Analyse zum Abgang des SVP-PräsidentenMissverständnis Marco
Nach dreieinhalb Jahren an der Spitze der grössten Schweizer Partei hört Marco Chiesa auf. Für die SVP ist dies eine Chance, denn ihr Chef und ihre Wählerschaft haben gefremdelt.
Vor den Wahlen im vergangenen Herbst kursierte unter Gegnern der grössten Partei der Schweiz ein Spruch: «Chiesa abwählen! SVP stärken!»
Das war natürlich böse. Und entsprach dann auch nicht der Realität. Marco Chiesa wurde als Tessiner Ständerat wiedergewählt. Und seine SVP wurde zur Wahlsiegerin. Sie konnte national um 2,3 Prozent zulegen und erreichte das drittbeste Resultat ihrer Geschichte.
Wegen Chiesa? Oder trotz Chiesa? Hätte die Partei in Krisen- und Kriegszeiten nicht noch deutlicher gewinnen können, ja müssen?
Der böse Spruch brachte etwas auf den Punkt: Mit Marco Chiesa hatte die SVP nicht jenen Präsidenten, der die Massen mobilisierte. Zumindest ausserhalb des Tessins nicht. Im Vergleich mit seinen Vorgängern Ueli Maurer, Toni Brunner und Albert Rösti fiel der ehemalige Altersheimdirektor ab – insbesondere medial. Chiesa blieb häufig blass, wenn er sich ausserhalb seiner Heimat überhaupt in die TV-Arena wagte.
Das breite Publikum in der Deutschschweiz wurde nie richtig warm mit ihm. Das lag zu einem guten Stück daran, dass der Luganeser auf Hochdeutsch hölzern wirkte. Die SVP-Parolen wirkten bei ihm auswendig gelernt. Sein Charme und sein Witz blitzten nur manchmal durch – wenn die Kameras ausgeschaltet waren.
In der Westschweiz war der Betriebswirt, der in Freiburg hauptsächlich auf Französisch studiert hatte, medial präsenter und er kam auch etwas charismatischer rüber. Die Stärkung der SVP in der Romandie gehört mit zu seinen Verdiensten.
Marco Chiesa war im Sommer 2020 SVP-Präsident geworden, weil damals niemand Aussichtsreicheres den Posten wollte. Die starken Figuren in der Partei blieben andere: Fraktionschef Thomas Aeschi, Generalsekretär Peter Keller, Wahlkampfleiter und Vizepräsident Marcel Dettling, Vizepräsidentin Magdalena Martullo-Blocher oder Nationalrat Thomas Matter.
Chiesa sagt nun zu solchen für ihn unvorteilhaften Einschätzungen, dies sei eine deutschschweizerische, ja zürcherische Perspektive. Das greift zu kurz – der Grossteil der Wählerinnen und Wähler seiner Partei lebt nun mal nördlich des Gotthards. Und spricht Deutsch.
In der Deutschschweiz schnitt die SVP bei den Nationalratswahlen nur leicht besser ab als bei ihrer Niederlage vor vier Jahren. Zudem verlor sie manches Ständeratsrennen. Bei Volksabstimmungen konnte sie in den vergangenen Jahren kaum Erfolge verbuchen.
Chiesa war auch unsouverän, als diese Redaktion ihn mit Unregelmässigkeiten bei seiner Treuhandfirma konfrontierte. Dort war eine Zeit lang kein Treuhänder tätig gewesen, obwohl dies gesetzlich vorgeschrieben wäre. Statt den offensichtlichen Fehler einzuräumen, hält Chiesa bis heute daran fest, nichts Falsches getan zu haben.
Im Tessiner Ständeratswahlkampf schadete dies Chiesa nicht. Er musste zwar in einen zweiten Wahlgang, aber die Bestätigung erfolgte dann souverän. Jetzt sagt Marco Chiesa, er wolle sich auf dieses Amt konzentrieren und vielleicht auf einen Posten in der Luganeser Exekutive. Das passt zu ihm.
Und das passt auch für die SVP, die ihre Neutralitätsinitiative durchbringen und eine Schweizer Einigung mit der EU verhindern will. Früher fuhr sie gut, wenn sie einen Einpeitscher an der Spitze hatte. Und kein Missverständnis.
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