das Ende der Islamischen Republik nah?

Ein Regime fällt nicht so schnell. Viele haben die Revolution von 1979 vor Augen, oder den Umsturz in Tunesien – und sie hoffen, der Diktator möge ins Flugzeug steigen und verschwinden. Aber das ist häufig nicht der Fall, wie zum Beispiel in Syrien. Auch in Libyen wäre Muammar al-Ghadhafi ohne europäische Intervention nicht gefallen, und Saddam Hussein ebenso wenig ohne den Einmarsch der Amerikaner. Die Islamische Republik schürt diese Ängste zusätzlich, auch in den sozialen Medien, mit dem Slogan: «Willst du, dass der Iran ein zweites Syrien wird?»

Das hat allerdings zu keinem Abbruch der Proteste geführt.

Wir wissen nun, dass die grosse Mehrheit der Iranerinnen und Iraner nicht hinter dem Regime steht. Viele Menschen gehen übrigens nicht auf die Strasse, weil sie es sich nicht leisten können, nicht auf der Arbeit zu erscheinen, weil ihre wirtschaftliche Situation derart prekär ist. Aber die Eltern der jungen Menschen, die zu den Protesten gehen, haben ein mulmiges Gefühl. Zwar sind sie in keiner Weise mit dem islamischen Regime einverstanden, doch sie sind besorgt, weil sie nicht wissen, was danach kommt.

«Die iranische Gesellschaft ist sehr gebildet und wird kaum in eine Monarchie zurückkehren.»

Prominente Figuren aus der iranischen Diaspora twitterten an Silvester eine gemeinsame Nachricht und zeigten Einigkeit. Welche Rolle spielt diese Opposition im Ausland?

Sie vermittelt sehr wirksam, was sich im Iran abspielt, und prägt massgeblich die öffentliche Meinung im Westen. Sie schafft es, einen «Spotlight» auf die Menschen dort zu halten. Allerdings sind die exilierten Iranerinnen und Iraner eher Botschafter der Proteste und keine Führungsfiguren. Im Moment gibt es im Innern des Iran keine Anführer, und die, die diese Rolle einnehmen könnten, befinden sich im Gefängnis. Aber es kann sein, dass sich solche Figuren noch herausbilden werden. In dieser Frage stehen wir noch ganz am Anfang.

Sehen Sie Reza Pahlavi, den Sohn des abgesetzten Schahs, als mögliche Alternative eines neuen Iran?

Die iranische Gesellschaft ist sehr gebildet und wird kaum in eine Monarchie zurückkehren. Die jungen Menschen in den Strassen und in den Gefängnissen werden niemandem folgen, der ein bequemes Leben im Ausland hat und nicht Teil ihrer alltäglichen Kämpfe ist. Pahlavi hat zwar eine gewisse Legitimität, weil sein Name bekannt ist. Aber eine Führung reisst man nicht an sich, man muss sie verdienen und das Vertrauen der Menschen gewinnen. Niemand von ausserhalb des Iran wird das Land führen können.

Aber Khomeini kehrte auch aus dem Ausland in den Iran zurück und übernahm die Herrschaft.

Khomeini war eine Ausnahme. Ausserdem hatte er viele Anhänger unter den Klerikern und in den Moscheen. Es gab auch Spitzenkräfte im Land, die mit dem ersten demokratisch gewählten Premierminister Mossadegh in den 50er-Jahren gearbeitet hatten und Leadership-Qualitäten besassen. Solche Figuren wird es im Iran brauchen.

Der frühere US-Präsident Barack Obama sagte kürzlich, es sei ein Fehler gewesen, die Proteste im Iran 2009 nicht stärker unterstützt zu haben. Er «bereue» das. Sie waren sein Berater.

Ich habe ihn damals nicht zum Iran beraten. Abgesehen davon denke ich, dass Obama im Nachhinein versucht, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Ich bin mir ausserdem nicht sicher, was die USA damals viel mehr hätten machen können: Sie haben Sanktionen erlassen, die Islamische Republik öffentlich verurteilt, die Revolutionsgarden auf die Terrorliste gesetzt.

«Ich bin überzeugt: Der Iran baut derzeit fleissig an der Atombombe.»

Aber Obama hat die Nukleargespräche damals nicht auf Eis gelegt. Im Gegensatz zum heutigen US-Präsidenten Joe Biden, der kürzlich sagte: «Der Atomdeal mit dem Iran ist tot.»

Für Obama war die grösste Sorge, dass es zu einem Krieg kommen könnte mit dem Iran, sollten die Atomgespräche scheitern. Obama wusste: Weil die USA vor nicht allzu langer Zeit erst aus einem Krieg gekommen waren mit dem Irak, würden die Menschen in den USA keinen neuen Krieg unterstützen. Also setzte er die Nukleargespräche fort.

Wie stehen Sie zum Atomprogramm?

Es gibt drei Optionen, was die nukleare Aufrüstung des Iran angeht: Erstens, die Islamische Republik baut eine Bombe, und man akzeptiert das. Zweitens, man erreicht einen Deal und verhindert, dass das islamische Regime eine Atommacht wird. Drittens, der Iran baut eine Bombe, und man akzeptiert das nicht, was aber einen offenen Konflikt bedeuten würde – also Krieg.

