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Russische Propagandaoffensive
Deutschland fürchtet weitere abgehörte Gespräche

16.06.2023, Schleswig-Holstein, Jagel: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, r) bekommt von Ingo Gerhartz, Inspekteur der Luftwaffe, bei seinem Besuch des internationalen Luftwaffen-Manövers «Air Defender 2023» auf dem Luftwaffenstützpunkt Jagel das Modell eines Airbus A400M überreicht. An der Luftwaffenübung unter deutscher Führung nehmen bis zum 23. Juni 25 Nationen sowie die Nato teil. Nach Angaben der Bundeswehr sind rund 10 000 Soldatinnen und Soldaten und 250 Flugzeuge beteiligt. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Kay Nietfeld)
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Hohe Offiziere der Bundeswehr werden abgehört, die Kremlpropaganda beschuldigt Deutschland in der Folge, Angriffe gegen Russland zu planen: Die Affäre, die übers Wochenende publik wurde, scheint gerade einige Albträume der deutschen Regierung wahr zu machen.

Alles begann damit, dass «Russia Today» am Freitag Ausschnitte eines insgesamt 38-minütigen Gesprächs veröffentlichte, auf denen man hört, wie Ingo Gerhartz, der Chef der deutschen Luftwaffe, mit Brigadegeneral Frank Gräfe und zwei weiteren hohen Offizieren über den Taurus spricht – den Marschflugkörper, den die Ukraine so gerne hätte, den Kanzler Olaf Scholz aber bislang nicht zu liefern bereit ist.

Auf Webex geredet – wie während Corona

Gräfe hält sich am 19. Februar, dem Tag der internen Besprechung, in Singapur auf. Der Austausch findet über die kommerzielle Plattform Webex statt, die in deutschen Ministerien häufig benutzt wird, aber nicht abhörsicher ist. Laut der «Süddeutschen Zeitung» sind im Verteidigungsministerium Gespräche bis zur Geheimhaltungsstufe «Verschlusssache» auf Webex erlaubt. Ob die Inhalte, die Gerhartz mit seinen Leuten besprach, unter diese Stufe fallen, wird jetzt geprüft.

Für die deutsche Regierung und die Bundeswehr bedeutet die Veröffentlichung interner Gespräche auf jeden Fall eine schwere Blamage. Scholz nannte den Abhörfall schon am Samstag eine «sehr ernste Angelegenheit», die jetzt genau untersucht würde.

«Regierungskommunikation auf den Prüfstand»

Fachleute sehen die Affäre als Beleg dafür, dass die Bundeswehr offenbar auch in Kriegszeiten immer noch sehr naiv kommuniziert. Die Spionageabwehr wirke hilflos, die gesamte Regierungskommunikation müsse auf den Prüfstand. Bei den Verbündeten wiederum, den Amerikanern, Franzosen oder Briten etwa, galten die Deutschen schon zuvor als redselig und in militärischen Belangen wenig fähig, geheime Dinge geheim zu halten.

Im abgehörten Gespräch werden zwar keineswegs Staatsgeheimnisse ausgeplaudert, aber doch viele Sachverhalte in einem Detailreichtum erörtert, wie es die Bundeswehr in der Regel öffentlich nicht tut.

Zuständigkeiten und mögliche Einsätze erörtert

Zur Sprache kommt etwa die heikle Frage, ob die Ukraine von der Bundeswehr Hilfe benötige, um den Taurus zu programmieren. Gerhartz’ Leute meinen, die Ukrainer könnten das nach einer Anlernphase auch selbst. Allerdings würde Deutschland dann auch die Kontrolle darüber abgeben, welche Ziele Kiew ins Visier nehme. Detailliert wird ein möglicher Angriff mit Marschflugkörpern auf die Krim-Brücke diskutiert. 10 bis 20 von ihnen wären wohl nötig, um sie zu zerstören.

Zudem ist die Rede davon, dass die Briten eigene Leute für die Zielplanung ihrer Marschflugkörper in der Ukraine stationiert hätten. Das ist für Fachleute seit Monaten ein offenes Geheimnis, das aber noch diese Woche von London empört dementiert wurde, nachdem Scholz entsprechende Andeutungen gemacht hatte.

Opposition: Der Kanzler ist ein Sicherheitsrisiko

Verteidigungspolitiker der Union (CDU/CSU) sowie der mitregierenden Grünen und Liberalen werfen dem Sozialdemokraten Scholz nun vor, gelogen zu haben, als er begründete, warum er der Ukraine den Taurus nicht liefern wolle. Das Gespräch der Generäle zeige ja, dass eine deutsche Beteiligung an der Zielauswahl nicht nötig sei – und damit auch kein Entscheid des Bundestags über einen Auslandeinsatz der Bundeswehr.

Das Argument trifft freilich nur die militärische Seite, nicht die politische. Der Kanzler sagte zuletzt nämlich auch, er wolle sichergehen, dass die Ukraine deutsche Marschflugkörper nicht etwa für Angriffe auf Moskau verwende. Dafür sei aber eben eine Kontrolle vor Ort nötig – die er nicht wolle, weil er Deutschland nicht zur Kriegspartei machen wolle.

Wollte Russland die deutsche Debatte lenken?

Jene, die Scholz dazu bringen möchten, den Taurus doch noch zu liefern, glauben denn auch, dass Russland mit der Veröffentlichung des abgehörten Gesprächs exakt das zu verhindern suche. Russlandfreundliche Stimmen bei der Alternative für Deutschland, der Linkspartei und dem Bündnis Sahra Wagenknecht jedenfalls empören sich bereits darüber, dass die Bundeswehr «offensichtlich» Angriffe auf Russland plane.

Gerhartz, der die Luftwaffe seit 2018 führt und 2025 einen hohen Posten bei der Nato übernehmen soll, ist wegen seiner hemdsärmeligen Art bei der Truppe beliebt. Stürzt er über die Affäre, könnte sich der Kreml darüber freuen, einen wichtigen deutschen Militär erledigt zu haben. Der deutsche Militärgeheimdienst hat eine umfassende Untersuchung begonnen, CSU-Politiker bringen aber bereits auch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ins Spiel, um die Regierung in Sachen Taurus weiter in die Enge zu treiben.

Russland führt auch einen Informationskrieg

In Regierungskreisen geht die Sorge um, die russischen Geheimdienste könnten weiteres Material erbeutet haben, mit dem sich Deutschland als direkte «Kriegspartei» darstellen liesse – eine Vorstellung, die vielen Deutschen Angst einflösst. Fachleute warnen, die russische Propaganda habe Deutschland längst zum Hauptziel erkoren. Von «Informationskrieg» sprach am Sonntag der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius, vom «Erzfeind» Deutschland Dmitri Medwedew, der frühere russische Präsident.