Schneeschuhtouren im WallisStille, Spalten und Skulpturen
In Saas-Fee beherrschen nicht nur Skifahrer den Gletscher, auch Schneeschuhläuferinnen schliessen Bekanntschaft mit den Eisriesen. Ohne Bergführer geht aber nichts.
Ein gewaltiges Labyrinth von Gletscherspalten durchzieht den Nordfeegletscher an der Ostflanke der Mischabelgruppe bei Saas-Fee. Ein Teil des 16 Quadratkilometer umfassenden Eisgiganten, der Südfeegletscher, wird als Skigebiet genutzt, im nördlichen Part tauchen Schneeschuhläufer in eine unberührte, hochalpine Welt ein.
Die klimatischen Veränderungen sind auch im Saastal sichtbar: 1850 reichte der Feegletscher noch bis an die Dorfgrenze von Saas-Fee. Seither hat er sich stark zurückgezogen. Weiterhin kommt man als Berggängerin aber dem Gletscher nirgendwo sonst so nahe wie hier.
Dafür braucht es lediglich eine gute Grundkondition, Klettergurt und Schneeschuhe. Und einen Bergführer. Vorgezeichnete Wege fehlen, denn die Spalten ändern sich laufend. «Der obere Gletscher beim Alphubel bewegt sich pro Tag 20 Zentimeter», erklärt Bergführer Marc Derivaz der dreiköpfigen Gruppe, die unter seiner Anleitung den Gletscher erkunden wird. 80 Meter dick soll der Gletscher teilweise noch sein. Durch die Reibung am felsigen Untergrund brechen Spalten auf und haushohe Eistürme entstehen, sogenannte Séracs. «Zu diesen werde ich euch in den nächsten zwei Stunden führen», kündigt Marc an.
Nur wenige Schritte von der Bergstation Längfluh auf 2633 Meter über Meer entfernt seilt der Bergführer die Schneeschuhläufer an. Über die weite weisse Fläche geht es leicht bergwärts. Die wenig zerklüftete Ebene bietet Gelegenheit, sich ans Gehen am Seil zu gewöhnen. Zwei tiefe Spalten flankieren die Route.
Ein gewaltiger Abgrund öffnet sich
Abrupt endet das Schneefeld. Vorsichtig tasten wir uns zum Rand vor. Ein gewaltiger Abgrund öffnet sich. Marc führt die Seilschaft ein Stück zurück und um eine nächste Verwerfung herum. Der Guide bewegt sich wie selbstverständlich, während die Teilnehmenden im Wirrwarr von sichtbaren und verdeckten Spalten verloren wären. «Ich kenne den Gletscher von Kindsbeinen an», meint Derivaz.
War die Gruppe erst noch auf einer Abrisskante, steht sie nun am Fusse einer Gletscherspalte. Fast 20 Meter hoch ist hier das aufgebrochene Eis. Der Gletscher zeigt sich in verschiedenen Weiss- und Blautönen. An anderen Stellen ist er glasklar.
Auf der dick mit Schnee bedeckten Oberfläche wirkt die Seilschaft, die die Spalte von oben bestaunt, wie eine Gruppe kleiner Figuren. Angesichts dieser Dimensionen und der atemberaubenden Stille stellt sich Demut ein.
Waren zu Beginn noch die Galerie der 4000er mit Allalinhorn, Alphubel, Täschhorn und dem über 4500 Meter hohen Dom die Attraktion, fasziniert nun der Gletscher. «Stopp!», heisst es immer wieder, weil jemand ein Foto von den natürlichen Skulpturen der Gletscherwelt machen möchte. Aber die Grössenverhältnisse lassen sich im Bild nicht wirklich einfangen.
Das Gefühl, nah an der oberen Kante einer riesigen Gletscherspalte zu stehen, das scharfe Eis direkt zu spüren oder in einen metertiefen, trichterförmigen Freiraum um eine Verwerfung zu blicken – all das muss man erlebt haben. Ein flacher Abstieg zur Station Spielboden auf 2477 Meter über Meer führt die Gruppe hinaus aus der bizarren Eiswelt.
Auf der Sonnenseite des Saastals
Ein ganz anderes Gletschererlebnis bietet sich am späteren Nachmittag ab Saas-Grund. Die Fahrt zur Bergstation Hohsaas ist schon ein Erlebnis. Sitzt man mit dem Rücken zum Berg, öffnet sich der Reigen der 4000er an der gegenüberliegenden Talseite. Von der Bergstation Hohsaas auf 3200 Meter über Meer bewundert man 18 Viertausender auf einen Blick.
Nach dem kurzen Abstieg steht die Gruppe Schneeschuhläufer, die dem Sonnenuntergang entgegengeht, auf dem Hohlaubgletscher. Eine riesige, nur am Rand mit Gletscherspalten aufgebrochene Fläche breitet sich zwischen den Viertausendern Lagginhorn und Weissmies aus. 500 Höhenmeter sind es zum Lagginjoch.
Im Zickzack führt Bergführer Marc Derivaz die Gruppe den steilen Schlussteil hinauf und entlang eines tiefen Abrisses. Eine kleine Ebene, windgeschützt durch einen Felsblock, bietet Platz für das Schneeschuh- und Rucksackdepot. Die letzten Höhenmeter geht es über einen Klettersteig auf die Krete.
Der Blick vom Lagginjoch ist unglaublich. Die einheimische Roswita hat feuchte Augen: «Ich musste 50 Jahre alt werden, um hier oben zu stehen.» Die Sicht reicht von der Berninagruppe im Engadin bis zum Lago Maggiore und weiter nach Italien. Eine Bergkette reiht sich an die andere. Und Richtung Westen die Viertausender von Monte Rosa, die Mischabelgruppe, der Les-Diablerets-Gipfel.
Bissiger Wind schmälert das Erlebnis. «Dafür haben wir Fernsicht», erklärt Marc beim Abstieg. Die Schatten werden länger. Letzte Strahlen beleuchten den Domgipfel, ehe die Sonne hinter den Spitzen des Nadelhorns verschwindet.
Der Schriftsteller Carl Zuckmayer, Ehrenbürger von Saas- Fee, schrieb treffend: «Man steht am Ende der Welt und zugleich an ihrem Ursprung, an ihrem Anbeginn und in ihrer Mitte.»
Die Reise wurde unterstützt von Saastal Tourismus.
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