Meinung zum Islam in Afghanistan Taliban können die Zukunft nicht gestalten
Die neuen Führer des Landes halten am rückwärtsgewandten Wertesystem ihres Islam fest. Mehr ist der durch Kriege zerrütteten Gesellschaft nicht geblieben.
«Als Rektor der Universität von Kabul gebe ich mein Wort: Solange es kein durch und durch islamisches Umfeld im Land gibt, werden Frauen weder studieren noch an den Unis arbeiten. Islam first.» So prägnant twitterte der neue Rektor der wichtigsten Universität Afghanistans die Frage vom Tisch, ob die Frauen des Landes studieren dürfen. Das bedeutet: keine Zukunft – weder für die Afghaninnen noch für Afghanistan selbst.
Der sogenannte Rektor ist ein Herold seiner Herren, einer, der vorausgeht und die Botschaft der Islamisten verkündet: «Islam first.» Das gibt einen Vorgeschmack darauf, wie die Taliban regieren werden: rückwärtsgewandt.
Wer da noch hofft, er könnte unter den neuen Machthabern eine politisch handlungsfähige Fraktion finden, mit der sich reden liesse in den Fragen der Frauenrechte, des Strafrechtkatalogs oder des Umganges mit ethnischen Minderheiten, der wird enttäuscht werden. Bei ihrem eigenen Islam-Verständnis gewähren die Taliban keinen Spielraum.
Viele Taliban kennen den Koran gar nicht. Sie können kaum Arabisch.
Das sagt weniger etwas über den Islam aus als über den Umgang damit. Die Taliban folgen der strikt wörtlichen Auslegung des koranischen Textes, den viele von ihnen gar nicht verstehen können, weil sie kaum Arabisch sprechen.
Die einen können nicht – und die theologisch ausgebildeten Taliban-Mullahs? Die wollen nicht. Weil sie «die Wahrheit» niemals infrage stellen, wollen sie Glaubensinhalte nicht neu denken und modernisieren. Umso besser aber verstehen sie, dass ihr rigider Islam und das Verharren im überkommenen Wertesystem einer Stammesgesellschaft das geeignete Instrument der Machtausübung ist. Schliesslich wurde im Land während 40 Jahren Krieg alles zerstört – ausser dem sehr einfachen, althergebrachten Religions- und Werteverständnis.
Alles, was darin angeblich «dem Islam» widerspricht – Frauen an Universitäten, ein Nein zu Körperstrafen, ein vernünftiges Steuersystem als Grundlage von Staatlichkeit, Demokratie –, gilt als verwerflich. Und alles, was «dem Islam» und «der Scharia» vermeintlich entspricht, als gut: dem Mullah ohne Widerspruch folgen, die Frauen als Gebärmaschinen im Haus einsperren, Dieben die Hände abhacken, den Jihad weitertragen.
Am Ende ist es ernüchternd, aber einfach: Die Taliban sind vormodern. Der Talibanismus vertagt jede Zukunft ins Paradies.
So unverständlich, wie die gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Taliban für jeden dem Projekt der Moderne verpflichteten Menschen sein müssen: In Länder wie etwa Pakistan, wo die Religion stark, die Regierung zutiefst korrupt, die Staatlichkeit schwach und der Bildungsgrad niedrig ist, hat der Sieg der Taliban Signalwirkung.
Gesellschaftlicher Rückwärtsgang
Es geht dabei nicht nur um Afghanistan selbst. Es geht auch um die weiten Teile der islamischen Welt, die von der westlichen Moderne enttäuscht und von den inneren Widersprüchen und Ungerechtigkeiten ihrer eigenen Gesellschaften zermürbt sind.
Der internationalen Staatengemeinschaft bleibt vorerst nichts anderes übrig, als dem gesellschaftlichen Rückwärtsgang-Experiment am Hindukusch zuzusehen. Und zu hoffen, dass die Taliban scheitern werden an ihrer eigenen Unfähigkeit, die hungernde Bevölkerung zu versorgen und das Land zu verwalten. Der ärgste Feind der Islamisten sind nicht mehr die USA. Der ärgste Feind der Taliban sind jetzt sie selbst.
Das wenigstens macht Hoffnung.
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