Interview zur Ständeratswahl 2023 in Zürich«Super, dann spannen wir bei der Kita-Vorlage zusammen» – «Nein, nicht Kitas!»
Sie sei eine «Teilzeit-Zürcherin», er kneife vor Podien: Das Duell zwischen Tiana Moser (GLP) und Gregor Rutz (SVP) war zuletzt auch mal gehässig. Zeit, ein paar Punkte zu klären.
Frau Moser, Herr Rutz, sie sind gerade gemeinsam im Zug von Bern nach Zürich gereist. Über was reden zwei Konkurrenten kurz vor der Wahl?
Tiana Moser: Essen, Kondukteure …
Gregor Rutz: … Ferien. Gestritten haben wir also nicht.
Wie harmonisch. Vorhin haben Sie, Herr Rutz, sich nach Frau Mosers Sohn erkundigt, der zu Hause allein mit Grippe im Bett liegt. Hat sich Ihr Verhältnis durch den Wahlkampf verändert?
Moser: Die Spannung und der Druck sind grösser, aber unser Verhältnis ist das gleiche geblieben.
Rutz: Politisch streiten wir hart, aber persönlich kann man sich dennoch gut verstehen.
Ihr Duell hat zuletzt für Schweizer Verhältnisse beidseitig fast schmutzige Züge angenommen. Aus dem rechten Lager wird Frau Mosers Privatleben angegriffen. Sie sei eine «Teilzeit-Zürcherin», behauptet die «Weltwoche». Was ist Ihre Meinung dazu, Herr Rutz?
Rutz: Ich streite mich mit Tiana Moser über politische Inhalte. Nicht über private Dinge. Fertig.
Frau Moser, Ihr Team lancierte in den sozialen Medien den Hashtag #RutzKneift, weil Herr Rutz an einigen Podien nicht teilnehmen wollte. Was sagen Sie dazu?
Moser: Man muss unterscheiden zwischen uns Kandidierenden und den vielen Menschen, die uns im Wahlkampf unterstützen. Dieses Umfeld ist unabhängig. Zum konkreten Vorwurf: Ich schätze die öffentliche Debatte, diese gab es, wenn auch nicht an Podien, sondern primär in den Medien wie hier.
Sie haben im Zug also weder über #RutzKneift noch über die «Teilzeit-Zürcherin» gesprochen?
Rutz: Wir können miteinander über alles reden.
Moser: Wäre Politik immer derart persönlich wie in den letzten Wochen, wäre es schwierig. Man sitzt zusammen in den Kommissionen, muss gemeinsam arbeiten können. Das ist der Teil der Schweizer Politikkultur. Was aktuell abgeht, macht nicht nur Freude. Aber in diesem Ausmass war es erwartbar.
Rutz: Wenn man schon so viele Jahre in der Politik ist, muss man damit umgehen können. Andere trifft es härter.
Wen?
Rutz: Das Umfeld. Wird Blödsinn geschrieben, reagieren Familie, Freunde und Mitarbeitende viel emotionaler. Trotzdem: Im Vergleich zum Ausland haben wir hier heile Welt. Wir müssen schauen, dass weiterhin die Sache im Zentrum steht.
Herr Rutz, Sie haben die Polemik selbst angeheizt. In einem Wahlkampfvideo halbieren Sie mit Ihrer Kettensäge den Schreibtisch von Ihrem Parteikollegen und Landwirt Martin Hübscher.
Rutz: Das ist doch nicht polemisch. Die Idee kam vom Bauernverband. Mit dem Video wollten wir darauf aufmerksam machen, wie stark die Landwirte unter der Bürokratie leiden. Wahlkampf darf man auch mit einem Augenzwinkern machen.
«Die Bauern haben das Privileg, den Boden unseres Landes zu bewirtschaften, wir müssen gewährleisten, dass die Böden und Gewässer gesund bleiben.»
Sie positionieren sich als wirtschaftsliberaler Kandidat. Haben Sie die Tischhälfte mit den Subventionsanträgen abgesägt?
Rutz: Die Bauern leiden unter Auflagen von Schreibtischtätern. Die Subventionen sind zum Teil eine Folge davon. Wenn jemand seine Wiese bis Mitte Jahr nicht mähen darf, ist das ein Einschnitt in die Eigentums- und Wirtschaftsfreiheit, dafür hat man das Recht auf Entschädigung. Dieser Zustand ist aber nicht ideal: Ich wünschte mir weniger Bürokratie, weniger Subventionen, mehr unternehmerische Freiheit und mehr Markt. Viele Bauern teilen diese Meinung.
Moser: Die aktuelle Landwirtschaftspolitik setzt Anreize für eine intensive Produktion. Dadurch geht Biodiversität verloren. Die Bauern haben das Privileg, den Boden unseres Landes zu bewirtschaften, wir müssen gewährleisten, dass die Böden und Gewässer gesund bleiben. Gleichzeitig braucht die Schweiz eine produzierende Landwirtschaft. Das Ziel muss sein: mehr Ökologie und mehr Markt.
