Leitartikel zur AHV-ReformStarke Frauen sagen Ja zu einem höheren Rentenalter
Gerade Frauen sollten der AHV-Reform zustimmen. Das Rollenbild, dem ihr tieferes Rentenalter entstammt, ist längst überholt. Die Linke hat sich mit ihrem Widerstand verrannt.
Sind Sie noch unschlüssig, ob Sie der AHV-Reform zustimmen sollen? Ob sie fair ist? Oder ob das wichtigste Schweizer Sozialwerk auf Kosten der Frauen saniert wird? Immerhin soll neben der Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 8,1 Prozent lediglich das Rentenalter der Frauen erhöht werden – jenes der Männer bleibt gleich.
Gerade Frauen sollten sich bei diesen Fragen vergegenwärtigen, warum sie überhaupt früher in Rente geschickt werden. Bei der Einführung der AHV 1948 galt nämlich für beide Geschlechter das Rentenalter 65. Neun Jahre später wurde jenes der Frauen auf 62 Jahre gesenkt. Der Grund für diesen Schritt: unverhohlene Misogynie. Frauen seien im Unterschied zu den Männern zu schwach, um bis 65 zu arbeiten. Ihre Körperkräfte liessen früher nach, und ihre Krankheitsanfälligkeit nehme zu, befanden die Herren im Bundeshaus – und schlugen den Herren an der Urne eine Rentenaltersenkung vor.
Ausgerechnet die gleichstellungssensible Linke kämpft für das Relikt aus dem tiefen letzten Jahrhundert.
Netter Nebeneffekt dieser patriarchalen Machtdemonstration: Die oftmals älteren Ehemänner wussten ihre jüngeren Ehefrauen in der Pension früher zurück in der Küche. Und das sogar ohne schlechtes Gewissen, denn zuvor hatten sie mit einer Spezialbestimmung eine Benachteiligung geschaffen: Verheiratete Frauen durften faktisch früher in Rente als ledige. Diese Ungerechtigkeit konnten die Männer mit einer allgemeinen Senkung des Frauenrentenalters elegant beseitigen.
Zurück im Hier und Jetzt kämpft nun ausgerechnet die gleichstellungssensible Linke für dieses Relikt aus dem tiefen letzten Jahrhundert. Für diese eigentümliche Haltung bedarf es einiger argumentativer Pirouetten: Das höhere Frauenrentenalter sei ungerecht, weil die Frauen ohnehin tiefere Renten als die Männer erhielten; weil die Frauen noch immer tiefere Löhne hätten und weil sie unbezahlte Betreuungsarbeit in Milliardenhöhe leisteten.
Damit vermischen Gewerkschaften und linksgrüne Parteien allerdings den Reformbedarf der AHV mit gleichstellungspolitischen Versäumnissen in anderen Bereichen. Konkret: Frauen haben im Schnitt eine um ein Drittel tiefere Rente – das stimmt. Der Grund liegt aber nicht in der AHV, aus der sie wegen der höheren Lebenserwartung sogar mehr Leistungen beziehen, als sie einzahlen, sondern in der beruflichen Vorsorge (BVG).
Lohndiskriminierung und Betreuungsarbeit sind verantwortlich für die tiefen Renten aus der zweiten Säule.
In der zweiten Säule hängt die Rentenhöhe von den geleisteten Beiträgen ab. Teilzeitarbeit und niedrige Löhne (beides trifft auf Frauen viel stärker zu als auf Männer) führen folglich zu einer strukturellen Benachteiligung. Die von den Gewerkschaften beklagte Lohndiskriminierung der Frauen und die ungleiche Verteilung der Betreuungsarbeit sind also verantwortlich für die tieferen Renten aus der zweiten Säule – nicht aus der ersten.
Diesen Systemfehler im BVG will das Parlament aktuell mit einer tieferen Eintrittsschwelle beheben. In der Sommersession hat jedoch der Ständerat die Vorlage wegen der schludrigen Arbeit seiner vorberatenden Kommission zurückgewiesen. Für eine echte Verbesserung der Frauenrenten ist es jetzt zwingend, dass in der parlamentarischen Zusatzschlaufe rasch eine Lösung gefunden wird. Doch mit diesen Arbeiten hat weder die AHV noch das Rentenalter direkt zu tun.
Auch die tiefer liegenden Ursachen der von der Linken angeprangerten Benachteiligungen lassen sich nicht via AHV beheben. Lohngleichheit, Kita-Plätze, Väterverantwortung: Diese komplexen gesellschaftlichen Probleme müssen gelöst werden – aber sicher nicht im Kontext der finanziell akut bedrohten Altersvorsorge. Deren Sanierung ist dringlich. Die Zahl der Rentnerinnen und Rentner wird in den kommenden Jahren stark zunehmen; die Ausgaben der AHV werden entsprechend steigen. Bereits ab 2029 wird das Sozialwerk im Minus sein, wenn wir jetzt nicht handeln.
Die Nonchalance, mit der die Linke den Handlungsbedarf bestreitet und die Finanzierung gefährdet, ist fahrlässig. Ausgerechnet jene politischen Kräfte, die ständig Solidarität einfordern, verhalten sich mit ihrer Blockade zutiefst unsolidarisch gegenüber den jungen Generationen. Denn für diese wird dereinst nicht mehr entscheidend sein, wie teuer die Linke ihr Rentenalter-Pfand verkauft hat – sondern wie vorausschauend die älteren Generationen ihre Verantwortung wahrgenommen haben.
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