Vorgezogene Wahlen in Grossbritannien«Wahnsinn» – Sunak versucht die Flucht nach vorne
Völlig überraschend hat der britische Premier Wahlen angekündigt. Seine Tories liegen in Umfragen weit zurück. Was Sunak zu dem Schritt bewog und woher nun Gefahr droht.
Die Briten werden am 4. Juli dieses Jahres ein neues Unterhaus wählen. Das gab am Mittwochabend, nach einer kurzfristig angesetzten Kabinettssitzung, der konservative britische Premierminister Rishi Sunak bekannt. Sunak erklärte, dass er im Laufe des Tages König Charles III. um die Auflösung des Parlaments gebeten habe. Formell aufgelöst wird das Unterhaus am Donnerstag nächster Woche.
Die Bekanntgabe des Wahltermins durch Sunak erfolgte, wie es Tradition ist, vor der Tür der Regierungszentrale No. 10 Downing Street – wiewohl in strömendem Regen. Der Regierungschef räumte dabei ein: «Ich kann und will nicht behaupten, dass alles richtig gelaufen ist.»
Aber er sei «stolz auf die Erfolge» seiner Regierung, sagte Sunak. Im Unterschied zu den Konservativen habe die Labour-Opposition jedenfalls «keinen Plan», sagte Sunak. Er selbst werde jetzt um jede Stimme kämpfen, um erneut an der Spitze einer Tory-Regierung wirtschaftliche Stabilität sicherzustellen und die Briten «wieder stolz auf unser Land zu machen».
Tories droht vernichtende Niederlage
Mit der Ausrufung von Wahlen für diesen Sommer geht Rishi Sunak ein enormes politisches und persönliches Risiko ein. Seine Konservative Partei liegt seit Monaten weit hinter der Labour Party zurück. Letzte Umfragen geben Labour 44 Prozent und Sunaks Tories 23 Prozent. Sollte sich dies am Wahltag bestätigen, könnte sich Labour wegen des britischen Mehrheitswahlrechts einer klaren Mehrheit sicher sein, während den Tories eine vernichtende Niederlage drohen würde.
Auch konservative Abgeordnete und selbst einzelne Minister zeigten sich völlig überrascht von Sunaks Entscheidung. Sie hatten erwartet, dass Wahlen im Spätherbst abgehalten würden, nicht schon im Juli.
Warum Sunak mit den Wahlen vorprescht
Die meisten Expertinnen und Experten hatten damit gerechnet, dass Sunak auf bessere Wirtschaftsbedingungen warten würde und er im Laufe des Sommers demonstrieren wollte, dass Tausende von Asylsuchenden tatsächlich, wie versprochen, nach Ruanda abgeschoben würden. Aber am Ende durchkreuzte Sunak alle Erwartungen mit seinem frühen Wahltermin.
Zu den Juliwahlen bewogen hatte ihn offensichtlich, dass am Mittwochmorgen die britische Inflationsrate auf 2,3 Prozent gefallen war und sich ein leichtes Wirtschaftswachstum fürs Vereinigte Königreich ankündigte. Andererseits waren im Regierungslager in den letzten Tagen die Hoffnungen gesunken, dass Sunak im Herbst genug Spielraum für erneute Steuersenkungen hätte, wie die Regierung sie signalisiert hatte.
Befürchtet wurde auch, dass den Sommer über immer mehr Flüchtlinge in kleinen Booten über den Ärmelkanal übersetzen würden – allen Drohungen Sunaks mit Deportationen nach Ruanda zum Trotz. Die Senkung der Zuwanderungsrate hatte Sunak zu einem zentralen Punkt seiner Politik gemacht. Letztlich sei der Premier wohl davon ausgegangen, dass sich bis zum Herbst nichts zu seinen Gunsten ändern, sondern manches eher noch schwieriger werden würde, war der allgemeine Schluss.
«Jeder hier ist schockiert»
Westminster-Insider berichteten von einer geradezu verzweifelten Stimmung im Regierungslager. Der Nachrichtensender Sky zitierte hohe Tory-Politiker mit Bemerkungen wie: «Jeder hier ist schockiert.» Sunaks Wahlentscheidung lasse vermuten, dass er nichts wie wegwolle oder sogar schon aufgegeben habe. Der frühe Wahltermin sei «Wahnsinn». Ernste Wahlvorbereitungen seien überhaupt nicht getroffen worden. Eine zynische Stimme vermerkte: «Er will den Sommer in Malibu verbringen, nehm ich an.»
Die Labour Party, die Partei der linken Mitte in Grossbritannien, hofft nun, nach vierzehn Jahren Opposition in diesem Juli wieder die Regierung zu übernehmen. Bei den jüngsten englischen Kommunalwahlen hatte sie bereits hervorragend abgeschnitten.
Neuer britischer Regierungschef würde bei einem Labour-Wahlsieg der Parteivorsitzende Sir Keir Starmer (lesen Sie hier das grosse Starmer-Porträt) werden. Starmer und seine Mitstreiter haben die Konservativen schon seit Wochen mit den Worten gereizt: «Na los – traut euch doch.» Sie glauben nicht, dass Sunak sich in der kurzen Zeit der Wahlkampagne noch retten kann.
Konservativen droht Gefahr von ganz rechts
Ein Problem der Konservativen besteht darin, dass viele ihrer Stammwähler zur rechtspopulistischen Partei Reform UK abzuwandern drohen bei diesen Wahlen. In Umfragen kommt Reform UK bereits auf 11 Prozent der Stimmen – fast die Hälfte dessen, was den Tories vorausgesagt wird.
Den Liberaldemokraten werden 10 Prozent und den Grünen 7 Prozent prophezeit. Da es aber kein Proporz-Wahlsystem gibt bei Unterhauswahlen, sondern in jedem Wahlkreis der stimmenstärkste Kandidat gewinnt, kommen die kleineren Parteien auf relativ wenige Mandate.
Aus dem Königshaus verlautete unterdessen, dass die Royals in den nächsten sechs Wochen ihre eigenen Termine und Auftritte verschieben würden, um dem Wahlkampf nicht in die Quere zu kommen. Auf keinen Fall wolle man ablenken von der Kampagne, die nun die nächsten sechs Wochen dominieren wird.
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