Die vierte Option wäre, dass der Aufstand erfolgreich sein wird und eine demokratische Transition im Iran stattfindet, zum Beispiel begleitet durch die UNO.

Das Problem ist, dass die Uhr tickt. Ein solcher Machtwechsel braucht Zeit, sechs Monate, vielleicht ein Jahr, vielleicht auch zwei Jahre. Bis dann ist die Islamische Republik vielleicht schon weit fortgeschritten mit ihrem Atomprogramm. Israel behauptet, dass der Iran nur wenige Monate davon entfernt sei.

Israels Armeechef sagte kürzlich, dass er «bereit» sei für einen Angriff auf die iranischen Atomanlagen. Wie wahrscheinlich ist ein solcher Angriff?

Diese Bedrohung vonseiten Israels gibt es seit vielen Jahren. Die Weltlage hat sich zwar jetzt verändert, aber es ist fraglich, ob ein solcher Angriff das iranische Atomprogramm wirklich beenden könnte. Zudem würde sich der Iran rächen.

Würde Präsident Biden einen solchen Angriff von Israel unterstützen?

Die Frage ist, ob die USA in einen Krieg treten wollen mit dem Iran. Wenn man einen Krieg startet, dann kommt man da nicht so schnell wieder raus. Als Donald Trump den iranischen General Qassim Soleimani umbringen liess, antwortete die Islamische Republik mit dem Abschuss eines Linienflugzeugs, bei dem 176 Zivilpersonen ums Leben kamen.

Putin und Khamenei sind doch enge Freunde: Warum händigt Russland dem Iran nicht eine Atombombe aus?

Das gab es noch nie, aber vielleicht passiert so etwas in der Zukunft. Die USA haben in den 50er-Jahren Israel mit Nukleartechnologie ausgestattet, und die Sowjets taten das Gleiche mit China. Aber diese Allianzen waren sehr stark. Zudem möchte der Iran nicht von Russland abhängig sein und seine eigene Nukleartechnologie möglichst weit vorantreiben.

«Deutschland spielt beim Atomdeal mit dem Iran keine Schlüsselrolle.»

Sie denken also, die Islamische Republik ist dran?

Ich bin überzeugt: Der Iran baut derzeit fleissig an der Atombombe. Die Frage ist, wie der Westen damit umgehen soll. Im Moment liegt der Fokus auf der Ukraine – die westlichen Staaten sind damit beschäftigt, zu überlegen, was man der Ukraine bieten kann, damit sie den Krieg gewinnt.

Wie hat der Ukraine-Krieg die iranische Aussenpolitik verändert?

Erstens: Weil der Iran isoliert ist vom Westen, rückt er noch näher an Russland heran, um die strategische Allianz zu stärken. Zweitens: Der Iran versucht, die europäischen Staaten zu erpressen, indem er sagt: Wenn ihr nicht wollt, dass wir die Russen mit Drohnen und Raketen beliefern, was erhalten wir von euch im Gegenzug? Und drittens: Die Islamische Republik nutzt den Ukraine-Krieg, um ihr Waffenarsenal zur Schau zu stellen.

Deutschland zeigt sich momentan zögerlich in der Iran-Politik und sagt, es wolle verhindern, dass die Islamische Republik zur Bombe gelangt. Was halten Sie davon?

Deutschland spielt beim Atomdeal keine Schlüsselrolle, sondern folgt einfach der allgemeinen EU-Aussenpolitik. Oder anders gesagt: Wenn die USA keinen Atomdeal wollen, dann wird auch Deutschland seinen Fokus auf die Ukraine und die Proteste im Iran richten.

Wie wird es also weitergehen im Iran?

Im Moment sehe ich ein sehr verworrenes Bild ohne klare Alternative, mit vielen verschiedenen Problemen. Nach zehn Jahren Verhandlungen über einen Atomdeal ist man am Ende, ein Fait accompli, wie es heisst. Ähnlich wie bei den Friedensgesprächen zwischen Palästina und Israel. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo sich sehr schwierige Fragen stellen. Am 18. Oktober 2023 läuft das UNO-Waffenembargo gegen den Iran aus – dann wird die Islamische Republik nach einem Jahrzehnt wieder konventionelle Waffen wie Panzer, Kampfflugzeuge und schwere Artillerie kaufen und verkaufen können.

Welche Folgen hätte das?

Die Staaten des UNO-Sicherheitsrats werden versuchen, das Waffenembargo wieder einzusetzen. In diesem Fall droht der Iran bereits jetzt damit, aus dem Atomwaffensperrvertrag auszusteigen. Das wiederum wäre ein Trigger für Israel, Saudiarabien und die USA.

Das klingt nach einer Eskalation.

Wir steuern auf eine Krise zu. Ich habe immer gehofft, dass sich die Islamische Republik nach und nach verbessert und entwickelt. Aber dieser Zug ist abgefahren.

Ihre Familie ist nach der Revolution geflohen. Sie waren damals 17-jährig. Glauben Sie, dass Sie eines Tages in den Iran zurückkehren?

Ich denke, es ist eine Schande, was mit dem Iran passiert ist. Das Land ist voller talentierter Menschen, voller Kultur und Reichtum. Natürlich würde ich gerne zurückkehren, aber wohl nicht, um mich dort niederzulassen. Dafür habe ich mich im Exil zu sehr verändert.

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