Rutz: Wenn die Bauern das lesen, werden sie sich freuen. All diese Dinge sind in ihrem ureigensten Interesse, es ist ja ihr langfristiges Kapital. Allerdings muss man ihnen auch etwas zutrauen. Ich habe mehr Vertrauen in den Markt und die Bauern als in Vorschriften und Beamte.
Frau Moser, Sie werden von links-grün unterstützt und liebäugeln damit, sich der Ständeratsgruppe der Grünen anzuschliessen, damit Sie in Kommissionen einsitzen können. Die Linke verhilft Ihnen zu Macht, was geben Sie ihr im Gegenzug?
Moser: Seit 16 Jahren mache ich Politik. Seit 12 Jahren bin ich Fraktionspräsidentin. Man kennt mein politisches Profil. In der Ökologie bin ich konsequent, genauso stehe ich für eine liberale Wirtschaftspolitik. Aber wenn man bei einer Wahl erfolgreich sein will, braucht man Partner. Ich wäre als Ständerätin den Zürcherinnen und Zürchern sowie der Zürcher Wirtschaft verpflichtet, der Kanton stünde im Zentrum.
Herr Rutz, in Schaffhausen beschwören Ihre Parteikollegen die ungeteilte Standesstimme. In Zürich warnen Sie genau davor: Die Bevölkerung wäre in der Kombination Jositsch-Moser nicht adäquat vertreten. Was stimmt nun?
Rutz: Selbstverständlich will jede Partei so viele Sitze wie möglich. Im Kanton Zürich geht es aktuell aber um die Frage des Wirtschafts- und Werkplatzes: Wir wollen, dass das bürgerliche, liberale Zürich, die Wirtschaft, das Gewerbe auch vertreten sind. Zürich ist der Wirtschaftsmotor der Schweiz. Geht es der Zürcher Wirtschaft schlecht, geht es der Schweiz schlecht. Als Unternehmer und Gewerbler bin ich die logische Ergänzung zum Sozialdemokraten Daniel Jositsch.
Moser: Es ist völlig klar, dass der Wirtschaftsstandort vertreten sein muss. Nur: Mit welchem Profil und welcher Stimme? Schauen wir die Europapolitik an. Die SVP hat in der Vergangenheit mit zig Initiativen versucht, die Personenfreizügigkeit zu torpedieren, was wiederum zu einem Ende der Bilateralen geführt hätte. Meine Wirtschaftspolitik steht für Fortschritt, Lösungen und Kompromisse.
Rutz: Wenn AL und Grüne sich meinem Team anschliessen, würde ich mich wohl weniger offensiv als Vertreter der Unternehmer und der Wirtschaft inszenieren.
Moser: Unterstützt du, dass der Bundesrat wieder Verhandlungen mit der EU wieder aufnehmen will?
Rutz: Wir wissen ja noch nicht einmal, worüber verhandelt wird. Zuerst braucht es Klarheit, was wir als Schweiz eigentlich wollen. Die EU hat ein Interesse an einem guten Verhältnis mit uns. Wir sind für sie ein wichtiger Wirtschaftspartner, halten die Verträge ein und zahlen pünktlich. Oftmals scheint mir aber unser Personal auf dem internationalen Parkett schlecht geführt und schlecht instruiert. Diese Leute dürfen keine eigene Agenda haben.
«Wenn AL und Grüne sich meinem Team anschlössen, würde ich mich wohl weniger offensiv als Vertreterin der Unternehmer und der Wirtschaft inszenieren.»
Ist das eine Kritik an Ignazio Cassis, dem Aussenminister der FDP – jener Partei, die ihre Ständeratsambitionen zu Ihren Gunsten beerdigt hat?
Rutz: Diese Kritik reicht viel weiter zurück. Zudem steht dahinter nicht nur ein Bundesrat, und es betrifft verschiedene Departemente.
Ein Blick in eine hypothetische Zukunft: Die Zürcher Regierung befürwortet das Abkommen mit der EU, die SVP ist dagegen. Was stimmen Sie im Ständerat, Herr Rutz?
Rutz: Die Frage ist so nicht beantwortbar. Wir wissen ja nicht, was in dem Abkommen steht.
Moser: Fakt ist, dass die Regierungsdirektorenkonferenz einstimmig beschlossen hat, der Bundesrat solle rasch Verhandlungen mit der EU aufnehmen. Die Haltung der Kantone liegt also auf dem Tisch.
Rutz: Die Schweiz funktioniert ja anders. Es ist nicht so, dass die Kantone etwas beschliessen, und dann wird es gemacht. Ständeräte stimmen auch nicht nach Instruktion der Kantone ab. Im Gegenteil. Die Aufgabe der Politiker ist es, mit allen Interessengruppen zu sprechen, sich ein Bild zu machen und dann zu entscheiden. Dazu gehört der intensive Austausch mit der Kantonsregierung, aber auch mit Gewerbe, Wirtschaft, Bauern und so weiter.
Herr Rutz, Sie führen fast alle Probleme der Schweiz auf die Migration zurück. Sogar der Fachkräftemangel sei im Kern ein Zuwanderungsproblem, weil nicht nur die Fachkräfte kommen, sondern auch deren Familien. Glauben Sie die Schweiz ist noch attraktiv genug für Pflegende, Ärztinnen oder Google-Ingenieure, wenn sie ihre Familien zurücklassen müssten?
