Superfan-Theorie im CheckReichen 1000 Fans für eine Musikkarriere?
Neue Daten zeigen: Musikschaffende können schon mit wenig Fans viel Geld machen. Dafür sollten sie aber die richtige Strategie fahren.
Die Theorie
Die Rechnung ist einfach und darum so überzeugend.
Wenn eine beliebige Künstlerin nur 1000 Fans hat, die pro Jahr 100 Franken für sie ausgeben, also für die Musik bezahlen, Konzerte besuchen, Vinyl-Versionen und sonstige Fanartikel kaufen, dann ergibt das ein Einkommen von 100’000 Franken pro Jahr. Das reicht für eine nachhaltige Karriere, oder?
Der US-Journalist Kevin Kelly hat 2008 in einem Essay mit dem Titel «1000 True Fans» diese These durchgespielt, sie hallt als sogenannte Superfan-Theorie bis heute nach. Kelly hat seine Idee für alle kreativen Berufe ausgelegt, zu einer Zeit, als Social Media noch neu und Crowdfunding noch nicht erfunden war. Sein Ausgangspunkt: «Es gibt im Internet nichts, das keine Fans hat.»
Entscheidend für ein gesichertes Einkommen seien gemäss Kelly zwei Punkte: Erstens müssen die Kreativen jedes Jahr so viel Output schaffen können, dass sie mit jedem echten Fan durchschnittlich 100 Dollar Gewinn erzielen können. Zweitens müssen sie eine direkte Beziehung zu ihren Fans haben. Influencerinnen sind eine Art Reinform davon – sie machen die Beziehung zu ihren Fans zum Produkt.
Insbesondere in der Musikbranche hat das Konzept der besonders loyalen Fans, die extra viel Zeit und Geld investieren, gerade neuen Auftrieb. Beim weltgrössten Label Universal Music diskutieren die obersten Strategen darüber, wie sie im Streamingzeitalter ihre Einnahmen steigern können, die Wachstumskurven flachen ab. Universal-Chef Lucian Grainge sagt, er wolle «Fantum besser monetarisieren».
Eine Idee sind sogenannte künstlerzentrierte Bezahlmodelle, bei denen die Fans ihre Abogebühren für die Acts ausgeben, die sie tatsächlich hören, und dafür sogar mehr bezahlen als die marktüblichen Preise. Kelly schrieb: «Ein echter Fan wird alles von dir kaufen.»
Die Daten
Der US-Datenanalyst Luminate hat berechnet, dass im Musikbereich 19 Prozent der US-Bevölkerung Superfans sind, was einem enormen kommerziellen Potenzial entspricht. Angehörige der Generation Z, also die unter 25-Jährigen, geben mehr Geld für Merchandise aus als andere. Sie zahlen für Vinyl und CDs, Premieren und exklusive Inhalte – das Prinzip Onlyfans – und wünschen sich gemäss Studie, dass Künstlerinnen und Künstler mehr Artikel anbieten, «mit denen sie ihren Support zeigen können».
Wer ein treues Grüppchen an sich binden kann und einen direkten Austausch pflegt, kann ihnen auch in Zeiten der Gratiskultur durchaus allerlei verkaufen.
Die jüngsten Daten stützen Kellys Superfan-Theorie. In den USA geben «echte Fans» monatlich 80 Prozent mehr Geld für Musik aus als die durchschnittlichen Konsumentinnen und Konsumenten. Die Umsätze mit Produkten, die direkt von den Künstlern an die Fans verkauft werden, legen deutlich zu. Das Branchenmagazin «Music Business Worldwide» rechnet vor, dass die Labels mit Superfans jährlich 4 Milliarden Dollar zusätzlich verdienen könnten. Geld, das brach liegt.
Auch Spotify hat erhoben, wie wichtig überdurchschnittlich engagierte Hörerinnen und Hörer für einzelne Musikschaffende sind. Im Schnitt sind die treusten 2 Prozent der Streamenden für 18 Prozent aller Streams verantwortlich. Zur Studie liefert der Streaminganbieter den Künstlerinnen und Künstlern gleich noch eine Anleitung, wie sie am besten die treue Hörerschaft ausbauen.
Die Strategien
Weltstars wie Taylor Swift oder Ed Sheeran haben das Prinzip Superfan längst auf lukrative Art perfektioniert. Sie haben, wie inzwischen zahlreiche grosse Popstars, bei einer Videostreaming-Plattform eine eigene Doku veröffentlicht, in der sie die Kameras besonders nah an sich heranlassen. Superfan-Vordenker Kevin Kelly sagt: «Es war nie einfacher, Fans nah zu halten.»
Swift streut für ihre Anhängerinnen und Anhänger zudem Hinweise auf ihre eigene Biografie in Lieder und Videos ein, die es zu entdecken gilt. Ihre Fans selber sehen sich als eine Gemeinschaft, die sich in Foren organisiert und die auch die x-te Neuaufnahme von Taylor-Swift-Songs fleissig streamt, um dem Star «zu helfen». Dass Taylor Swift und Ed Sheeran zu den bestverdienenden Musikschaffenden der Welt zählen, lässt sich auch so erklären, dass sie es geschafft haben, Millionen von Superfans an sich zu binden.
In Südkorea, wo im K-Pop eine besonders loyale Fangemeinschaft herangezüchtet wurde, werden Superfans noch offensiver angegangen. Das führende Label Hybe, das unter anderem die Genre-Riesen BTS und Blackpink unter Vertrag hat, betreibt seit 2019 eine eigene kostenpflichtige Plattform namens Weverse mitsamt Webshop. Hier ist eine ganze Welt von Kaufanreizen entstanden, ein Fanshop getarnt als Fanclub, geschätzter Jahresumsatz: 50 Millionen Dollar.
Was im ursprünglichen Entwurf von Kevin Kelly zu kurz kommt, ist der Aufwand, den es braucht, um überhaupt Fans an sich zu binden. Für 100 Dollar Einnahmen muss erst mal viel investiert werden – Zeit wie Geld. Was vor allem den ganz Grossen möglich ist, weil sie mehr Mittel haben. Da ist die Social-Media-Arbeit samt Kommunikationsstrategie, die teils von ganzen Content-Teams betreut wird, dazu kommen Herstellung und Versand von Fanartikeln, wo immer neue Ideen gefragt sind. Die Instrumente kosten, die Lizenzen für technische Programme, das Touren. Der kreative Output kann auch nicht konstant hochgehalten werden.
Was die jüngsten Zahlen auch zeigen: Künstlerinnen und Künstler mit geringerer Reichweite profitieren neben den grossen Weltstars am meisten von loyalen, kauffreudigen und streamingfleissigen Fans. Auf Spotify sorgt bei den Acts mit weniger als 10’000 monatlichen Hörerinnen und Hörern, also bei denen mit überschaubarem Publikum, ein einziges Prozent davon für 22 Prozent der Streams. Das sind Fans, die willig sind, für einen zu zahlen.
Oder wie Kelly 2008 schrieb: «Die Theorie der echten Fans ist eine Alternative zum Starruhm.» Eine künstlerische Karriere geht wohl tatsächlich ohne Berühmtsein. Aber halt nicht: ohne Fans.
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