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Der beste aller Musikfilme
In «Stop Making Sense» wachsen die Talking Heads in Ekstase zusammen

This image released by A24 shows David Byrne in a scene from "Stop Making Sense." (Jordan Cronenweth/A24 via AP)
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Als die vier Amerikaner in Deutschland auftreten und sich Leute im Publikum beklagen, sie könnten die Texte nicht verstehen, weiss der Sänger Rat: «If you dance», sagt David Byrne, «you might understand the words better.»

Wer tanzt, versteht besser. Aber nicht, weil sich der Tanz als Fortsetzung der Sprache anbietet. Sondern weil er als «Erlösung aus den Fesseln der Sprache» funktioniert, wie der Germanist Manfred Schneider erkannte. Wer tanzt, versteht die Texte besser. Weil er sie fühlt. Nicht mehr als Sprache. Dafür als Vibration.

Ein Mann unter Strom

Wobei David Byrne auch sagt, Menschen in Ekstase sähen lächerlich aus. Auf ihn trifft das zu. Schon weil er den ungelenken Auftritt forciert: eines weissen, verknoteten, pathologisch schüchternen, möglicherweise autistisch gebremsten Intellektuellen.

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Das sieht man schon zu Beginn von «Stop Making Sense» von 1984, Jonathan Demmes Konzertfilm über die Talking Heads, aufgenommen an drei Abenden in einem Theater von Los Angeles.

Der Auftritt setzt ein mit «Psycho Killer» von 1977, dem Lied über einen psychopathischen Mörder, es war David Byrnes erster Song für die Band. Der Sänger steht allein auf der kahlen Bühne mit seiner akustischen Gitarre und lässt sich von einer Schlagzeugmaschine antreiben. Er mimt den singenden Spastiker, der unter den peitschenden Rhythmen zuckt, stakst, stampft und stockt. «Don’t touch me, I’m a real live wire», singt er, und so sieht er auch aus: ein Mann wie unter Strom.

Das Ich sei nicht Herr im eigenen Haus, warnte Freud uns und machen die Talking Heads uns mit ihrer Musik vor.

Mit jedem neuen Song bringen die Techniker neue Instrumente herein und betritt ein weiteres Mitglied der Band die Bühne, Bassistin Tina Weymouth, ihr Mann und Schlagzeuger Chris Frantz und der Keyboarder und Gitarrist Jerry Harrison. Er war als letzter zur Band gestossen; die drei anderen hatten sich an der Design-Schule von Rhode Island bei New York kennen gelernt.

Schliesslich besetzen Band und Begleiter die ganze Bühne, die vier von den Talking Heads und ihre fünf afroamerikanischen Begleiter und Begleiterinnen an Keyboards, Gitarre, Perkussion und Gesang. Nur so wird dem Ensemble möglich, die Komplexität der letzten Studioalben der Band aufzuführen.

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Von diesem Moment an steigert sich das Konzert von der Aufführung in die Verausgabung. «Burning Down the House» heisst das dazu gespielte Stück. Das Haus ist eine häufige Metapher in Byrnes Texten; es steht für das Ich, wie Sigmund Freud das Bewusstsein nannte. Und das Ich sei nicht Herr im eigenen Haus, warnte er uns und machen die Talking Heads uns mit ihrer Musik vor. Denn das Ich wird vom unbewussten Es bedroht und vom Über-Ich kontrolliert.

Demme und Byrne, der Regisseur und der Sänger, hatten das Konzept dieses Konzerts als Prozess entworfen: als Stationen einer Befreiung aus dem selbst gewählten Gefängnis der Vernunft.

Der Regisseur auf der Bühne

Das Konzert der Band endet mit einer rhythmisch treibenden, sprachlich fragmentierten Musik, ausgedrückt in fliessenden Stücken wie «Take Me to the River» des Gospelpredigers Al Green; und zuletzt mit «Crosseyed and Painless» aus dem «Remain in Light»-Album, einer afrikanisierten Funk-Nummer, bei der die Sprache zu Stummelsätzen regrediert. «Changing my shape», singt Byrne mit der Atemlosigkeit des Besessenen, «I feel like an accident». Nur wer sich gehen lässt, kommt bei sich selber an. «Stop Makig Sense», der Filmtitel, geriet zum Schlachtruf der Postmoderne: Hört endlich auf, Sinn zu machen, und seid froh.

Jetzt, vierzig Jahre nach dem ersten Erscheinen von Demmes Konzertdokument – der Regisseur starb 2017 mit 73 Jahren an Krebs –, haben die Talking Heads ein neues Mastering von Film und Soundtrack machen lassen. Die Musik mit ihren perkussiven Rhythmen, den gospelgeformten Befreiungsgesängen, ihren scharf konturierten Funk-Akkorden in ihrer brillanten filmischen Inszenierung klingt jetzt raumfüllend. Und wirkt noch stärker, tiefer und wilder als im Original. Beim Zuschauen kommt man sich vor wie der Regisseur selber, den man im Film mitten auf der Bühne stehen sieht mit seiner Kamera, umgeben von der Musik, ergriffen und konzentriert.

Hinter Byrnes neurotischer Introversion verbarg sich ein masslos ehrgeiziger, egozentrischer und aufmerksamkeitssüchtiger Star.

Zur neuen Veröffentlichung von «Stop Making Sense» konnte man das Quartett in amerikanischen Talkshows erleben. Als sie zum letzten Mal gemeinsam in der Öffentlichkeit standen, trugen die vier entspannte Gesichter. Das war bei ihrer Aufnahme in die Rock’n’Roll Hall of Fame von 2002, wobei sie auf der Bühne verkrampft und freudlos wirkten. Jahre der Entfremdung bis zu offenem Hass lagen hinter ihnen.

Die Hauptverantwortung für diese Entfremdung trug David Byrne. Seine autistisch wirkende Scheu mochte aufrichtig gewesen sein, aber er missbrauchte sie als Ablenkungsmanöver. Zu Recht beklagte sich Schlagzeuger Chris Frantz in seiner Autobiografie darüber, was auch seine Frau Tina Weymouth immer wieder erleben musste: dass sich hinter der neurotischen Introversion ihres Sängers ein masslos ehrgeiziger, egozentrischer und aufmerksamkeitssüchtiger Star verbarg.

Byrne gab Bandkompositionen als eigene Lieder aus, entschied ohne Rücksprache mit seinen Kollegen und dominierte die Öffentlichkeit immer aufdringlicher als Mann, um den sich alles drehen sollte. Selbst das Ende der Band musste diese einem Interview entnehmen, das Byrne der «LA Times» gegeben hatte.

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Das relativiert sein Talent weder als Texter, Songschreiber, Gitarrist, Sänger, Filmer noch als Konzeptualist. Mit dem Regisseur Spike Lee hat er vor ein paar Jahren seine eigene Show auf ähnlich spektakuläre Weise verfilmen lassen wie bei «Stop Making Sense».

Aber Byrnes Egoismen passen nicht zum kollektiven Musizieren des Quartetts und seiner Begleiter, das Demmes Film so ausgelassen feiert. Der Film macht vor, wie eine Band, von der eigenen Musik verführt, zu einem Ganzen zusammenwächst. Die Ekstase der Musik bewirkt damit das Gegenteil dessen, was Sigmund Freud gefordert hatte: «Wo Es war, soll Ich werden», schrieb er.

Jonathan Demme: «Stop Making Sense». 2023, Film und Soundtrack neu gemastert. Warner.

Spike Lee: «American Utopia». 2019. HBO.