Rutz: Im landwirtschaftlichen Bereich gibt es viele Leute, die sehr glücklich sind damit, dass sie sieben, acht Monate in die Schweiz kommen dürfen, um hier zu arbeiten. Sie verdienen hier verhältnismässig viel Geld und können dann bei sich daheim in ein Haus investieren.
Und Sie meinen, das könnte auch auf Fachkräfte wie Ärztinnen oder Google-Ingenieure zutreffen?
Rutz: Nein, solche Leute holt man ja nicht bloss für ein paar Monate. Fakt ist: Der öffentliche Sektor wächst stark, weil all die Leute, die hierherkommen, Schulen, Spitäler oder den öffentlichen Verkehr brauchen. Mein Punkt: Personenfreizügigkeit hat zwei Seiten. Sie sorgt nicht nur für Wohlstand, sondern vor allem auch für Probleme. Darüber müssen wir offen reden können.
Der Mann der Google-Ingenieurin ist aber vielleicht keine begehrte Fachkraft. Wie sehen Sie das, Frau Moser?
Moser: Klar ist, wir können nicht zurück zum Saisonnier-Statut. Arbeitsmigration bringt Herausforderungen. Aber wenn wir den Wohlstand beibehalten wollen, brauchen wir Fachkräfte. Ein Mittel, etwas Druck rauszunehmen, ist, das Potenzial jener auszuschöpfen, die bereits hier leben. Die Schweiz liegt bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie immer noch weit zurück. Es braucht eine bessere Betreuungsinfrastruktur und ein Steuersystem, das niemanden bestraft, der mehr arbeitet – also eine Anpassung der Steuerprogression für Mittelstandsfamilien.
Rutz: Aber da haben wir gar keine Differenzen!
Moser: Super, dann spannen wir bei der Kita-Vorlage zusammen!
Rutz: Nein, nicht Kitas! Ich möchte nicht noch mehr Subventionen. Ich meine die Steuerprogression!
«Es braucht eine bessere Betreuungsinfrastruktur und ein Steuersystem, das niemanden bestraft, der mehr arbeitet.»
Frau Moser, Herr Rutz hat doch einen Punkt. Die Schweiz wächst durch Zuwanderung, der Fachkräftemangel akzentuiert sich aber trotzdem immer weiter.
Moser: Nehmen wir die Pflege. Heute bilden wir Leute aus, die nach ein paar Jahren frustriert den Job verlassen, weil die Belastung zu gross ist. Die offenen Jobs müssen wir dann mit Leuten aus dem Ausland besetzen. Wenn wir also unsere Pflegenden entlasten könnten, würden wir weniger Fachkräfte aus dem Ausland benötigen.
Rutz: Aber dann müsst ihr mithelfen, endlich etwas gegen die Bürokratie im Gesundheitswesen zu tun. Einfach um es noch einmal zu präzisieren: Wir müssen offen über die Personenfreizügigkeit reden können – das hat nichts mit künden zu tun. Und beim Saisonnier-Statut wehre ich mich dagegen, dass man über gewisse Dinge nicht einmal mehr nachdenken darf.
Moser: Man kann über alles nachdenken. Aber wenn eure Begrenzungsinitiative angenommen worden wäre, hätte das zur Kündigung der bilateralen Verträge geführt.
Rutz: Nein, es hätte zu Gesprächen und Verhandlungen mit der EU geführt.
Die Frage, welche Art der Zuwanderung wir wollen, wird mittlerweile auch von links gestellt. SP-Nationalrätin Jacqueline Badran zum Beispiel stellt die Frage, ob die Ansiedelung von Google Zürich mehr schadet als nützt.
Moser: Es ist klar, die Zuwanderung führt zu Herausforderungen. Aber die Immobilienpreise steigen auch, weil Bauvorhaben behindert werden und die Menschen mehr Platz zum Wohnen brauchen. Wir müssen die Probleme angehen, aber den Leuten vorzumachen, man würde sie lösen, indem man die Zuwanderung beschränkt, ist einfach nicht redlich.
Was Sie nicht erwähnt haben, um zusätzliche Arbeitskräfte zu mobilisieren: das Rentenalter. Müssen wir künftig länger arbeiten?
Moser: Das ist die logische Konsequenz, wenn wir länger leben. Aber es muss auch eine Flexibilisierung geben. Auf dem Bau oder in der Pflege kann man nicht deutlich länger als bis 65 arbeiten, die Arbeitsintensität ist eine andere als bei vielen Bürojobs.
Rutz: Das sehe ich ähnlich. Es gibt auch das Umgekehrte: 65-Jährige, die gerne noch arbeiten würden, aber keinen Job finden.
Wie lange sollen Politiker arbeiten?
Rutz: Wenn es die Umstände erlauben, arbeite ich auch länger als bis 65. Als Milizpolitiker nehme ich mein Amt neben meiner Arbeit wahr.
Moser: Das entscheidet bei uns zum Glück das Volk.
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