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Widerstand gegen Orban
Starke Städte im Orban-Land

«Wir sind ein starker Hebel, mit dem wir der Regierung etwas entgegensetzen können»: Gergely Karascony, Oberbürgermeister von Budapest.
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Der Oberbürgermeister von Budapest ist seit einem knappen Jahr Star und Hoffnung der ungarischen Opposition. Im vergangenen Herbst gewann Gergely Karascony in der Hauptstadt den Wettkampf um das Amt des Stadtoberhaupts und leitete damit einen Trend ein, in dem erbitterte Kritiker der Regierung von Viktor Orban bereits eine Zeitenwende sahen.

Damals siegten in mehreren Grossstädten und einigen kleineren Kommunen Kandidaten oppositioneller Parteien. Der Durchmarsch von Fidesz, die im Parlament mit ihrer Zweidrittelmehrheit lange jede politische Entscheidung durchpeitschen konnte, schien vorerst gestoppt zu sein.

Mittlerweile ist der 45 Jahre alte Politikwissenschaftler aus Nordungarn, der für die grüne, proeuropäische Partei PM (Dialog für Ungarn) antrat, um einige Illusionen ärmer. Dennoch ist er optimistisch, dass die Oppositionsparteien, wenn sie zusammen marschieren und gewinnen, erfolgreich Widerstand gegen die Übermacht von Orban und seiner Fidesz-Partei leisten können.

Dazu, glaubt er, trage die aktuelle Debatte über Ungarns permanente Verstösse gegen die Rechtsstaatlichkeit, wie sie am Mittwoch im entsprechenden Bericht der EU-Kommission dokumentiert wurden, einiges bei.

Letzte Gegengewichte zu Orbans Machtanspruch

Orban fordert derweil den Rücktritt von Vize-EU-Kommissionschefin Vera Jourova. Zugleich droht er mit dem Veto Ungarns gegen den EU-Haushalt und Corona-Hilfsfonds, falls damit einherginge, dass die Kommission die Vergabe von Geldern an die Einhaltung demokratischer Standards in den Mitgliedsländern knüpft. So war und ist es aber vorgesehen, wenngleich in stark abgeschwächter Form.

Er sei, sagt Bürgermeister Karascony im Gespräch mit unserer Zeitung, wenig überrascht gewesen über den Bericht aus Brüssel, der Ungarn eine Schwächung der Justiz, die Unterminierung der Medienfreiheit und die Untergrabung der Gewaltenteilung vorwirft. «Wir haben das alles bedauerlicherweise genau so erwartet. Das Wichtigste für uns ist jetzt die Konzentration auf Städte und Kommunen, weil wir eines der wenigen verbliebenen Gegengewichte im Land zu Orbans Machtanspruch sind», sagt er.

«In der Hälfte aller grossen Städte in Ungarn regieren Bürgermeister der Opposition. Wir sind ein starker Hebel, mit dem wir der Regierung etwas entgegensetzen können.» Aber auch Fidesz-Bürgermeister seien bisweilen ein gutes Gegengewicht, weil ihre Interessen nicht dieselben seien wie die der Fidesz-Regierung, sagt Karascony.

Schlechtes Zeugnis für Ungarns Regierung wegen Verstössen gegen Rechtsstaatlichkeit: Vera Jourova, Vize-EU-Kommissionschefin.

Die von Orban scharf angegriffene Vize-Kommissionschefin Jourova hatte am Mittwoch in Brüssel gesagt, man sei «in der Vergangenheit naiv gewesen», was den Schutz des Rechtsstaates in den EU-Mitgliedsländern anging, und müsse jetzt stärkeren Druck ausüben.

Karascony warnt allerdings vor Massnahmen, die Ungarn als Ganzes treffen würden: «Was die EU vermeiden sollte, sind Sanktionen gegen das ganze Land. Das würde den Eindruck erwecken, als bestrafe man die Bevölkerung. Denn das ist genau Orbans Trick: den Bürgern zu sagen, die EU sei eine Feindin der gesamten Nation, eine Feindin Ungarns.»

Man müsse vielmehr die Regierungspolitik als solche sanktionieren. «Deshalb schlagen wir vor, dass – wenn EU-Fördermittel wegen Verstössen gegen die Rechtsstaatlichkeit gekürzt würden – diese stattdessen an die Kommunen umgeleitet und ausgezahlt werden.» So würden die Bürger profitieren, aber die Regierung könnte nicht weiter ihren antidemokratischen, anti-europäischen Kurs finanzieren, hofft der einflussreiche Kommunalpolitiker.

«Orbans Politik basiert auf der Schaffung von künstlichen Konflikten und dem Schüren von Angst.»

Gergely Karascony, Oberbürgermeister von Budapest

Dass der Premier in den vergangenen Wochen selbst für seine Verhältnisse besonders selbstbewusst und aggressiv aufgetreten war und den Rechtsstaatsbericht «verlogen, absurd und unfundiert» nannte, führt Karascony darauf zurück, dass er sich besonders sicher fühle. «Dazu kommt, dass das genau seine Taktik ist: Seine Politik basiert auf der Schaffung von künstlichen Konflikten und dem Schüren von Angst. So kann er sich als Retter und Beschützer der Nation hinstellen.»

Eben deshalb schlage er neue Verteilungsmechanismen für EU-Gelder vor, um der extrem korruptionsanfälligen Regierungsmaschine den Geldzufluss zu entziehen: «Unsere Initiative wird oft missverstanden als Versuch, die Vergabestrukturen komplett zu ändern. Wir verstehen natürlich, dass Nationalstaaten die zentralen Akteure bei der Zahlung, Verteilung und Entgegennahme von Geldern sind.»

Aber, so der Oppositionspolitiker, es gebe zahlreiche, bereits bestehende Programme, mit denen Brüssel die Kommunen direkt unterstützen könne. Leider ignoriere die Regierung nämlich das sogenannte Partnerschaftsprinzip im Umgang etwa mit Kohäsionsfonds. Es besage, dass Regierungen gemeinsam mit lokalen Behörden Prioritäten für Investitionen und Subventionen festlegen muss. «Die ungarische Regierung verneint diese Verpflichtung.»

Zusammenarbeit mit umstrittener Jobbik-Partei

Anstatt den Kommunen zu helfen, sagt Karascony, blute die Regierung missliebige Stadtregierungen regelrecht aus. «Für eine Solidaritätssteuer führt die Stadt Millionen Forint an die Regierung ab. Budapest ist derzeit Nettozahler in das Regierungsbudget.» Zudem sei die Hälfte der staatlichen Parteienfinanzierung mit der Begründung gekappt worden, dass auch die politischen Parteien ihren Anteil beitragen müssten im Kampf gegen die Pandemie.

Bei der Parlamentswahl 2022 wollen die Oppositionsparteien mit einer gemeinsamen Kandidatenliste antreten, um sich gegenseitig keine Stimmen wegzunehmen. Dazu werden die Linken und Liberalen mit der einstmals rassistischen und antisemitischen Jobbik kooperieren.

Es sei eine Koalition aus sechs Parteien, sagt Karascony. Und Jobbik sei auf dem Weg zu einer Volkspartei. «Fidesz hat sie längst rechts überholt. Die Regierungspartei manipuliert die öffentliche Debatte, wenn sie uns jetzt vorwirft, wir würden mit der extremen Rechten kooperieren.»