Demo in Zürich gegen FemizideGegen 2000 Menschen waren zusammen «traurig und hässig»
Das Bündnis Ni Una Menos hatte mit über 80 Organisationen aus der Schweiz zum Protest gegen Gewalt an Frauen aufgerufen. Die Demo durch Zürich war laut, aber friedlich.
25 Frauen sind in der Schweiz im Jahr 2021 durch einen Femizid ums Leben gekommen, elf Frauen haben die Gewalttat überlebt. Anders gesagt: Etwa alle zehn Tage bringt in unserem Land ein Mann eine Frau um. In Altstetten wurde erst Mitte Oktober eine 30-jährige Frau von ihrem getrennt lebenden Mann getötet.
Gegen diese unfassbaren Taten hatte das Bündnis Ni Una Menos für den Samstagnachmittag in Zürich zu einer nationalen Kundgebung aufgerufen. Unterstützt wurde der Appell durch über 80 feministische und politische Kollektive und Organisationen aus der ganzen Schweiz. Femizide, heisst es in der gemeinsamen Mitteilung, seien keine Einzelfälle, sondern Ausdruck struktureller Gewalt, deren Grundlage die patriarchalen Machtverhältnisse bilden. Das Leben und die Gesundheit von Frauen würden durch Flucht, Vertreibung, Krieg und Völkermord, institutionelle und familiäre Gewalt unter massive Bedrohung gestellt.
Das Bündnis fordert unter anderem, dass der Begriff Femizid offiziell anerkannt wird, dass mindestens 0,1 Prozent des Bruttoinlandprodukts (mehr als 700 Millionen Franken pro Jahr) für die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt ausgegeben wird, dass Beratungs- und Unterstützungsangebote stark ausgebaut und eine 24-Stunden-Beratung für Betroffene eingerichtet werden.
Der Ursprung liegt in Argentinien
Versammlungsort ist der Helvetiaplatz im Kreis 4, den die Aktivistinnen seit längerem in Ni-Una-Menos-Platz umgetauft haben. Jedes Mal, wenn in der Schweiz eine Frau von ihrem Partner, Ex-Partner, Bruder oder Sohn umgebracht wird, kommen die Frauen hier zusammen.
Gegen 14 Uhr füllt sich der Platz mehr und mehr. Aus Lautsprechern eines kleinen Fiats erklingt feministischer Hip-Hop, man hört aber auch Frauenkampflieder aus Südamerika – und immer wieder lateinamerikanische Widerstandsparolen. Das hat in erster Linie mit dem Ursprung der Bewegung zu tun: Ni Una Menos – auf Deutsch «nicht eine weniger» – stammt aus Argentinien; in der Schweiz wurde das gleichnamige Bündnis im Nachhall zum Frauenstreik 2019 ins Leben gerufen.
Die grosse Mehrzahl der Anwesenden sind Frauen, auffallend viele noch jung. Und: Sie sind aus der ganzen Schweiz angereist, wie man den Gesprächen entnehmen kann. Ebenfalls zu sehen sind etliche Mütter mit Kindern, und mit den Nationalrätinnen Tamara Funiciello (SP) und Katharina Prelicz-Huber (Grüne) ist auch die hohe Politik präsent, wenn auch nicht gerade üppig.
Sie alle werden gegen 14.30 Uhr vom Traktoranhänger der Veranstalterinnen mit einer kämpferischen Begrüssungsrede auf Deutsch, Spanisch, Englisch oder Kurdisch auf die Demo eingestimmt, eine junge Frau skandiert das Motto «Wir sind zusammen traurig, hässig und wütend!», dann setzen sich die geschätzt 1500 Menschen in Bewegung.
Die Menge quittiert es mit Stinkefingern, Gejohle, Trillerpfeifen oder Parolen wie «Gegen Macker und Rassisten, Fight the Power, Fight the System».
Angeführt von einer Flinta-Spitze – der Begriff steht für Frauen, Lesben, inter, nicht binäre, trans und agender –, zieht sich die Manifestation die Stauffacherstrasse entlang bis zur Werdstrasse, danach über die Stauffacherbrücke zur Sihlstrasse und somit in die City. Da dauert es nicht lang, bis erste Autofahrer Geduld und Nerven verlieren. Die einen drücken pausenlos auf die Hupe, andere lassen den Motor aufheulen. Die Menge quittiert es mit Stinkefingern, Gejohle, Trillerpfeifen oder Parolen wie «Gegen Macker und Rassisten, Fight the Power, Fight the System» oder «Wir hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut».

Ein zentraler Bestandteil der Demo gegen die Gewalt an Frauen sind die mal mit Club-Beats und mal mit Pathos angereicherten Lieder gegen Gewalt an Frauen – also Stücke wie «Ni Una Menos», «Canción sin miedo» oder «Antipatriarca», die aus den Lautsprechern wummern; die einen tanzen dazu, andere singen mit – obwohl die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Maske unterwegs sind, ist das gut zu hören.
Und dann werden alle 25 Opfernamen verlesen
Einer, der still protestiert, ist Yilmaz. Der 30-Jährige läuft mit, weil er als Mann die Frauenrechte verteidigen will. Jeanne und Emilia, beide 15 und Schülerinnen, sind dabei, weil Frauen in der Schweiz nach wie vor weniger Rechte hätten als Männer. Eine Frau, die sich nur anonym äussern will, sagt, sie sei vor drei Jahren persönlich von einem Femizid betroffen gewesen. Ihr WG-Partner ist mitgekommen, um sie in ihrem Protest zu unterstützen.
Gegen 15.20 Uhr, als der Demonstrationszug die Bahnhofstrasse passiert, erlebt frau und man den wahrscheinlich bewegtesten Moment des Nachmittags. Ein paar Aktivistinnen hängen an der Max-Bill-Skulptur ein Transparent auf, das alle 25 Frauen benennt, die in diesem Jahr in der Schweiz Opfer eines Femizids geworden sind.

Danach werden Name, Ort und Tötungsdelikt per Megafon verlesen, immer am Ende rufen die anwesenden Frauen und Männer lautstark «presente!» Im Anschluss daran geht die inzwischen auf gegen 2000 Menschen angewachsene Menge weiter an die Bärengasse und von dort über den Pelikanplatz zurück Richtung Stauffacher.
«Diese Demo wird in den Köpfen der Leute etwas bewirken.»

Ganz am Ende läuft Tamara Funiciello, die zusammen mit ihrer Co-Präsidentin der SP Frauen Schweiz, Martine Docourt, an der Demo teilnimmt. Sie sagt sichtlich bewegt, die Politik unternehme viel zu wenig gegen die herrschenden Missstände. «Und das, was passiert, braucht viel zu viel Zeit. Wir kämpfen im Parlament mit Eingaben, und dann tut sich ein halbes Jahr lang nichts!» Darum sei sie froh um diese Manifestation, betont Funiciello, auch wegen der vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmer: «Das wird in den Köpfen der Leute etwas bewirken.»
Das hoffen auch die Veranstalterinnen, wie sie gegen 16.15 Uhr bei verschiedenen Abschlussreden auf dem Ni-Una-Menos-Platz zum Ausdruck bringen. Die Polizei, welche die zwar energische und laute, aber von Anfang bis Schluss friedlich gebliebene Kundgebung nah begleitet hat, hat sich da längst wieder auf Sichtdistanz zurückgezogen.
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