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Straftaten an Tieren werden «noch immer bagatellisiert»

699 Verfahren wurden 2018 im Zusammenhang mit Hunden eröffnet. Foto: Keystone
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Im letzten Jahr kam es im Zusammenhang mit Hühnern in 47 Fällen zu einem Tierschutzstrafverfahren. Dabei werden in der Schweiz im Laufe eines Jahres 65 Millionen Hühner gehalten. Nur 47 Fälle? Geht es diesen Tieren so gut?

Eine Katze musste eingeschläfert werden. Sie war schlecht ernährt, nicht ausreichend gepflegt und sah trotz entzündeter Kralle und schweren Entzündungen im Maul nie einen Tierarzt. Die Katzenhalterin kassierte dafür eine Busse von 100 Franken. Eine angemessene Bestrafung für das Leiden des Tieres?

In 50 Prozent der Fälle Heimtiere betroffen

Die beiden Beispiele zeigen nach Ansicht der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) exemplarisch, dass im Schweizer Tierschutzvollzug «noch immer ein beträchtlicher Handlungsbedarf besteht». Zum einen sei die Dunkelziffer nicht verfolgter Tierschutzfälle wohl nach wie vor «enorm». Zum andern würden Tierschutzverstösse von den Justizbehörden «häufig noch immer bagatellisiert» und der Strafrahmen des Gesetzes «bei weitem nicht ausgeschöpft».

Zum 15. Mal hat die Stiftung die Tierschutzstrafpraxis in der Schweiz analysiert. Die Verfasserinnen der Studie, Bianca Körner, Nora Flückiger und Christine Künzli, haben die Ergebnisse heute Morgen vorgestellt. Die nackten Zahlen für das Jahr 2018: 1760 Strafverfahren, 54 mehr als im Jahre 2017, aber 647 weniger als im Rekordjahr 2016. Davon betroffen waren in erster Linie Hunde (699 Verfahren), Rindvieh (340), Katzen (165) und Vögel (119).

Die meisten Strafverfahren, nämlich 338, gab es im Kanton Bern, 281 in Zürich, 209 in Aargau, je 153 in St. Gallen und in Luzern, am wenigsten in Nidwalden (2), Appenzell-Innerrhoden und im Jura (je 3) sowie Basel-Stadt (6). Gesamtschweizerisch ging es in gut 50 Prozent aller Fälle um Delikte gegenüber Heimtieren, in einem Drittel der Fälle um Verstösse gegenüber Nutztieren. Laut Bianca Körner «kaum vorstellbar» ist der Umstand, dass im Zusammenhang mit Versuchstieren kein einziges Strafverfahren eröffnet wurde.

Die hohen Zahlen werten die Verfasserinnen «als Ausdruck einer Verbesserung des Tierschutzstrafvollzugs».

Auf den ersten Blick scheinen sich aus den Zahlen drei Erkenntnisse zu ergeben. Erstens: Deutlich weniger Strafverfahren als im Rekordjahr sind eine gute Nachricht für die Tiere. Zweitens: Hunde sind noch immer am meisten betroffen. Drittens: Die meisten Straftäter gegen Tiere gibt es in Bern und Zürich, die wenigsten in Nidwalden.

Diese Rückschlüsse greifen zu kurz oder sind sogar falsch: Der starke Rückgang bei den registrierten Straftaten ab 2017 hat laut Bianca Körner damit zu tun, dass auf diesen Zeitpunkt hin die obligatorischen Hundekurse auf Bundesebene aufgehoben wurden. Der Anteil der Strafen für nicht besuchte Kurse ging allein von 2016 auf 2017 um über 44 Prozent zurück, von 2017 auf 2018 um weitere 12 Prozent. Die vergleichsweise hohe Zahl von Verfahren im Zusammenhang mit Hunden ist kein alarmierendes Zeichen, sondern vor allem dem vergleichsweise harmlosen Delikt «mangelnde Beaufsichtigung» geschuldet.

Und drittens sind die hohen Zahlen von tierschutzrelevanten Vorfällen in den Kantonen Bern oder Zürich aus Sicht der Stiftung nicht ein dramatisches, sondern ein positives Zeichen. Denn die hohen Zahlen, wie auch die gesamtschweizerisch starke Zunahme an Verfahren in den letzten 15 Jahren, werten die Verfasserinnen «als Ausdruck einer Verbesserung des Tierschutzstrafvollzugs».

Spezialisierte Fachstellen sind nötig

Straftaten an Tieren würden immer häufiger untersucht und auch sanktioniert. Es gebe aber weiterhin grosse kantonale Unterschiede in der Umsetzung des Gesetzes. Laut der Analyse der Stiftung gibt es höhere Fallzahlen in jenen Kantonen, deren Strafverfolgungsbehörden über spezialisierte Fachstellen verfügen. Die Stiftung fordert die Kantone auf, dafür die notwendigen politischen und rechtlichen Grundlagen zu schaffen sowie die finanziellen und personellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Die Stiftung für das Tier im Recht hat die Strafverfahren auch inhaltlich ausgewertet. Von den 1760 Strafverfahren endeten 214 ohne Folgen. In 1487 Fällen wurde ein Strafbefehl ausgestellt. Nur 59 Fälle landeten vor einem Gericht, davon endeten 13 mit einem Freispruch und 46 mit einer Verurteilung. Der hohe Anteil an Strafbefehlen ist laut Nora Flückiger «problematisch, weil es keine öffentliche Kontrolle der Entscheide gibt».

Sowohl bei der vorsätzlichen Tierquälerei, die im Maximum eine Freiheitsstrafe von drei Jahren vorsieht, als auch bei Widerhandlungen, die mit Bussen bis 20'000 Franken geahndet werden können, verfehlen die verfügten Strafen jede abschreckende Wirkung. Zurück bleibe der Eindruck, es handle sich bei Verstössen gegen das Tierschutzgesetz um Bagatelldelikte, kritisiert Christine Künzli.

Die Analyse hat zudem gezeigt, dass es in vielen Kantonen bei den zuständigen Strafverfolgungsbehörden «an den nötigen Fachkenntnissen im Tierschutzrecht mangelt.» Noch oft würden Fälle, die eigentlich nach den strengen Strafbestimmungen über die Tierquälerei geahndet werden müssten, nach dem milderen Recht als Übertretungen erledigt.

Dass Handlungsbedarf besteht, zeigt ein weiteres Detail. Die Stiftung hat alle Kantone zu den bestehenden oder geplanten kantonalen Tierschutzvollzugsstrukturen befragt. Basel-Landschaft, Obwalden, Schwyz und Tessin fanden es nicht für nötig, darauf zu antworten. Von den insgesamt 48 zuständigen Veterinärbehörden, Staatsanwaltschaften und Übertretungsstrafbehörden, die um eine Stellungnahme zu ihren eigenen Tierschutzstrafverfahren gebeten wurden, haben nur sieben Behörden reagiert.