Ferien in der ZentralschweizStaunen über Schratten und Spalten
Die Karstlandschaft im Unesco-Biosphärenreservat Entlebuch zeigt eine ungewöhnliche Geologie, mit Höhlen und Spalten. Sie ist aber ein durchaus familientaugliches Wandergebiet.
Ein Schritt und noch ein Schritt. Bei Regen gleicht das Wandern über die Schrattenfluh einem Balanceakt. Denn wer in dem Labyrinth aus zerklüfteten Felsen danebentritt, landet unweigerlich in einer bis zu 1,5 Meter tiefen Spalte. «Ihr müsst ein wenig aufpassen», warnt Pius Schnider, Landwirt und Wanderführer aus Flühli LU.
Der 61-Jährige lotst seit anderthalb Stunden neun Erwachsene und sechs Kinder durch die abwechslungsreiche Landschaft. Querfeldein und bergauf geht es durch Moor und Forst. Am Waldrand führt Pius die Gruppe zu einem Ameisenhaufen und legt entspannt seine Hand auf das pyramidenförmige Bauwerk aus Nadeln. Ruckzuck krabbeln die Insekten auf seinem Handrücken: «Lasst die Ameisen einfach kurz auf der Haut und streicht sie später wieder vorsichtig runter.»
Die Kinder bekommen grosse Augen, manche gucken skeptisch. Die meisten Wanderer machen es Schnider jedoch nach. Und tatsächlich: Es bitzelt nur wenig, die Ameisen hinterlassen auf der Haut ihr Verteidigungsmittel: die Ameisensäure. Diese wirkt durchblutend, der Geruch ist speziell, aber angenehm. Pius: «Ihr dürft die Ameisensäure in kleinen Mengen einatmen, das befreit die Atemwege.» Noch besser: Man fängt die Säure mit einem Stofftuch ein, indem man die Ameisen daraufspritzen lässt und später am Stoff riecht. Das «Ameisentuch», verspricht der Wanderführer, könne auf einer anstrengenden Bergtour für bessere Sauerstoffzufuhr sorgen.
Tückische Löcher an der Route
Links des Weges verbirgt sich hinter Büschen eine Doline. Kaum zu sehen, aber 20 Meter tief. Die Kinder wagen sich mit den Eltern an der Hand etwas näher an das Loch und bestaunen es ungläubig.
Die Kluft ist typisch für das poröse Gestein der Schrattenfluh, des 2093 Meter hohen Karstmassivs.
Es liegt im Biosphärenreservat Entlebuch im Luzernischen. Der Gebirgsstock befindet sich damit zwar direkt neben dem Brienzer Rothorn, doch geologisch spielt er in einer völlig anderen Liga.
Während die oberen Schichten der Emmentaler Voralpen überwiegend aus Gesteinen wie Nagelfluh, Granit und Schiefer bestehen, enthält die Schrattenfluh hauptsächlich Kalk. Der umgangssprachliche Begriff Schratten ist ein Synonym für das, was Geologen als Karrenfelder, also scharfkantige Felsformationen, bezeichnen. «Die bisweilen messerscharfen Formen sind infolge der Auflösung des Kalkes durch kohlensäurehaltiges Regenwasser entstanden», weiss Pius. So zerfurcht die Karrenfelder auch sind, einen entscheidenden Vorteil gibt es: Sie bieten dem Wanderschuh auch bei Nässe genügend Halt.
Abenteuerlicher Einstieg in die Höhle
Die Schrattenfluh lässt sich nicht nur über-, sondern auch unterirdisch erkunden, und zwar in der Silwängenhöhle. Besonders kurios ist deren «Tür», ein vielleicht 80 Zentimeter breiter, zugeschraubter Kanaldeckel, den nur ein Guide öffnen kann.
Der Zutritt ist abenteuerlich. Ausgerüstet mit gutem Schuhwerk und Helm samt Stirnlampe muss sich jeder Höhlengänger auf den Rand setzen und sich links und rechts mit den Händen abstützen – und mit den Füssen frei schwebend die Metallleiter ertasten. Man klettert die Leiter acht Meter in die Tiefe. Im Untergrund fehlen Pfade, Treppen oder Geländer. Im Stockdunklen weist nur die Stirnlampe den Weg.
Die Belohnung: ein Klettervergnügen bei 12 Grad Celsius, mit glänzenden Tropfsteinen und einer fantastischen Akustik. Zum Beweis legt Pius am Ende der Tour ein Jodelsolo hin – die Karsthöhle mutiert zur Kathedrale.
Das Reservat hat drei Zonen
Ist man im Entlebuch unterwegs, drängt sich die Frage auf: Was ist überhaupt ein Biosphärenreservat?
«Es kommen immer wieder Leute, die sich erkundigen, wo sie Eintritt bezahlen müssen», sagt Ueli Mattmann aus Schüpfheim, der wie Pius Schnider Gäste durch die Berge führt. Ein Biosphärenreservat ist kein eingezäunter Nationalpark, sondern ein von der Unesco entwickeltes Konzept, mit dem sich Regionen nachhaltig entwickeln sollen. Und zwar so, dass die Menschen vor Ort von Landwirtschaft und Tourismus leben können.
Ein Biosphärenreservat besteht aus drei Zonen: In der Kernzone geniesst die Natur Priorität, hier ist Bewirtschaftung genauso verboten wie Mountainbiking und Skifahren. In der Entwicklungszone hat dagegen der Mensch mit seinen Bedürfnissen Vorrang. Die meisten Siedlungen liegen in der Entwicklungszone. Zwischen diesen beiden dient die Pflegezone als Übergangsterrain. In ihr dürfen Bauern unter bestimmten Auflagen, beispielsweise dem Verzicht auf Düngemittel, Land- und Viehwirtschaft betreiben.
Mattmann erzählt das, während er die Familiengruppe über eine 7,3 Kilometer lange Strecke mit 900 Höhenmetern via Lättgässli zum Brienzer Rothorn führt. Die alpine Strecke bietet nicht nur einen geologischen Kontrast zur Schrattenfluh. Sie ist auch deutlich anstrengender. Zum Glück hilft das Ameisentuch.
Die Reise wurde unterstützt von der Reka und der Region Biosphäre Entlebuch.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.