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Streit um Schweizer Reedereien
Lieber beim Böögg als im Nationalrat – SVP und FDP scheitern mit Steuerprivileg

epa000426374 The largest merchant ship which berths at an European port 'MSC Rachele', which belongs to Mediterranean Shipping Company (MSC), arrives at Valencia's port, in Valencia, eastern Spain, Wednesday 04 May 2005. The ship was launched on 12 April 2005 from Korean shipyard Hyunday.  EPA/KAI FOERSTERLING
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Wer entscheidet in der Schweiz, wie die Steuergesetze für global tätige Reedereien zu interpretieren sind? Ist es die Eidgenössische Steuerverwaltung von Finanzministerin Karin Keller-Sutter? Oder sind es die Reedereien selber?

Diese Frage steht im Raum, nachdem der Nationalrat über eine Vorlage mit einem sperrigen Titel debattiert hat: über das Bundesgesetz über die Besteuerung der Telearbeit im internationalen Verhältnis. Die Gesetzesrevision war im Rat fast unbestritten – bis auf einen Paragrafen, der mit Telearbeit und Homeoffice wenig zu tun hat, dafür viel mit Hochseeschifffahrt.

Dazu muss man wissen: Das Binnenland Schweiz ist auf den Weltmeeren eine Grossmacht. Dutzende Schifffahrtsunternehmen haben hierzulande ihren Sitz – darunter MSC, mit über 800 Frachtschiffen die grösste Reederei der Welt. Total kontrollieren Schweizer Reedereien und Rohstofffirmen – je nach Quelle – zwischen 900 und 3600 Hochseeschiffe. Nur 13 Hochseeschiffe fahren unter Schweizer Flagge, der grosse Rest unter ausländischen Flaggen.

Zahlen Matrosen in der Schweiz Steuern?

Der Paragraf, um den im Nationalrat nun gestritten wurde, regelt die Frage, ob Kapitäne, Schiffsköchinnen und Matrosen, die auf Schiffen von Schweizer Reedereien arbeiten, in der Schweiz Quellensteuer bezahlen müssen oder nicht.

Unbestritten ist, dass Seeleute auf den 13 Schiffen, die unter Schweizer Flagge fahren, steuerbefreit sind. Für ihre Seeleute unter ausländischer Flagge müssten Schweizer Reeder jedoch Quellensteuer zahlen. Das jedenfalls sagt das Finanzdepartement von Keller-Sutter – und es betont, dass diese Steuerpflicht seit mindestens drei Jahrzehnten gelte.

Bei seiner Rechtsauslegung stützt sich das Departement auf Rundschreiben und Merkblätter, die bis in die 1990er-Jahre zurückreichen. Doch anders als diese amtlichen Dokumente ist der Gesetzesparagraf, auf den sie sich stützen, unklar formuliert. Darum wollte Keller-Sutter die Gesetzesvorlage zur Telearbeit nutzen, um den Hochsee-Paragrafen präziser zu fassen.

Doch dagegen ging die Lobby der Reedereien auf die Barrikaden.

Am 14. März – vier Tage bevor die nationalrätliche Wirtschaftskommission (WAK) die Vorlage behandelte – schrieb die Swiss Shipowners Association (SSA) den Kommissionsmitgliedern einen scharfen Brief. Darin behauptete sie, Keller-Sutters Gesetzesauslegung sei falsch. Es gebe heute keine Steuerpflicht für Hochseeleute. Das, was Keller-Sutter als Präzisierung verkaufe, sei in Tat und Wahrheit eine materielle Gesetzesänderung, argumentiert der Verband.

Der Reederei-Verband droht

Gemäss dem Verband würde diese Änderung dazu führen, dass die Reedereien für ihre Seeleute neu steuerpflichtig würden. Falls das Parlament dies beschliesse, würden die Reedereien «ihre Aktivitäten unverzüglich ins Ausland verlagern», drohte der Verband.

