TV-Kritik «Tatort»Tiefe Schatten der Kölner Vergangenheit
Ein Fernsehturm als Party-Hotspot: Mühelos wandelt der WDR-Krimi «Colonius» mit den Kommissaren Ballauf und Schenk zwischen hitzigen Feierbiestern der 1990er und ermüdeten Freigeistern im trüben Jetzt.

Zwei Zeitebenen werden in diesem «Tatort» miteinander verschraubt. Eine Clique hat 1993 eine Technoparty gefeiert, standesgemäss im Kölner Fernsehturm Colonius, mitsamt Sex auf der Aussenplattform. Alkohol, Exzess, Ecstasy: Eine Frau aus der Gruppe war schliesslich im Rausch versunken und – Achtung! – wie vom Erdboden verschluckt. Aus den Augen verloren haben sich danach auch die anderen Freunde.
Jetzt, drei Dekaden später, ist ein Fotograf ermordet worden, in seiner Wohnung finden sich Spuren von damals, und so werden die Raver a. D. wieder miteinander in Berührung gebracht, als Zeugen, Mitwisser, womöglich Täter.
Wenn Handlungsteile in unterschiedlichen Jahrzehnten spielen, kann die Darstellung kompliziert werden im «Tatort». Überladene Konstruktionen, manchmal wirken schon die nachgebauten Frisuren der vergangenen Tage in den Rückblicken lächerlich. In der WDR-Episode «Colonius» (Regie: Charlotte Rolfes, Buch: Eva und Volker A. Zahn) werden all diese Klippen spielend umschifft. Die Frisuren der Neunziger sind insofern von Bedeutung, als ein in jener Nacht abgetrennter Zopf der verschwundenen Frau wieder auftaucht. Der Zopf verbindet die Epochen. Wie der real existierende Fernsehturm, seinerzeit ein Treffpunkt der Partyszene, inzwischen längst für die Öffentlichkeit geschlossen. Vom Hotspot zum Lost Place.
Berufsjugendliche mit E-Zigis statt Ecstasy
Karoline Eichhorn (Meike Bennis), Thomas Loibl (Christian Kohlheim) und Andreas Pietschmann (René Horvath) spielen die alten Freunde von damals, sie sind berufsjugendlich geblieben oder bürgerlich geworden und werfen keine Ecstasy-Pillen mehr ein, sondern dampfen jetzt E-Zigaretten. Jedes Bild, jede Szene hat ihre Bedeutung: Irgendwann eskaliert die Stimmung im Verhörraum derart, dass es für den Moment noch einmal fast so zügellos zugeht wie damals bei der Technofete. Nur sind die Körper müde, die jetzt im Streit den Halt verlieren.
Die Textqualität ist beachtlich, auch die Quantität: Es wird viel geredet beim Verhör mit den Kommissaren Ballauf und Schenk. Einmal bringt Meike Bennis auch verbal die Nacht von damals mit allen Nächten danach in Berührung: «Wiedergutmachung ist totaler Schwachsinn. In so einer Nacht trifft man ’ne falsche Entscheidung. Und dann noch eine. Und dann kann man nie mehr zurück.»
Ein sehenswertes Drama, das konsequent mit der Aura des titelgebenden Turms spielt. Der Turm darf noch mal wie früher im Laserlicht schimmern und rückt auch in der Gegenwart ins Zentrum. Wie ein in die Landschaft gepflanztes Ausrufezeichen, das alle Verstrickten an die Schicksalsnacht erinnert. Der Turm: Wie berauschend es früher war, von ihm runterschauen zu können. Und wie beklemmend es jetzt ist, zu ihm raufschauen zu müssen.
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