In der WAK fand der Verband Gehör. SVP-Nationalrat Martin Hübscher stellte den entsprechenden Antrag. Bemerkenswert: Über 90 Prozent von Hübschers Antrag – 30 ganze Textzeilen – sind bis aufs letzte Komma identisch mit dem Lobbybrief der SSA. Auf Anfrage sagt Hübscher, die WAK sei mit zwei Rechtsauslegungen konfrontiert gewesen. Es sei unseriös, ein Gesetz ohne weitere Abklärungen zu ändern. Die bürgerliche WAK-Mehrheit folgte Hübscher und unterstützte das Anliegen des Reederei-Verbands. Nur SP und Grüne stimmten dagegen.

Am Montagnachmittag kam es in der Sondersession des Nationalrats zum Showdown: Keller-Sutter, unterstützt durch die vereinigte Linke, gegen die Bürgerlichen und den Reederei-Verband. «Es geht nicht um eine materielle Änderung», versicherte Karin Keller-Sutter im Rat. Darauf entgegnete die Genfer SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz: «Wenn es um keine materielle Änderung geht, warum muss man dann das Gesetz ändern?»

Mitte und GLP kippen

Der Kampf schien für Keller-Sutter bereits verloren, als es zu einer Überraschung kam. Die Mehrheit der Mitte-Fraktion und die GLP waren kurz vor der Debatte gekippt. Leo Müller (Mitte) sagte, es gebe einem «schon etwas zu denken», dass offenbar über Jahre «Steuern nicht eingezogen werden, obwohl diese aufgrund der Gesetzeslage eingezogen werden müssten».

Bundesraetin Karin Keller-Sutter, rechts, diskutiert mit Beat Walti, FDP-ZH, waehrend der Debatte um das Bundesgesetz ueber die Besteuerung der Telearbeit, waehrend einer Sondersession des Nationalrats, am Montag, 15. April 2024, im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Der Meinungsumschwung bei den Zentrumsparteien reichte aber nicht für eine Mehrheit für Keller-Sutter. Denn die geschlossenen SVP- und FDP-Fraktionen sowie eine Mitte-Minderheit wehrten sich weiter für das Anliegen des Reederei-Verbands. Doch just bei SVP und FDP fehlten fünf Nationalratsmitglieder aus dem Kanton Zürich. Sie hatten offensichtlich das Sechseläuten der Nationalratssitzung vorgezogen, wie «20 Minuten» im Vorfeld berichtet hatte.

Und so setzte sich das Lager um Keller-Sutter knapp mit 92 gegen 90 Stimmen gegen SVP, FDP und Reederei-Verband durch – dem Böögg sei Dank.

Maximale Intransparenz

Ist mit diesem Entscheid nun alles klar? Mitnichten! Denn das Hin und Her um die Hochseeschifffahrt wirft Fragen auf: Zahlen die Reedereien nun die Quellensteuern für ihre Seeleute? Oder zahlen sie nicht?

Um das herauszufinden, machte die Eidgenössische Steuerverwaltung in den letzten Tagen eigens eine Umfrage bei den fünf hauptbetroffenen Kantonen. Das Resultat: Vier Kantone erklärten, dass sie das Gesetz so auslegen wie der Bund – und demnach Seeleute auf Schiffen mit ausländischer Flagge besteuern. Ein Kanton hingegen antwortete, er besteuere vier Reedereien nicht so, wie er es laut Bund sollte. Welcher Kanton das ist, sagt die Steuerverwaltung nicht.

Um die Konfusion total zu machen, schreibt der Reederei-Verband auf Anfrage dieser Redaktion: «In der Schweiz gibt es derzeit keine Unternehmen, die Quellensteuern auf die Gehälter von Seeleuten erheben.»

Somit ist nach dem Entscheid des Nationalrats vor allem klar, dass das meiste in diesem Dossier unklar und intransparent ist.